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Andalusien und die Straßenbahn – eine aktuelle Bestandsaufnahme

Letzte Testfahrten bei der Tram Jaen fanden in 2012 statt! | © Dirk Budach

Ab Mitte der neunziger Jahre erlebte das Land Spanien eine bemerkenswerte Wiederbelebung des seit langem aufgegebenen Verkehrsmittels Straßenbahn. Von 1994 bis 2011 wurden nicht weniger als 14 neue Systeme fertiggestellt. Die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise hatte jedoch erhebliche Auswirkungen auf das Land und hat als Folge auch auf die Fortschritte beim Aufbau neuer Netze oder beim Ausbau der bereits bestehender Anlagen erheblich verlangsamt. In den Jahren 2014 und 2017 wurden nach jahrelanger Verzögerung nur zwei weitere Systeme eingeweiht. Weitere Neuanlagen und Ausbauten kamen nicht recht voran, obwohl die wirtschaftliche Erholung vor etwa vier bis fünf Jahren einsetzte und seitdem ein stetiges Wachstum verzeichnete, insbesondere im Vergleich zur Situation in anderen südeuropäischen Ländern. Die Infrastrukturinvestitionen haben zwar inzwischen wieder deutlich zugenommen, sind aber vom Niveau vor der Krise noch ziemlich weit entfernt.

Andalusien als Vorreiter

Spaniens südlichste Region Andalusiens war stolz darauf, mit dem Bau neuer Systeme in gleich sechs verschiedenen Ballungsräumen begonnen zu haben. Was sich jedoch wie eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte anhörte, stellte sich für die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften mit Blick auf die notwendigen Investitionen und für die laufenden Betriebskosten jedoch schlicht und einfach an vielen Stellen als dauerhaft kaum leistbar heraus, erst recht nicht für lokale Gebietskörperschaften. Heute, 13 Jahre nach der Eröffnung der „ersten neuen Straßenbahn Andalusiens“ in der Kleinstadt Vélez-Málaga im Oktober 2006, ist die Situation noch keineswegs befriedigend geklärt.

Lang ist’s her, dass sich zwei Bahnen auf der Strecke in Vélez-Málaga begegneten… | © Dirk Budach (Mai 2008)

Vélez-Málaga und Jaen

Vermutlich eine der bemerkenswertesten und erstaunlichsten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem weltweiten Trend zur Wiederbelebung moderner Straßenbahnen ist die vollständige Schließung gerade dieses allerersten, neuen Systems in der Region nach kaum 5 ½ Jahren Betrieb. Drei moderne Niederflur-Straßenbahnwagen von Vélez-Málaga stehen immer noch unbrauchbar im Depot und werden kaum gewartet, obwohl – und dies ist definitiv ein weiterer überraschender Teil dieser Geschichte – alle drei in der Zwischenzeit nach Sydney ausgeliehen worden sind – für einen Zeitraum von gerade einmal 1 ½ Jahren! Es gab mehrere Versuche, das System in Vélez-Málaga wieder zu eröffnen, einschließlich einer 1,6 km lange Teilstrecke, die zwar fertiggestellt, aber nie für den öffentlichen Verkehr genutzt wurde. Seit 2 Jahren gibt es intensivere Bemühungen, aber der jüngste Wechsel in der Regionalregierung in Andalusien ist einer der Gründe, warum immer noch keine endgültige Einigung über die Finanzierung des Straßenbahnbetriebs erzielt werden konnte. Eine Wiedereröffnung ist daher zumindest für die nächsten 12-18 Monate unwahrscheinlich.

