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Bonn SWB „Bönnsche Bimmel“ – ein sehr bewegtes Leben

Tw 14 als Museumswagen auf Geburtstagstour in Bad Honnef | © Christian Marquordt

Am 22. Mai 1892 ging ausgehend vom heutigen Bundeskanzlerplatz in Bonn (damals einfach die Kreuzung Koblenzer Straße / Reuterstraße) die Dampfstraßenbahn Bonn – Godesberg in Betrieb. Sie verkehrte auf Meterspur, und sie gehörte zum „Verkehrskonzern“ Havestadt, Contag & Cie, der zum Beispiel auch die Bonner Pferde-Straßenbahn betrieb. (Godesberg war damals eine einfache südliche Nachbargemeinde von Bonn, auf den Adelstitel „Bad“ musste Godesberg noch 37 Jahre warten, auf die Erhebung zur Stadt sogar noch 43 Jahre.)

Ein Jahr später, im Mai 1893, wurde die Bahn bis ins südlich von Godesberg gelegene Mehlem verlängert. Auch Mehlem war damals noch eine eigenständige Gemeinde, mehr noch, sogar Hauptort der „Bürgermeisterei Mehlem“. Am 23. Oktober 1893 wurde die Bahn in Bonn verlängert vom „Bundeskanzlerplatz“ über die Kaiserstraße bis zum Bahnübergang „Königstraße“ (damals noch „Grüner Weg“).

Im Oktober 1904 ging die Bahn in kommunalen Eigenbesitz über. Havestadt, Contag & Cie bekamen für die Bonn – Godesberg – Mehlemer Bahn (BGM) und die Bonner (Pferde-)Straßenbahn zusammen 3.100.000 Reichsmark, für die damalige Zeit wahrlich eine stolze Summe. Die Bonner Pferdebahn ging zu 100 Prozent in das Eigentum der Stadt Bonn über (fürderhin „Bahnen der Stadt Bonn“), die „Godesberger Bahn“ gehörte nunmehr zu je 50 % der Stadt Bonn und der Bürgermeisterei Godesberg. Anmerkung: 1904 erlebte der Großraum Bonn zum ersten Mal eine Raumordnung: die zwischen Bonn und Godesberg liegenden Orte Kessenich und Dottendorf wurden zu Bonner Stadtteilen, Friesdorf, das ebenfalls zu Bonn wollte, zu einem Ortsteil von Godesberg. (Die Friesdorfer mussten dagegen noch bis 1969 warten, bis sie endlich auch Bonner sein durften.)

Im Jahr 1911 wurde die Godesberger Bahn in drei Etappen elektrifiziert und auf Regelspur (1.435 mm) umgespurt. Damit verbunden wurde die Endhaltestelle im Bonner Centrum verlegt vom Bahnübergang „Grüner Weg“ zur Ecke Kaiserplatz/Kaiserstraße. 1925 erfolgte die endgültige Verlängerung über den Bonner Hauptbahnhof bis zum Bonner Rheinuferbahnhof, wo der Anschluss an die „Rheinuferbahn“ und die „Vorgebirgsbahn“ der Köln–Bonner Eisenbahnen (KBE) – heute die VRS-Linien 16 und 18 – erreicht wurde.

Mit der Elektrifizierung und der Umspurung verbunden war, dass die „Godesberger“ Bahn komplett neues Rollmaterial brauchte. Bei Herbrandt & Co in Köln-Ehrenfeld wurden 12 zweiachsige Triebwagen beschafft (Tw 1 bis 12), die alle bis auf einen bis in die Zeit um 1960 im Einsatz gestanden haben. Jener eine musste als Kriegsverlust abgeschrieben werden, ein zweiter wurde im Krieg zwar schwer beschädigt, wurde nach dem Krieg aber mit einem relativ einfachen und wenig schönen Aufbau wieder hergerichtet.

