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Der ganzheitliche Ansatz: Irizar e-mobility

© UTM

Eine völlig neu erstellte Fabrik nach modernstem Standard ausschließlich für Elektrobusse – dazu gehörte vor wenigen Jahren noch eine gehörige Portion Mut. Die Firma Irizar e-mobilty im spanischen Baskenland ging dieses Wagnis ein und hat damit Erfolg.

UTM konnte die Anlagen in Aduna nahe San Sebastian/Donostia ausführlich besichtigen, Imanol Rego, General Manager Irizar e-mobility, und Aiora Contreras, die Leiterin der Unternehmenskommunikation und Public Relations, gaben dabei Auskunft über das Konzept, die Modelle, die Perspektiven des Unternehmens und nicht zuletzt auch eine aktuelle Markteinschätzung.

Imanol Rego, General Manager Irizar e-mobility, und Aiora Contreras, die Leiterin der Unternehmenskommunikation und Public Relations, vor dem ‚ie truck‘ und einer ‚ie tram‘ für Vitoria-Gasteiz | © UTM/b
E-Bus exklusiv

Irizar e-mobility ist eine 100% Tochtergesellschaft der Irizar-Gruppe, die selbst in Form einer Kooperative organisiert ist – ein Konzept, das in der Region durchaus verbreitet ist und neben anderen Faktoren auch eine sehr starke Bindung und Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen zur folge hat. Irizar ist seit mehr als 130 Jahren vor allem als Karosseriebauer im Land bekannt und hat hier bis heute nennenswerte Marktanteile im Reise- und Überlandbusgeschäft. Die Gruppe besteht aus den acht Unternehmen Irizar, Irizar e-mobility, Alconza, Datik, Hispacold, Masats, Jema und Creatio, mit insgesamt 13 Produktionsstandorten.

Beim Thema Elektromobilität wagte sich die Gruppe auf ein völlig neues Feld vor – ein Feld, in dem Imanol Rego eindeutig die Zukunft für den Stadtbusmarkt sieht. “In wenigen Jahren werden E-Busse den Markt sehr stark dominieren, Busse mit Verbrennungsmotoren werden auf Sicht nur noch eine deutlich geringere Rolle mehr spielen.” Irizar begann schon 2011, “electric power train solutions” für Stadtbusse zu entwickeln, zu einer Zeit, als von solch einer Perspektive die meisten Branchenanbieter noch sehr weit entfernt waren. 2014 wurden die ersten E-Busse ausgeliefert, 2016 “Irizar e-mobility” als eigenständiges Konzernunternehmen gegründet, und 2018 fand schließlich die Einweihung der neuen, ganz nach Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten errichteten Fabrikation in Aduna statt, der ersten in Europa ausschließlich für die Produktion von E-Bussen. Auf 18.000 qm steht dort aktuell eine Produktionskapazität für rund 650 Fahrzeuge im Jahr zur Verfügung, die mit einigen Anpassung schnell auf bis zu 1000 Einheiten gesteigert werden kann.

Irizar e-mobility in Aduna | © Irizar e-mobility
Die Modellpalette

Das Produktportfolio umfasst gegenwärtig die beiden Elektrobus-Modellreihen “ie bus” und “ie tram”, dazu kommt seit neuestem ein E-Lastwagen Modell unter dem Namen “ie truck”.

Die beiden E-Bus-Reihen nutzen die gleiche technische Plattform, sind aber im Design unterschiedlich ausgestattet. Während sich die “ie bus” Reihe äußerlich eher an klassische Omnibusmodelle anlehnt, nehmen die deutlich anders gestalteten “ie trams” klar Bezug auf das Design zeitgemäßer Niederflurtrams. Sie finden deshalb häufig bei BRT-Systemen, d.h. Buslinien mit hohem Anteil an eigenen Trassen und Präferenz an Signalanlagen, was für eine weitgehend unbehinderte, störungsfreie Fahrt vergleichbar von Tramsystemen sorgen soll.

