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Bahn und Nahverkehr sollen Frankreichs Wirtschaft fördern und Umwelt entlasten

SNCF und SNCF Réseau wollen in Regional- und Vorortverkehr investieren (links oben: ein doppelstöckiger RER-Zug in Paris; rechts oben: die Eisenbahnkarte der Euregio SarLorLux; rechts unten: zwei AGC-Züge bei Toulouse in Cazéres; links unten: Zustand der ehemaligen Bahnlinie Mons - Valenciennes an der belgischen Grenze) I © Christeller/ Leleu/ Wikipedia/ Smiley.toerist)

Ein großer Plan

Anfangs September stellte Frankreichs Premierminister Jean Castex im Rahmen des Plans für die Wiederbelebung der Wirtschaft Einzelheiten zum ökologischen Übergang vor, der mit 37 Milliarden Euro vorangetrieben werden soll. Eines seiner drei Hauptkapitel betrifft den Verkehr. Die Ziele der Regierung, so Jean Castex, seien, für Personen und Güter eine attraktive und effiziente Alternative zum Straßentransport anzubieten und die Kohlendioxidemissionen und die Umweltverschmutzung durch den Verkehr zu reduzieren. Der Plan umfasst mehrere Teilbereiche. Das Angebot an Zugsverbindungen soll verbessert werden. Die Anstrengungen konzentrieren sich auf den Ausbau des Netzes mit starkem Verkehrsaufkommen, insbesondere der Eisenbahnknotenpunkte rund um die Metropolen, damit das Zugangebot erhöht werden kann. Die Nachtzüge, die zu Beginn des Jahrtausends abgeschafft wurden, obwohl sie sich trotz veralteten Rollmaterials großen Zuspruchs erfreuten, sollen wieder eingeführt werden. Ob es nur bei der angekündigten, eher anekdotischen Wiederbelebung von Nachtzügen Paris-Nizza und Paris-Tarbes im Jahr 2022, zusätzlich zu den bestehenden Paris-Cerbère und Paris-Briançon bleibt, ist abzuwarten.

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Der seit Jahrzehnten rückläufige Güterverkehr soll stark gefördert werden, und insbesondere im kombinierten Verkehr sollen neue Verbindungen geschaffen werden, zum Beispiel eine Güterlinie unter Nutzung bestehender Infrastrukturen aus dem Raum Paris nach Perpignan unter Umgehung des überlasteten Knotens Lyon. Güterzüge befördern mit 10 % des gesamten Frachtverkehrs, weit weniger als in der Schweiz, in Deutschland oder Österreich. Rund 4,7 Milliarden werden für diese Unterstützung des Eisenbahnsektors bereitgestellt. Dazu kommt noch der Einnahmeausfall der staatlichen Bahngesellschaft SNCF durch die Corona-Krise, der derzeit mit 4 Milliarden beziffert wird.

Stadt-, Vororts- und Nahverkehr

Der städtische Nah- und Vorortsverkehr mit Trams und Busspuren, aber auch die Pariser S-Bahn (RER) und der Nahverkehr in den Provinzen und in den Überseegebieten sollen aufwertet werden. Darin ist auch ein politisch heikles Thema für viele Politiker beinhaltet, nämlich die Zukunft der 9100 Kilometer Nebenlinien, die im Jahr 2018 durch den Spinetta-Bericht zum Tode verurteilt worden waren. Dieser Bericht sagt, es sei „undenkbar, fast 2 Milliarden Euro für nur 2 % der Passagiere aufzuwenden“. Die Bewegung der „gelben Westen“ hat die Situation aber verändert, und gerade vernachlässigte Landesteile sollen eine bessere Versorgung durch den öffentlichen Verkehr erhalten. Unter Einbezug der Mittel der Gebietskörperschaften würde damit für den Stadt- und Nahverkehr eine Gesamtinvestition von fast 5 Milliarden bereitgestellt und es würden 55 000 neue Arbeitsplätze geschaffen.


Wo es höchste Transportkapazität braucht, ist der französische Doppelstock-Triebzug Z 22500 / MI 2N mit drei 2 Meter breiten Türen pro Wagenseite ideal. Ein 112 Meter langer 5-Wagenzug kann über 1300 Fahrgäste transportieren I © Reinhard Christeller

SNCF schlägt sich für mehr S-Bahnen in die Bresche

Die staatliche Infrastrukturbetreiberin SNCF Réseau geht nun einen riesigen Schritt weiter und legte am 9. Oktober dem Verkehrsminister einen Bericht zum Aufbau von S-Bahn-Netzen vor, wie sie derzeit in Paris unter der Bezeichnung „RER“ und seit einem Jahr grenzüberschreitend im Raum Genf als „Léman Express“ bestehen. Die Regierung will auf diesem Bericht aufbauen und innerhalb von zehn Jahren in mehreren französischen Städten S-Bahn-Netze entwickeln. Die SNCF hat ein erstes Lastenheft erstellt, und die Gebietskörperschaften werden nun aufgefordert, ihre Prioritäten zu definieren, damit auch ein Finanzrahmen und eine Finanzierung erarbeitet werden können. In ihrem „Masterplan“ definiert die SNCF, wie diese „Services Express Metropolitains“ (SEM) aussehen sollen. Die Idee ist nicht neu, schon im Mai 2019 beauftragte das Verkehrsministerium die französischen Eisenbahnen mit dieser Aufgabe, und das Mobilitätsorientierungsgesetz (LOM) befürwortet „die Umsetzung von „SEM-Projekten im Ballungsraum“. Das Dokument hat derzeit noch keine verbindliche Wirkung sondern muss als Diskussionsbasis für die Erarbeitung von an die jeweiligen örtlichen Verhältnisse angepasste Lösungen angesehen werden.