Passend zu diesen Triebwagen lieferte Herbrandt aus Köln auch (fast baugleiche) zweiachsige Beiwagen. Und, und das war eine Besonderheit der Godesberger Bahn, vierachsige Drehgestell-Niederflur-Beiwagen (im Volksmund getauft auf “Badewanne“.) Die „Badewannen“ hatten in der Wagenmitte auf beiden Seiten je eine einfachbreite Schiebetür, und über den Drehgestellen an den Wagenenden gab es um eine Stufe erhöht Plattformen mit so etwas wie einer “Rundsitzecke“. Die „Badewannen“ waren bei Bonns Fahrgästen sehr beliebt. Auch der Verfasser erinnert sich, dass er als Junge bei gelegentlichen Ausflügen mit der Godesberger Bahn unbedingt mit der „Badewanne“ fahren wollte.

„Badewanne“ Bw 46 im Jahr 1950 am Hauptbahnhof | © Foto: Manfred Schön / Sammlung Christian Marquordt

1949 wurde Bonn zur Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland gewählt, und die Verkehrsbetriebe der Region gingen zu Recht davon aus, dass sich das Fahrgastaufkommen unter diesen Umständen erhöhen werde. Man brauchte also zusätzliche Fahrzeuge. Für den städtischen Busbetrieb übernahm man zum Beispiel zwei Büssing/Ludewig 5.000 T, die Frankfurt bestellt hatte in der Erwartung, Frankfurt werde die Hauptstadt der Bundesrepublik werden.

Auch die „Godesberger Bahn“ sah Bedarf für zusätzliche Triebwagen. Doch woher nehmen? Man kam auf eine clevere Idee: Man nahm zwei der Beiwagen vom Jahrgang 1911, nämlich die Beiwagen 33 und 38, und schaffte sie im Herbst 1949 zu Herbrandts Nachfolger Westwaggon nach Köln. Westwaggon bekam den Auftrag, sie zu Triebwagen umzubauen.

Dieser Umbau war ausgesprochen gründlich. Die bislang zweiachsigen Wagen verwandelten sich in Lenk-Dreiachser – Westwaggon hatte damals ein Faible für Lenk-Dreiachser. Die Köpfe der beiden Wagen wuchsen nicht unwesentlich, denn für die Fahrer gab es jetzt auf jeder Seite einen vom übrigen Wagen völlig abtrennbaren Fahrerplatz. Dass die beiden „neuen“ Triebwagen in ihrer Optik dem Geschmack um 1950 angepasst waren, bedarf eher nicht der besonderen Erwähnung. Aus Beiwagen 33 wurde Tw 13, aus Beiwagen 38 wurde Tw 14. Zurück in Bonn wurden sie mit einem funkelnagelneuen Beiwagen gekuppelt (Bw 51), ebenfalls ein Westwaggon Lenk-Dreiachser, mit wesentlich größerem Fassungsvermögen, der optisch den späteren Bei- und Steuerwagen 52 bis 60 entsprach, aber ursprünglich nur mit den Tw 13 und 14 gekuppelt werden konnte.

Anfang 1950 nach dem Umbau frisch zurück in Bonn: die „Zwillinge“ Tw 14 und Tw 13 („Bönnsche Bimmel“) mit ihrem Beiwagen 51 auf dem Betriebshof Friesdorf | © SWB Archiv
Tw 14 im Rheinuferbahnhof in Bonn am 14.8.1955 als Verstärker bis Rüngsdorf | © Sammlung Eckehard Frenz / Klaus Jördens

Anfang der sechziger Jahre noch umgenummert als Tw 313 (ex 13) und 314 (ex 14), wurden sie schon 1966 aus dem Linienverkehr zurückgezogen, aus Tw 313 wurde der Arbeits-Tw A 31, Tw 314 wurde zu A 32. Beim ATw A 31 wurde auf jeder Seite eine große Schiebetür eingebaut, ATw A 32 blieb äußerlich unverändert. Der Beiwagen 51 zu den „Zwillingen“ wurde so umgerüstet, dass er jetzt mit den Triebwagen 15 bis 34 laufen konnte.