Eine weitere Straßenbahn, die außer Betrieb ist, obwohl die Bauarbeiten bereits seit vielen Jahren abgeschlossen sind, findet sich in Jaen. Deren 4,7 km lange Strecke könnte in dieser relativ kleinen, aber dicht besiedelten Stadt mit rund 130.000 Einwohnern gute Dienste leisten. Probefahrten begann bereits im Frühjahr 2011, einschließlich zwei Wochen kostenloser Fahrten für die Bürger von Jaen. Ein Wechsel in der Stadtregierung und die dadurch erzwungene, gerichtliche Anordnung des Betriebsstopps führte im Mai 2011 jedoch dazu, dass die Straßenbahnen seither ungenutzt im Depot stehen, von einzelnen Testfahrten 2012 abgesehen. Seit 2017 hat ein neuer Bürgermeister mehrere Versuche unternommen, die Strecke mit den fünf neuen Bahnen vom Typ Alstom Citadis in Betrieb zu nehmen. Die Wagen waren 2010 von der Metro Ligero in Madrid second-hand, aber noch neu und unbenuzt übernommen worden. Im vergangenen Jahr wurde eine Vereinbarung mit der Regionalverwaltung über teilweise Mitfinanzierung der Betriebskosten unterzeichnet, die von der Stadt allein kaum getragen werden können. Die Beseitigung der Schäden an der Infrastruktur nach fast 9 Jahren ohne Betrieb hat jedoch noch immer nicht begonnen, die Eröffnung wird damit frühestens in 2021 stattfinden, wenn überhaupt…

Situation einiger der Installationen der Tranvía Jaen im Oktober 2019 | © Bernhard Kußmagk

Sevilla: Niederflur-Tram als Metro mit Plattformtüren | © Dirk Budach


Sevilla – Málaga – Granada

In der andalusischen Hauptstadt Sevilla, mit rund 1 Million Einwohnern in der Metropolregion, ging 2007 eine kleine Straßenbahn in Betrieb. Sie wird als „Metrotranvía“ bezeichnet und wurde im Laufe der Jahre moderat ausgebaut, doch die sinnvolle Verlängerung der Strecke bis zum Hauptbahnhof Santa Justa schreitet nur sehr langsam voran und ist immer wieder von politischen Querelen begleitet. Dabei geht es um gerade einmal 1,1 km. Stattdessen stehen langfristige Pläne für den Ausbau des Niederflur-Stadtbahnsystem „Metro“ in Sevilla erneut auf der Tagesordnung, obwohl keine realistische Finanzierung in Sicht ist. Die „U-Bahn“ Sevilla ist eine kreuzungsfreie Stadtbahnstrecke mit längeren Tunnelabschnitten, die von Niederflur-Straßenbahnen der ersten CAF-Generation „Urbos“ befahren wird. Nach jahrelangen Verzögerungen wurde sie 2009 endlich eröffnet. Um drei Vororte und benachbarte Kleinstädte an das U-Bahn-“Netz” anzuschließen, plante man drei Überlandstraßenbahnen und begann bei zwei davon auch mit dem Bau. Während auf der “Dos Hermanos”-Linie nur Teile der Trasse fertiggestellt sind, waren die Arbeiten an der 12 km langen Strecke nach Alcalá de Guadeira weit fortgeschritten, bevor die Finanzkrise 2012 zum Baustopp führte. Vor zwei Jahren wurde beschlossen, den Bau wieder aufzunehmen und mit der fehlenden Verbindung zur U-Bahn an der Station Pablo de Olavide abzuschließen. Wiederum verursachte ein politischer Wechsel in der führenden Partei eine neue Verschiebung der Prioritäten, und obwohl eine formelle Entscheidung vorliegt, die Strecke in das U-Bahn-Netz einzubeziehen und Durchgangszüge in die Innenstadt von Sevilla zuzulassen, hat sich der Baufortschritt erneut verlangsamt. Mit viel Glück könnte 2022 die Eröffnung gefeiert werden.

Sevilla: Oberleitungsfreier Betrieb bei der Innenstadttram „Metrotranvía“ | © Dirk Budach

Dagegen konnte der Stadtbahnverkehr 2014 und 2017 in zwei anderen andalusischen Städten aufgenommen, allerdings in beiden Fällen mit etlichen Jahren Verspätung: Málaga und Granada. Beide nutzen dieselben Fahrzeuge, die Niederflur-Straßenbahnwagen „Urbos“ der zweiten Generation von CAF. Während die beiden Linien in Málaga (Gesamtlänge: 12 km) überwiegend unterirdisch verlaufen, gibt es auf der 15 km langen Linie in Granada nur einen kürzeren Tunnelabschnitt. Der Baufortschritt bei der (unterirdischen) Verlängerung in Málagas Altstadt ist langsam. Diese Verlängerung sollte allerdings die Verkehrsnachfrage recht deutlich erhöhen. Die aktuellen rund 8 Millionen Passagiere pro Jahr sind für ein solches ein solch aufwendiges System, das nach Metro-Normen gebaut wird, doch recht bescheiden. Langanhaltende öffentliche Diskussionen verhinderten bisher auch den Bau einer Zweigstrecke zum Hospital Civíl. Sie sollte hauptsächlich an der Oberfläche verlaufen, aber trotz der angespannten Finanzlage der Region wird die Bahn jetzt unterirdisch gebaut.