Das ehrgeizige Ziel der Regierung sei gemäß Aussagen der SNCF die Verdoppelung des Modal Split des Schienenverkehrs um die großen städtischen Zentren innerhalb von zehn Jahren durch die Schaffung attraktiverer Schienenverkehrsdienste. Für SNCF sollten die künftigen SEM ein attraktives Qualitätsangebot bieten, das dem des städtischen Nahverkehrs entspricht, mit häufigen Zügen während des ganzen Tages – jede halbe Stunde oder sogar jede Viertelstunde zur Hauptverkehrszeit -, mit Bahnhöfen und Haltestellen, die so gut wie möglich auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnitten sind und einer guten Anbindung an die anderen Verkehrsmittel, und auch mit durchgängiger Tarifierung. So könnten zum Beispiel Zugsleistungen, die derzeit an einem Hauptbahnhof enden, zu Durchmesserlinien durchgebunden werden, zum Beispiel von Libourne über Bordeaux nach Arcachon. In anderen Städten, wie Toulouse, Straßburg, Rennes oder Lyon, setzen sich Gebietskörperschaften und Verbände seit mehreren Jahren für die Entwicklung von Zügen ein, die für den Großstadtverkehr konzipiert sind.

Seit Ende des vergangenen Jahrhunderts erlebt Frankreich eine Renaissance des Straßenbahnverkehrs, wie hier in Besançon, mit 29 Netzen, davon drei grenzüberschreitend nach Deutschland und in die Schweiz I © Reinhard Christeller

„Die Metropolen mit hohem Potenzial sind diejenigen mit den größten Herausforderungen in Bezug auf Bevölkerungs- und Bevölkerungswachstum, die Dynamik der Schaffung von Arbeitsplätzen und die Pendlerströme“, schreibt das öffentliche Unternehmen und zitiert Aix-Marseille, Bordeaux, Grenoble, Lille, Lyon, Nantes, Nizza-Côte d’Azur, Rennes, Straßburg und Toulouse. Bordeaux, Straßburg, Marseille, Nizza und Grenoble sollen bereits konkrete Projekte erarbeitet haben. Es wäre auch an Dijon, Montpellier, Rouen, Toulon und Tours sowie andere Ballungsräume wie Angers, Le Mans, Besançon, Chambéry und Reims zu denken.

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Gedanken zu europäischen grenzüberschreitenden S-Bahnen

Das Grenzgebiet Nancy-Metz-Luxemburg (Euroregion SarLorLux) könnten ebenfalls von Interesse sein. Der Gedanke an die Region Basel – Mülhausen im Dreiländereck Schweiz-Deutschland-Frankreich kommt wieder auf den Tisch, nachdem von 1997 bis 2008 die von Mülhausen in die Schweizer Orte Gelterkinden und Frick durchfahrenden Züge französischerseits wieder aufgegeben wurden und heute in Basel enden. Ebenfalls ist die Rede von der baskischen Küste, wo bis in die 1970-er Jahre die jeweiligen spanischen und französischen Regionalzüge über die Grenze bis zum nächsten Ort im Nachbarland fuhren, und heute durch sträfliche Vernachlässigung geplanter baulichen Maßnahmen durch die spanische Infrastrukturbetreiberin ADIF eine vorgesehene Durchbindung nach San Sebastian verzögert wird.

Die Euroregion SarLorLux weist viele bestehende Bahnstrecken auf, die sich zu einem leistungsfähigen S-Bahn-Netz ausbauen lassen könnten

Es erstaunt im Übrigen, dass keine Rede von grenzüberschreitenden SEM-Netzen im katalanischen Bereich Figueres – Perpignan und im französisch-belgischen Grenzgebiet um Valenciennes, Lille, Mons und Tournai ist. So bestand von 1846 bis 1984 eine durchgehende Regionallinie von Mons nach Valenciennes, die heute auf belgischer Seite bis an die Grenze bei Quiévrain genutzt wird; sie könnte als einer der ersten Teile dieser SEM wiederbelebt werden.

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Umsetzung

Da diese Projekte einen immensen Aufwand, insbesondere finanzieller Art, erfordern, müssen sie laut SNCF, die über das Jahr 2030 hinaus plant, in Etappen durchgeführt werden. Die bestehenden Bahnlinien um die großen Städte haben derzeit nicht die Kapazität, SEMs aufzunehmen, so dass größere Arbeiten erforderlich wären. In einem ersten Schritt sollen die französischen Regionen und großen Ballungsgebiete, bis 2022 schnell über das von ihnen geplante Dienstleistungsniveau entscheiden, um eine kohärente Investitionsstrategie umzusetzen, die den Einsatz technischer Lösungen und die Entwicklung der Infrastruktur miteinander verbindet. Der Plan enthält keine Zahlen über den notwendigen Investitionsbedarf, man könnte sich aber vorstellen, dass für jede Agglomeration Kosten in der Größenordnung von einer bis drei Milliarden anfallen würden. Ein Betrag von 30 Millionen Euro steht für Planungszwecke zur Verfügung. Es wird von einem Horizont von 2023 bis 2024 für die Umsetzung der ersten Arbeiten gesprochen.

09.11.2020