Allerdings liegen beiden Modellreihen jeweils eigene Designentwürfe zugrunde, die nicht auf bisherigen oder gleichzeitig angebotenen Dieselbusmodellen basierenden. “Damit soll auch schon rein optisch der Paradigmenwechsel, den die Hinwendung zur Elektromobilität im ÖPNV (vor allem auf der Straße) bedeutet, klar hervorgehoben werden. Wir sprechen von ‘organischem Design’, die Verwendung organischer, nachhaltiger Materialien steht bei der Produktion im Mittelpunkt”, so Imanol Rego. “Fahrgäste nehmen diesen neuen Ansatz klar positiv wahr, unsere Fahrzeuge erregen Aufmerksamkeit gerade im Vergleich zu etablierten Dieselbusmodellen”, ergänzt Aiora Contreras.

ie bus

ie bus | © UTM/b

Das ie bus Modell wird in vier verschiedenen Längen angeboten: als Zweiachser mit 10,62m und 12,16m, als Dreiachser mit 14,83m und als Gelenkwagen mit 18,73m. Einstiegskonzept, Türanordnung und Innenraumaufteilung sind variabel nach Kundenwunsch zu gestalten. Das ie bus Konzept ist ein eigener Designentwurf, der sich jedoch stärker an konventionelle Stadtbusmodelle anlehnt als die zweite Modellreihe:

ie tram

ie tram in 12-Meter Ausführung, am Strand von San Sebastian/Donostia | © Irizar e-mobility

Im Vergleich dazu nehmen die ie tram Modelle beim externen Design starke Anklänge an modernen Straßenbahnmodelle und erregen deshalb auch nochmals mehr Aufmerksamkeit. Die ie tram wird in den Längen 12,16m und 18,73m angeboten.

Bei der Innenraumgestaltung kommen unkonventionelle Komponenten besonders zum Ausdruck, wie etwa die tiefliegenden, zusätzlichen Fensterbereiche auf Kniehöhe der Fahrgäste, das Holzdesign der Fußböden im Kontrast zu den metallisch gestalteten Sitzen, die teilweise transparente Gestaltung der Gelenkportale und etliche andere Details. Die schräggestellte Frontpartie ist optisch sehr markant und erlaubt im Frontbereich zwar nur eine einfache Eingangstür, doch gerade bei BRT-Systemen ohne Fahrgastabfertigung/-service durch den Fahrer ist das in der Regel kein einschränkendes Kriterium.

Als neuste Version, entwickelt auf speziellen Kundenwunsch, ist eine Art Zwischenmodell ebenfalls im Angebot: Dabei handelt es sich um Fahrzeuge der ‚ie bus‘ Karosserievariante (mit doppelbreiter Vordertür), aber zusätzlich ausgestattet mit diversen Designelementen der ‚ie tram‘. Äußerlich sind diese Wagen vor allem an den zusätzlichen Fensterpartien auf Kniehöhe der Fahrgäste unterhalb der normalen Seitenfenster erkennbar. Die bulgarische Stadt Burgas hat dieses Modell geordert, in Kürze sollen die ersten Einheiten als Gelenkwagen ausgeliefert werden.

Alle Zweiachser-Modelle haben eine Motorleistung von nominell 180 kW, der Dreiachser und die Gelenkwagen von 240 kW. Die Batteriekapazität liegt bei max. 350 kWh bei den Zweiachsern, max. 490 kWh beim 15m- Dreiachser und max. 525 kWh bei den Gelenkwagen. Irizar verwendet Lithium-Ionen-Batterien, die neben dem Hauptwerk in einer benachbarten, eigenen Anlage selbst hergestellt werden. Auch diese Fertigung ist ganz neu, sie wurde erst im September 2020 eingeweiht. Mit Mit einer weiterentwickelten Batteriegeneration wird schon bald eine deutliche Kapazitätssteigerung erwartet.

Ladekonzepte

Angeboten werden drei Ladekonzepte:

– Langsames Laden (Energy Pack) ist für den täglichen Betrieb mit einer einzigen Tagesladung in ca. 3-4 Stunden ausgelegt

– Schnell-Laden (Nano Pack): Die Ladung kann sowohl langsam als auch schnell erfolgen. 1 Aufladung pro Tag in 20-30 Minuten ist vorgesehen

– Ultra-schnelles Laden (Power Pack) ist als Lösung für einen 24/7-Betrieb mit einer Ladung von bis zu 600 kW vorgesehen.

@ Irizar e-mobility

Für das Gelegenheitsladen (Opportunity charging) an bestimmten Stellen im Liniennetz können sowohl auf dem Dach montierte Stromabnehmer als auch “inverted pantographs” an den Ladestationen verwendet werden, je nach Systemanforderung des Kunden.

Während der Entwurf einer verlängerten Gelenkbusvariante eine der Optionen für das künftig erweiterte Produktportfolio sein kann, sind Doppelgelenkbusse derzeit nicht vorgesehen, ebenso wenig wie eine Trolleybusversion aus dem Hause Irizar. Dagegen widmet Irizar der Brennnstoffzellentechnik durchaus Aufmerksamkeit zu, u.a. durch die Teilnahme an der Basque Hydrogen Corridor Initiative.

