• de
  • en

BVG startet mit autonomen Shuttles in die Zukunft – Chancen und Herausforderungen

Im Beisein von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (2.v.r.) und Stellvertretern der Projektpartner wurde das erste Fahrzeug vorgestellt I © Foto: BVG/Florian Bündig

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) hat am 17. Oktober 2025 offiziell den Start ihres bislang größten Pilotprojekts für autonomes Fahren im öffentlichen Personennahverkehr bekanntgegeben. Unter dem Projektnamen NoWeL4 (Nord-Westraum Level 4) sollen fünf vollelektrische Kleinbusse des Modells Volkswagen ID. Buzz AD mit hochautomatisierter (Stufe 4) Fahrtechnik im Nordwesten Berlins – in den Bezirken Spandau, Charlottenburg‑Wilmersdorf und Reinickendorf – eingesetzt werden. 

Die Pilotphase startet mit Test- und Vermessungsfahrten ohne Fahrgäste, bevor im ersten Halbjahr 2026 der Betrieb mit Fahrgästen beginnt (mit Sicherheitsfahrer / in an Bord) und die Testphase etwa bis 2027 laufen soll. Ziel ist anschließend der Hochlauf hin zu einem Regelbetrieb autonomer Fahrzeuge im ÖPNV. 

Fünf vollelektrische Minibusse vom Typ Volkswagen ID. Buzz AD sollen für NoWeL4 (Nordwest-Gebiet Level 4) beschafft werden. © BVG/ Florian Bündig

Finanziert wird das Projekt unter anderem durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit einer Förderung von rund 9,5 Mio. Euro. Technologische Partner sind u. a. die Technische Universität Berlin (TUB) mit dem Zentrum für Technik und Gesellschaft und das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) gemeinsam mit dem Mobilitätsdienstleister MOIA (VW-Tochter), der bereits in Hamburg seit 2019 Ridepooling mit einer Flotte von über 300 Kleinbussen anbietet. Assoziierte Partner der Projektes sind die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt sowie die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe.

Voraussetzung für den Hochlauf ist eine Serienzulassung für den Flottenbetrieb von Level-4-Fahrzeugen durch die zuständigen Stellen im Bund und im Land Berlin.

Sensorik-Angaben: Die Fahrzeuge sind laut Angaben mit etwa 13 Kameras, 9 Lidar- und 5 Radar-Sensoren ausgestattet.

Moia betreibt relativ erfolgreich Ridepooling Shuttles in Hamburg – bis Juli 2025 war Moia auch in Hannover unterwegs I © UTM/b

Relevanz für den ÖPNV

Die BVG charakterisiert das Vorhaben als „Initialzündung“ für ein neues Mobilitätssystem, das klassische Nahverkehrsangebote mit flexiblen autonomen Fahrzeugen kombiniert. Mit Blick auf den Einsatz im städtischen Raum (ca. 15 km² Testgebiet) und einer geplanten Skalierbarkeit hin zu fünfstelligen Fahrzeugzahlen wird eine langfristige Transformation angestrebt.

Aus Sicht der Verkehrswende bietet das Projekt Potenzial etwa zur Verbesserung der Versorgung in Randlagen, zur Ergänzung bestehender Buslinien sowie zur Optimierung von Angeboten in Nachfrageschwachen Zeiten. Zudem kann die technologische Plattform für Digitalisierung, On-Demand-Mobilität und Datenintegration dienen.

Die autonomen Shuttles sollen für die Feinerschließeung im Berliner Nordwesten dienen I © BVG/ Florian Bündig

Kritische Perspektiven & offene Fragen

Trotz der ambitionierten Planung zeigen sich in Fachkreisen und der Presse einige Vorbehalte und Unsicherheiten:

  • Zulassung & Regulatorik: Bislang gibt es in Deutschland keine Serienzulassung für autonome Fahrzeuge der Stufe 4 im öffentlichen Straßenverkehr. Die BVG selbst gibt das Ziel einer Zulassung bis 2027 an. Hier liegt ein erheblicher regulatorischer und administrativer Vorbereitungsaufwand vor.
  • Personaleinsatz & Arbeitsmarkt: Während autonome Fahrzeuge das Potenzial haben, Fahrerinnen und Fahrer zu entlasten, stellt sich die Frage nach dem zukünftigen Arbeitsfeld der heutigen Front-Mitarbeiter im ÖPNV – inklusive Qualifikation, Umschulung und Sicherheit der Beschäftigten. Eine wissenschaftliche Analyse weist darauf hin, dass Akteure ambivalente Einstellungen haben-: „CAVs may solve, but can also aggravate“ …
  • Barrierefreiheit & Inklusion: Im aktuellen Pilotprojekt heißt es ausdrücklich, dass die eingesetzten Fahrzeuge noch nicht barrierefrei seien – die Entwicklung barrierefreier Lösungen sei „erklärtes Ziel“. Gerade im ÖPNV ist jedoch ein hoher Anspruch an gleichberechtigten Zugang vorhanden.
  • Wirtschaftlichkeit und Skalierung: Die Technologie ist im Pilotstadium teuer und es bleibt offen, wie rasch sie sich in Normalbetrieb amortisieren lässt – insbesondere in heterogenen städtischen Verkehrsräumen mit hoher Komplexität.
  • Verkehrssystem-Einbettung: Autonome Shuttles lösen nicht automatisch die Engpässe im ÖPNV – sie müssen sinnvoll in bestehende Angebote (Bus, Tram, U-Bahn) eingebunden werden. Zudem können sie neue Verkehrs- und Freiraumkonflikte verursachen (z. B. wenn viele Kleinbusse individuelle Fahrten anbieten statt Linienverkehr). Die erwähnte wissenschaftliche Arbeit spricht von hoher Unsicherheit bzgl. Effizienz- und Nachhaltigkeitswirkungen.

