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Das 9-Euro Ticket – wie geht es weiter?

Das 9-Euro Ticket hat im Sommer 2022 einen Vorgeschmack auf das neue Deutschland-Ticket gebracht, welches voraussichtlich ab April 2023 starten soll I © UTM

Für den öffentlichen Nahverkehr ist dies ein ganz besonderer Sommer. Seit dem 1. Juni kost die Benutzung des von Bussen und Bahnen deutschlandweit nur 9 Euro – pro Person und Monat. Im Hinblick auf die hohe Inflation und somit gestiegenen Lebenshaltungskosten wurde das Experiment durch Bund, Länder, Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen in einem noch nie da gewesenen Kraftakt kurzfristig umgesetzt.

Während für viele Fahrgäste und Pendler das 9-Euro Ticket ein Segen ist, hat das Kopfzerbrechen über eine mögliche Fortführung des günstigen deutschlandweiten Tarifs bereits längst begonnen.

Dabei ist seit dem Start des 9-Euro Tickets der Erfolg eigentlich nicht zu übersehen: Seit dem Verkaufsstart Ende Mai wurden bis Anfang August bundesweit rund 38 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft. Zusammen mit den etwa zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die das vergünstigte Ticket automatisch erhalten, ist damit die vorher von der Branche kalkulierte Zahl von 30 Millionen Tickets pro Monat nicht nur erreicht, sondern sogar überschritten worden.

Regionalzug unterwegs im Allgäu – hier mit Diesellok der Baureihe 245 und Doppelstockwagen I © Deutsche Bahn AG/ Wolfgang Wagner

Andererseits mehren sich auch kritische Stimmen. Es geht dabei auch um die Frage, ob und inwiefern das 9-Euro Ticket dazu beigetragen hat, dass weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind. Und wer in den vergangenen Monaten im Regionalverkehr unterwegs war, mag auch festgestellt haben, dass einige Regionalzugverbindungen aufgrund des enormen Fahrgastandrangs an der Kapazitätsgrenze sind. Überfüllte Züge und daraus resultierende Verspätungen waren auf einigen Verbindungen zu beobachten.

53 Prozent der Fahrgäste nutzen das 9-Euro-Ticket für alltägliche Fahrten

Eine bundesweite Marktforschung mit 6.000 Interviews pro Woche, die der VDV und die Deutsche Bahn gemeinsam im Auftrag von Bund und Ländern koordinieren, zeigte, dass die Mehrheit der Fahrgäste das 9-Euro-Ticket für alltägliche Fahrten wie Arztbesuche, Shopping oder allgemeine Erledigungen nutzt. Auf die Frage „Wofür haben Sie Ihr 9-Euro-Ticket im Juni bereits genutzt bzw. wofür werden Sie es voraussichtlich in diesem Monat nutzen?“ antworteten 53 % der Ticketnutzer*innen mit „alltägliche Fahrten“, 39 % der Nutzer*innen fahren damit zur Arbeit, zur Ausbildungsstätte oder zur Schule. Immerhin noch 33 % nutzen das Ticket für Ausflugsfahrten, aber nur 14 % für die Fahrt in den Urlaub/Kurzurlaub (Mehrfachnennungen waren möglich). Allerdings ist nur ein leichter Verlagerungseffekt vom Auto zum ÖPNV zu erkennen. Nur drei Prozent der Befragten ließen ihr Auto zugunsten des ÖPNV stehen. 

Jedoch gibt es insbesondere in den Städten viele Erfolgsgeschichten. Zum Beispiel in Frankfurt/ Main: Nach Start des 9-Euro-Tickets sind die Fahrgastzahlen in den städtischen Frankfurter Verkehrsmitteln deutlich angestiegen. Das zeigen Zählungen und Befragungen, die die Nahverkehrsgesellschaft traffiQ ausgewertet hat. Etwa 19 Prozent mehr Fahrgäste nutzen danach U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse in Frankfurt im Vergleich zum Vormonat Mai. Das ist ein deutlich sichtbarer Effekt des 9-Euro-Tickets. Die Fahrgastzahlen aus der Zeit vor Corona werden damit aber noch nicht erreicht, die städtischen Verkehrsmittel konnten das höhere Verkehrsaufkommen hier gut bewältigen.

Das 9-Euro-TIcket als Fahrschein – auch Nutzer von ÖPNV Monatskarten profitierten von dem Angebot I

© Deutsche Bahn AG/ Volker Emersleben

Deutschlandweit lässt sich beobachten, dass das Ticket zu einer höheren ÖPNV Nutzung führt. Insbesondere auf bestimmten Regionalexpress Strecken, zum Beispiel zwischen Berlin und der Ostsee, sind Züge überfüllt. Teilweise führt dies dazu, dass es zu Verspätungen kommt, weil das Ein- und Aussteigen am Bahnsteig nicht mehr schnell genug funktioniert. Auf einigen Strecken wurden jetzt zusätzliche Züge bereitgestellt, um Überfüllungen zu vermeiden.

Und doch: auch auf den Straßen ist der Erfolg des 9-Euro Tickets messbar: Laut Analysen des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom für die Nachrichtenagentur dpa konnte in 23 von 26 untersuchten Städten eine Reduktion der Stauniveaus nachgewiesen werden.

Sicherlich ist hiermit noch keine Verkehrswende erreicht, denn hierfür benötigt es noch mehr attraktiven ÖPNV, insbesondere in ländlichen Regionen. Die bisherigen Daten zeigen, dass die Menschen sich zur Nutzung des ÖPNV auch durch den Preis überzeugen lassen. Rund ein Viertel der angetretenen Fahrten wären ohne 9-Euro Ticket gar nicht gemacht worden.