1969 wurde Godesberg im Zuge der kommunalen Neuordnung des Bonner Raums zum Bonner Stadtbezirk, damit fielen auch die 50 % Godesberger Anteile an der Godesberger Bahn in das Eigentum der Stadt Bonn (nunmehr 100 %). Aus der „Straßenbahn Bonn – Bad Godesberg – Mehlem“ (BGM) wurde ein Betriebsteil der Stadtwerke Bonn. Die Betriebsnummern der Fahrzeuge der BGM erhöhten sich um 300 (so wurde aus Bw 51 der BGM Bw 351 der SWB).

1987 wurde erwogen, die beiden ehemaligen Triebwagen 13 und 14 und jetzigen Arbeits-Triebwagen A 31 und A 32 zu verschrotten. Schließlich waren wesentliche Bauteile von ihnen unterdessen 78 Jahre alt. Tw 13 (= ATw A 31) wurde an das Hannoversche Straßenbahn-Museum (HSM) abgegeben. Er überlebte dort bis 2005 und wurde dann im Rahmen einer Sammlungsbereinigung verschrottet.

Der A 31 neben dem Tw 315, ebenfalls ex BGM, im Hannoverschen Strassenbahn Museum 1998 | © Dirk Budach
Überleben als Museumswagen

Ganz anders erging es Tw 14 (= ATw A 32). Da er noch im wesentlichen im Original-Zustand von 1949 war und mithin kein großer Rückumbau notwendig, fiel der Beschluss, ihn zur „historischen Partybahn“ herzurichten. Er bekam alle seine Sitzplätze wieder, mit Ausnahme einer Vierer-Sitzgruppe, an deren Stelle eine Theke mit Zapfanlage eingebaut wurde.

Ein Namenswettbewerb ergab, dass dieser historische Triebwagen „Bönnsche Bimmel“ heißen solle – und so geschah es. Als Betriebsnummer erhielt er wieder seine Nummer 14. Das ist ja auch richtig so – er ist ja der ehemalige Triebwagen 14. Und es trifft sich gut, denn es gab ohnehin schon einen historischen Triebwagen 13 bei den SWB – einen Triebwagen der innerstädtischen Straßenbahn vom Jahrgang 1907.

Nicht verschwiegen sei allerdings, dass sich hartnäckig die Darstellung hält, die BGM-Triebwagen 13 und 14 hätten irgendwann im Zuge des Umbaus zu den Arbeitstriebwagen mal die Reihenfolge ihrer Wagennummern getauscht. Indes: warum hätte man das machen sollen? Immerhin ist die Version mit dem Tausch der Wagennummern auch schon in Büchern publiziert worden …

Und so war die „Bönnsche Bimmel“ von 1989 bis 2019 auf Sonderfahrten im Bonner Netz unterwegs. Sie kam nicht nur auch nach Siegburg und Bad Honnef, sondern über die Linien 16 und 18 auch bis nach Köln. Außerdem konnte, wer wollte, auch in der „Bönnschen Bimmel“ heiraten. Sie war, ganz offiziell, „Rollende Außenstelle des Standesamts der Bundesstadt Bonn“. Und einmal im Jahr kamen ihr „närrisch majestätische Aufgaben“ zu. Viele Jahre machte sie in der Karnevalszeit mit dem Bonner Karnevals-Prinzenpaar eine Tour durchs Netz. Nicht ohne dass das Kölsch in gebührender Menge geflossen wäre …

Einmal im. Jahr ging Tw 14 mit dem Bonner Karnevals-Prinzenpaar auf Tour, hier am 01. März 2011 beim Start im Betriebshof Dransdorf | © Christian Marquordt
Während der „Prinzenfahrt“, das Bonner Prinzenpaar mit SWB-Chef Heinz Jürgen Reining. Na dann: Prost! | © Christian Marquordt
Sonderfahrt nahe dem Depot Dransdorf im Juli 1995 | © Dirk Budach