Markteinschätzung

Aktuell verkauft Irizar e-mobility etwa 70% seiner Produkte ins Ausland – sowohl was die aktuellen Auslieferungen als auch den Auftragsbestand betrifft. Imanol Rego sieht auch in absehbarer Zukunft sehr gute Perspektiven im Exportgeschäft, auch wenn der einheimische Markt durchaus Nachholpotential erkennen lässt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. “In den den kommenden 2-3 Jahren erwarten wir ein Marktpotential von etwa 3.000 batterie-elektrischen Bussen pro Jahr in Europa.” 2020 lagen die Zulassungszahlen in der EU, Schweiz, Norwegen und UK zusammen bei rund 1.600 Einheiten (2.272 einschl. Brennstoffzellen- und Plug-In-Hybrid-Bussen), das entspricht einem Anteil von aktuell weniger als 7% der Neuzulassungen aller Linienbusse, nach Zahlen der European Automobile Manufacturers’ Association ACEA. Imanol Rego verweist auf die Vorgaben der EU: “Nach der beschlossene ‘Clean-Vehicles-Directive‘ müssen bis 2025 mindestens 22,5% der neuen Stadtbusse emissionsfrei unterwegs sein, bis 2030 32,5%. Um dies umzusetzen, sind ganz erhebliche Investitionen nötig, und der Elektrobus wird dabei eine ganz entscheidende Rolle spielen.”

Aus einer Hand

Irizar e-mobility sieht sich als System-Anbieter – die Lieferpalette deckt nicht nur die Fahrzeuge selber ab, für die zudem Komponenten wie Motoren, Batterien, Bordinformationssystem, Klima Management und Türen, Rampen etc. in hohem Anteil im eigenen Haus hergestellt werden. Vielmehr gehört auch die Ladeinfrastruktur und das IT-seitige Verkehrsmanagement dazu. Damit wird den Kunden ein ganzheitlicher Ansatz geboten, sowohl der Erwerb als komplettes System als auch die reine Fahrzeugbeschaffung im Rahmen bestehender Flotten und Infrastruktur ist möglich und üblich.

Der aktuell erfreuliche Lieferbestand sorgt für eine gute Auslastung der Fertigungskapazitäten. In Produktion und vor der Auslieferung sind aktuell Lieferungen nach Schaffhausen, Genua, Strasburg, Orleans, Madrid, Vitoria-Gasteiz, Burgas. In Kürze folgen werden Barcelona, Zaragoza, Frankfurt, Bern, Liechtenstein u.a. Darüber hinaus wurde ein Rahmenvertrag zur Lieferung von bis zu 113 Wagen mit der RATP Paris geschlossen: https://www.urban-transport-magazine.com/elektrobusse-in-paris-rahmenvertraege-und-erste-vergabeentscheidungen-auch-ein-grossauftrag-fuer-irizar/

Als neueste Produktlinie führt Irizar e-mobility gerade “ie truck” vor und stellt ihn zur Erprobung zur Verfügung. Es handelt sich dabei um batterie-elektrisches Lkw-Modell für Anwendung u.a. im kommunalen Bereich z.B. der Abfallwirtschaft, aber auch im Bereich der Logisitik. Und das wird sicher nicht die letzte Neuerung sein, mit der das Unternehmen aus dem Baskenland den Markt in den kommenden Jahren überrascht.

ie truck | © UTM
Der allererste ausgelieferte Irizar Elektrobus ging 2014 nach San Sebastian/Donostia | © UTM/b


Aktuell fahren die E-Busse von Irizar u.a. in den Städten Amiens, Biarritz-Bayonne, Le Havre, Marseille, Aix-en-Provence, Madrid, Barcelona, Zaragoza, San Sebastian, Bilbao, Tolosa, Las Palmas, Düsseldorf, Hamburg, Luxemburg, Genua, Branganza und London.


Auswahl weiterer Artikel über Irizar in UTM:

https://www.urban-transport-magazine.com/cts-strassburg-stellt-die-neuen-bunten-irizar-elektrobusse-vor/
https://www.urban-transport-magazine.com/zaragoza-kauft-68-elektrobusse-von-irizar/
https://www.urban-transport-magazine.com/rheinbahn-nimmt-neue-irizar-e-busse-in-betrieb/
https://www.urban-transport-magazine.com/irizar-liefert-18-meter-gelenkbus-nach-frankfurt-main/
https://www.urban-transport-magazine.com/neue-irizar-elektrobusse-fuer-die-emt-madrid/
https://www.urban-transport-magazine.com/autonomer-elektrobus-von-irizar-in-malaga/

ie tram als 18-Meter-Gelenkwagen bei der TMB Barcelona | © UTM/b
16.09.2021
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