Bewertung und Ausblick

Es ist nicht das erste Mal, dass die BVG sich am autonomen Fahren versucht. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Pilotprojekte mit autonomen Shuttles abgeschlossen, die vor allem der Erprobung von Technik, Akzeptanz und Betriebskonzepten dienten:

  • Projekt „See-Meile“ (2019–2020): In Berlin-Tegel verkehrten EasyMile-EZ10-Shuttles auf einer rund 1,2 km langen Strecke zwischen dem U-Bahnhof Alt-Tegel und der Greenwichpromenade. Ziel war die Integration autonomer Fahrzeuge in den öffentlichen Raum.
  • Projekt „Shuttles & Co“ (2020–2022): Erweiterung des Testfelds auf größere Wohngebiete in Reinickendorf mit mehreren EasyMile-Fahrzeugen, unterstützt durch das Bundesverkehrsministerium. Untersucht wurden technische Zuverlässigkeit, Fahrverhalten im Mischverkehr und Nutzerakzeptanz.
  • Projekt „Kiezmobil“ (2021–2022): Im Berliner Südwesten (Zehlendorf) testete die BVG ein On-Demand-Angebot mit autonomen Kleinbussen im Quartiersverkehr.
Bis 2020 führte die BVG gemeinsam mit der Charité einen autonomen Probebetrieb auf dem Charité-Campus durch I © BVG

Nichtsdestotrotz ist das Projekt NoWeL4 der BVG ist ein wichtiger und ambitionierter Baustein für die zukünftige Mobilität in Berlin – es signalisiert technologischen Fortschritt, Innovationswillen und eine mögliche Wegbereitung für autonome ÖPNV-Angebote. Wenn sich die Pilotphase bewährt, könnte dies eine Blaupause für Metropolen in Deutschland und darüber hinaus werden.

Es ist kein Geheimnis, dass Berlin, Hamburg und München u.a. im Bereich des autonomen Fahrens zusammenarbeiten. Wir berichteten hier:

Gleichzeitig sollte das Projekt kritisch begleitet werden: Es geht nicht nur um Technik, sondern um Verkehrsplanung, Nutzerintegration, Stadtentwicklung und Arbeitswelt. Entscheidend wird sein, wie gut die autonome Lösung in die Gesamtstruktur des ÖPNV eingebettet wird – und wie rasch die regulatorischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen adressiert werden.

Schlussendlich könnte das NoWeL4-Projekt zur „Mobilität von morgen“ beitragen – doch die tatsächliche Wirkung hängt davon ab, wie konsequent die begleitenden Rahmenbedingungen (rechtlich, sozial, infrastrukturell) geschaffen werden.

Bald fahrerlos? Ziel ist, die Fahrzeuge für SAE Level 4 zuzulassen I © BVG/ Florian Bündig

Technische und projektbezogene Eckdaten – BVG NoWeL4

KategorieDetails
ProjektnameNoWeL4 – Nord-Westraum Level 4
ProjektträgerBerliner Verkehrsbetriebe (BVG)
ProjektpartnerMOIA (Volkswagen-Tochter), Technische Universität Berlin (TUB), IKEM (Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität)
Förderung / FinanzierungGefördert durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV); Fördervolumen ca. 9,5 Mio. EUR
FahrzeugtypVolkswagen ID. Buzz AD (Autonomous Driving) – vollelektrischer Kleinbus
Anzahl Fahrzeuge5 Fahrzeuge in der Pilotphase
AutomatisierungsgradSAE Level 4 (hochautomatisiertes Fahren; Betrieb auf definiertem Gebiet ohne menschliches Eingreifen erforderlich)
EinsatzgebietNordwestliches Berlin – Bezirke Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinickendorf
Testgebiet / Streckenlängeca. 15 km², überwiegend städtisches Umfeld mit gemischtem Verkehr
Projektlaufzeit2025 – 2027 (Pilotphase); möglicher Hochlauf ab 2028
Projektstart (technische Tests)Herbst 2025 (zunächst ohne Fahrgäste)
Betriebsstart mit FahrgästenVoraussichtlich erstes Halbjahr 2026
ZulassungsperspektiveSerienzulassung für Level-4-Fahrzeuge bis 2027 angestrebt
Fahrzeuglängeca. 4,7 m (Standard-ID. Buzz-Maße; angepasste Technikaufbauten möglich)
AntriebVollelektrisch (Batterieantrieb)
Sensorik / Wahrnehmungssystem13 Kameras, 9 Lidar-Sensoren, 5 Radar-Sensoren; kombiniert über zentrale KI-Steuerung
KommunikationVernetzte Fahrzeug-zu-Infrastruktur-Kommunikation (V2X), zentrale Leitstelle der BVG
Fahrgastkapazität4 – 6 Personen (Pilotfahrzeuge; Ziel ist flexible Nachfragemobilität)
BetriebsformOn-Demand-Shuttle mit virtuellen Haltepunkten, App-basierte Buchung über BVG-App
BarrierefreiheitAktuell noch nicht vollständig barrierefrei; Entwicklung barrierefreier Varianten geplant
ZielsetzungAufbau eines skalierbaren, autonomen ÖPNV-Systems für Berlin; Verbesserung der Erschließung in Randlagen; Beitrag zur Verkehrswende und Dekarbonisierung
BegleitforschungEvaluation durch TUB und IKEM (Verkehr, Energie, Akzeptanz, rechtliche Rahmenbedingungen)
Langfristige PerspektiveIntegration in BVG-Gesamtangebot; potenziell hunderte bis tausende autonome Fahrzeuge im Regelbetrieb bis Anfang der 2030er Jahre

27.10.2025