Mehr als 100 Jahre gingen nicht spurlos an der „Bönnschen Bimmel“ vorbei. Es kam der Moment, da die Bahn als nicht mehr verkehrssicher abgestellt werden musste. Die SWB sagen, eine Aufarbeitung sei nicht mehr möglich gewesen. Amateure sagen, die SWB hätten die Kosten für eine Wieder-Aufarbeitung nicht aufbringen wollen. Die „Wahrheit“ mag wie so oft in der Mitte liegen: Eine Wiederaufarbeitung wäre möglich gewesen, aber sündhaft teuer, und die eigentliche Aufgabe eines Verkehrsbetriebs ist es nicht, eine historische Bahn zu erhalten, sondern Menschen von A nach B zu fahren – das Thema Imagepflege einmal außer Betracht gelassen. So scheint auch eine Wiederherstellung des letzten, im HSM (Hannoverschen Strassenbahn Museum) in Wehmingen noch als Torso vorhandenen, schweren Überlandbahn-Triebwagens, wie sie jahrzehntelang typisch für die SSB-Linien nach Siegburg und Bad Honnef waren, gänzlich ausgeschlossen.

Noch in Rudimenten vorhanden: Der letzte Bonner Überlandbahnwagen im HSM Wehmingen | © UTM/b

Und so zog die „Bönnsche Bimmel“ am 09. Oktober 2019 auf einem Tieflader der Schwerlast-Spedition Baumann um ins „Basecamp Bonn“, eine Art alternatives Jugendhotel und –tagungsstätte hier in Bonn am Bahnübergang Dottendorfer Straße / Ollenhauerstraße. Da kann man, so man will, zum Beispiel in einem alten Eisenbahn-Schlafwagen übernachten. Die „Bönnsche Bimmel“ hat hier zum Beispiel die Aufgabe eines kleinen Tagungsraums. Hoffentlich überlebt sie noch lange.         

Tw 14 am Tag seiner Überführung ins „Basecamp“, dem 9. Oktober 2019, im Betriebshof Beuel schon auf dem Tieflader von Baumann | © Christian Marquordt
Die „Bönnsche Bimmel“ an ihrem heutigen Standort, dem „Basecamp Bonn” | © Christian Marquordt
02.07.2021
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D W
D W
2 Jahre zuvor

Ein sehr schöner Bericht. Was das Gerücht mit dem Wagennummerntausch betrifft, so handelt es sich um eine Tatsache. In meiner Sammlung befinden sich zwei Fotos, auf dem zum einen Triebwagen 314 ex.14 während seines Umbaus zum Arbeitstriebwagen A31 zu sehen ist, deutlich erkennbar der Ausschnitt in der Seitenwand für die spätere Schiebetüre. Das zweite Foto zeigt den noch unveränderten Triebwagen 313 mit dem dahinter im Umbau befindlichen Arbeitstriebwagen A31 alias Triebwagen 314. Die Vergabe der Nummer A31 und A32 im Zuge des Umbaus zum Arbeitswagen erfolgte wohl in der Reihenfolge des Umbaus und da Wagen 314 zuerst umgebaut wurde erhielt er die niedrigere Nummer A31. Somit ist die Bönnsche Bimmel in Wirklichkeit Triebwagen 313 ex. 13.

mfg. DW

Last edited 2 Jahre zuvor by D W
Martin Schiffmann
Martin Schiffmann
2 Jahre zuvor

Es hat sich ein kleiner Fehler in den ansonsten gut gemachten Artikel eingeschlichen.

Die Waggonfabrik Herbrand in Köln-Ehrenfeld gelangte in den Besitz der Breslauer Linke-Hofmann Werke und wurde in den 1920er Jahren im Rahmen einer „Flurbereinigung“ stillgelegt.Sie war nie ein Teil der späteren Fa. Westwaggon.

Die Fa. Westwaggon in Köln-Deutz war ein Zusammenschluß diverser westdeutscher Waggonfabriken, so u.a. Killing & Sohn in Hagen/Westf., Gebr. Gastell in Mainz-Mombach und eben auch Van der Zypen & Charlier in Köln-Deutz – dem späteren einzigen Werk von Westwaggon, nachdem das Werk in Mainz-Mombach im Zuge der Übernahme von Westwaggon durch KHD zu einem reinen Omnibuswerk umprofiliert wurde.