Mit dem Sylt Shuttle plus konnten Ausflügler mit dem 9 Euro Ticket auch nach Westerland/Sylt fahren – hier der Zug bei Gotteskoog I ©

Deutsche Bahn AG/ Uwe Miethe

Wie geht es weiter?

Das 9-Euro Ticket ist noch bis Ende August gültig. Seit Wochen schon häufen sich die Stimmen, die nach einer Fortführung des erfolgreichen Tickets rufen. Die verkehrspolitische und finanzielle Debatte hat längst begonnen und zwingt Bund, Länder, Aufgabenträger und Verkehrsbetriebe zum Handeln.

In Bezug auf die Organisation und Finanzierung gibt es allerdings noch unbeantwortete Fragen. Einerseits ist die tarifliche Umsetzung zu klären, da es bislang deutschlandweit kein einheitliches Fahrpreissystem gibt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie eine Fortführung finanziert werden könnte. Insgesamt kostet das 9-Euro Ticket den Bund 2,5 Milliarden Euro. Eine Fortführung der Finanzierung ist zumindest von Seiten des Bundesverkehrsministerium weder geplant, noch budgetiert.

Welche Vorschläge gibt es?

Aufgrund der vorhandenen Finanzierungslücke haben Parteien, Verbände und Vertretergruppen verschiedene Vorschläge ausgearbeitet. Ob und welche dieser Vorschläge zum Tragen kommt, werden die kommenden Wochen zeigen. Sicherlich ist dabei 

  • Verlängerung: die Linkspartei schlägt vor, das 9-Euro Ticket bis zum Jahresende zu verlängern. Die Kosten liegen dem Vernehmen nach bei über einer Milliarde Euro im Monat.
  • 29-Euro-Ticket: Die Verbraucherzentralen haben ein leicht buchbares Ticket für den Nahverkehr zum Preis von 29 Euro pro Monat vorgeschlagen – dies entspräche etwa einem Euro pro Monat.
  • 29-Euro landesweit/ 49-Euro bundesweit: Bündnis 90/ die Grünen schlagen zwei Tickets vor. Das 29-Euro Ticket gilt mindestens landesweit, aber auch für Regionen wie Berlin-Brandenburg oder Bremen-Hamburg-Niedersachsen (angelehnt an den Vorschlag des LänderPlusTickets des Verkehrsclubs VCD für achtVerkehrsregionen). Mit dem 49-Euro-Ticket können Kundinnen und Kunden bundesweit den ÖPNV nutzen.
  • 69-Euro-Ticket: Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat ein bundesweit gültiges ÖPNV-Klimaticket für 69 Euro im Monat als dauerhaftes Angebot vorgeschlagen, welches ab 1. September machbar wäre. Es würde zwar nicht wie das 9-Euro-Ticket automatisch für Abonnenten gelten. Die Kosten für den Bund würden sich auf etwa zwei Milliarden Euro im Jahr belaufen.
  • 365-Euro-Ticket: Schon länger diskutiert wird über ein Jahresticket für 365 Euro, also für einen Euro am Tag, welches es in Österreich gibt. Insbesondere die Umweltorganisation Greenpeace wies darauf hin, dass der Erfolg des 9-Euro-Tickets nicht mit einer Unterbrechung aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Eine lückenlose Fortführung bis Jahresende und ein «Klimaticket» für maximal einen Euro pro Tag ab Januar 2023 sei deshalb von hoher Bedeutung.

VDV weist auf schnelle politische Einigung für Anschlussregelung hin

Aus Sicht des VDV braucht es jetzt eine schnelle politische Einigung der verantwortlichen Akteure in Bund und Ländern, vor allem hinsichtlich der finanziellen Rahmenbedingungen. „Die unterschiedlichen Positionen der politischen Akteure sind ja nun bekannt. Allerdings sind wir damit noch keinen Schritt weiter in der Frage, wie es nach dem 9-Euro-Ticket, weitergehen soll. Hierfür müssten sich der Bund und die Länder jetzt sehr schnell einig werden, ob und wie ein Anschlussticket finanziert werden soll und welche Rahmenbedingungen wie etwa die räumliche und zeitliche Gültigkeit ein solches Ticket haben soll. Wir haben aus Branchensicht mit dem bundesweiten Klimaticket für 69 Euro im Monat bereits vor Wochen einen ökonomisch  und verkehrlich sinnvollen Vorschlag unterbreitet. Je länger eine finale Einigung ausbleibt, desto später kann ein Nachfolgeticket eingeführt werden. Wir brauchen also jetzt sehr zeitnah die nötigen politischen Beschlüsse, denn wir benötigen entsprechenden Vorlauf für eine operative und vertriebliche Umsetzung“, so Wolff abschließend.

Auch am Automaten erhältlich: Das 9 Euro Ticket I © Deutsche Bahn AG/ Volker Emersleben

Wie es jetzt weitergeht, bleibt abzuwarten, da auch die Auswertung der Zahlen des 9-Euro Ticket Sommers sicherlich eine entscheidende Rolle spielen wird. Ist der Preis ausschlaggebend oder die Einfachheit des Tickets? Fest steht, dass einer der größten Vorteile des 9-Euro Tickets seine Gültigkeit über alle Tarifzonen hinweg ist. Vielleicht wäre ein deutschlandweiter Tarif ein erster Schritt. Ob das Ticket tatsächlich 9 Euro kosten muss, ist diskutabel. Geht es nach den Fahrgästen, befürworten 80% der eine Fortführung des Angebotes. Die Finanzierung allein sollte nicht ausschlaggebend sein. Möglichkeiten hierfür gibt es. Zum Beispiel die Reduktion oder gar Abschaffung des Dienstwagenprivilegs.

16.08.2022
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