CAF „Urbos“ als Niederflur-Metro Málaga im Depot | © UTM

Tunnelstation der Niederflur-Straßenbahn Metro Granada | © Dirk Budach

Das erfolgreichere System ist zweifellos die neue „Metro Granada“ – in der Praxis eine Niederflur-Straßenbahn mit unterirdischem Abschnitt. Überfüllungen sind zeitweise ein Problem, Wagen sollen nachbeschafft werden, und die Planung einer zweiten Route entlang oder unterhalb der Haupteinkaufszone in Granada sind bereits weit fortgeschritten.

Tram-Train Cádiz

Das technisch wohl interessanteste Projekt ist Spaniens erstes echtes Tram-Train-System von Cádiz über San Fernando nach Chiclana an der Atlantikküste. Die technische Komplexität ist hoch, da die Hälfte der Neubaustrecke die bestehenden Ferngleise der Eisenbahnstrecke Cádiz-Sevilla bis nach San Fernando nutzt, um dann auf eigenen Gleisen die enge Altstadt zu durchqueren, bevor sie nach Chiclana weiterführt. In den Straßen von Chiclana gibt es einen weiteren eingleisigen, straßenbündigen Abschnitt, bevor die Straßenbahn (in spanischer Sprache „Tren-tram“) im neuen Depotgebiet östlich der Stadt endet. Sieben Fahrzeuge, die speziell für beide Betriebsarten entwickelt wurden, lieferte der CAF bereits vor sieben Jahren. Sie sind dreiteilig und erlauben den Einstieg über Hochbahnsteige an den Bahnsteigen der Eisenbahn, zu denen ein Tunnelabschnitt in der Innenstadt von Cádiz gehört, sowie den Niederflureinstieg auf der reinen Straßenbahnstrecke in San Fernando und nach Chiclana. Die Bahn verwendet iberische Breitspur von 1668 mm. Die Bauarbeiten sind fast abgeschlossen, doch nach Jahren der Budgetbeschränkungen, technischen Problemen und komplizierter oder gar fehlender Absprachen mit dem staatlichen Eisenbahn-/Infrastrukturbetreiber RENFE / ADIF verzögerte sich die Einweihung um nicht weniger als acht Jahre.

Die EU beantragte die Rückzahlung von 99 Mio. EUR an Zuschüssen, die gewährt worden waren unter der Voraussetzung, dass das System bis 2017 in Betrieb geht. Mehrmaliger Aufschub wurde bewilligt, doch als die letzte Frist zum 31. März 2019 erneut ablief, haben die Brüsseler Behörden die EU-FEDER-Mittel offiziell zurückgefordert. Die Regionalregierung in Sevilla hofft, dass das letzte Wort hier noch nicht gesprochen ist – es bleibt abzuwarten. In der Zwischenzeit wurden die Tests der Anlagen im Mai 2019 wieder aufgenommen, und die offizielle Einweihung im Laufe der nächsten Monate erscheint nicht mehr gänzlich unwahrscheinlich.

Tram-Train Überlandstrecke zwischen San Fernando und Chiclana | © Cadiz www.infraestructurasymobilidad.es


Gleisverschlingung in der Fußgängerzone im Zentrum von San Fernando | © Cadiz www.infraestructurasymobilidad.es


Impressionen der neuen Anlagen des Tram-Train Cádiz-San Fernando-Chiclana vom Oktober 2019 | © Bernhard Kußmagk

Zusammenfassung

Mit sieben neuen, unabhängig voneinander arbeitenden Systemen in sechs verschiedenen Ballungsräumen, von denen jedoch nur vier mit insgesamt fünf Linien und 48 km Strecke betrieben werden, ist der Nutzen der Gesamtinvestitionen von leicht über 2 Mrd. EUR in den letzten 15 Jahren bemerkenswert gering. Hoffen wir auf signifikante Besserung in der nahen Zukunft – im Interesse der spanischen Steuerzahler und zum Nutzen der lokalen Bevölkerung.


06.03.2020
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