In über 50 Metern Metern Höhe über eine Autobahn, eine Eisenbahnstrecke und über einen Park zur Schule, Arbeit oder Bahnhof fliegen? Das wird bald zwischen Créteil und Limeil-Brévannes im Südosten von Paris Wirklichkeit. Mit dem Bau der ersten urbanen Seilbahn im gesamten Pariser Ballungsraum (Île-de-France) werden ab dem Jahr 2025 Pendler in den Genuss eines neuen Verkehrsmittels kommen, welches die Meisten eher aus dem Winter- oder Sommerurlaub in den Bergen kennen: es handelt sich um die Seilbahn. Natürlich kommt die urbane Seilbahn ganz modern und angepasst an die Anforderungen des städtischen ÖPNV daher. Neben der Lackierung in den Farben von IdF-Mobilités (dem zuständigen Aufgabenträger) zeichnen sich die Kabinen durch komfortable Sitze, Fahrgastinformation, Infotainment, CCTV sowie Sicherheitsfunktionen aus. Werfen wir einen Blick auf die Planung und Ausführung des Projektes.
Die Streckenführung und städtische Implementierung
Die 4,5 km lange Strecke führt von der heutigen Endstation Créteil der Metrolinie 8 in südliche Richtung, um dabei sowohl bereits besiedelte als auch durch im Entstehen begriffene Stadtteile wie die Zac Pologne in Villeneuve-Saint-Georges oder Joliot-Curie in Valenton zu erschließen. Bedient werden dabei über fünf Stationen (Pointe du lac, Limeil-Brévannes, Valenton, La Végétale, Vila Nova), wo in lokale Zubringerlinien mit Bussen umgestiegen werden kann. Der Haltestellenabstand beträgt zwischen 0,5 und 1,8 km.
Die größte Herausforderung dieser ersten Seilbahn in der Île-de-France darin, die von Eisenbahnlinien, Nationalstraßen, einem Grünstreifen sowie Wohn- und Industrieanlagen durchzogenen Stadtviertel zu überspannen und gleichzeitig anzubinden.
Auf dem ersten Abschnitt wird der 110 m breite SNCF Rangierbahnhof von Valenton überflogen. Um das Tragseil über die mit 25 kV 50 Hz Oberleitung elektrifizierten Gleise zu spannen, wurden beiderseits des Güterbahnhofs eine aufwändige Krankonstruktion errichtet, die sich von beiden Seiten näherten.
Darüber hinaus wird eine Hochspannungsleitungen der RTE (Réseau de Transport d’Électricité), gequert (unter der Leitung) und ein Park sowie eine Alkoholbrennerei werden entlang der Strecke „überflogen“. Jedes Element musste aus technischer und sicherheitstechnischer Sicht analysiert und geplant werden. Sicherheitsabstände müssen eingehalten werden und im Falle der Schnapsbrennerei aufgrund des Brandrisikos entsprechende Gutachten erstellt werden.
Im folgenden Video wird die Streckenführung vorgestellt:
Im Rahmen der Streckenplanung war außerdem auch Ziel, die Anzahl der zu fällenden Bäume möglichst gering zu halten. Außerdem wurden im Rahmen des Baus 500 neue Bäume gepflanzt.
Dank des umweltschonenden Charakters der Anlage wurde die Seilbahn mit dem französischen Qualitätssiegel „HQE“ (Haute Qualité Environnementale) ausgezeichnet, welches besonders ressourcen- und umweltfreundliche Gebäude würdigt.
An der südlichen Endstelle in Vila Nova tangiert die Strecke einen Acker. Bei der Planung und dem Bau der Seilbahnstrecke wurde hier besonders darauf geachtet, dass die landwirtschaftliche Nutzung des Ackers möglichst nicht eingeschränkt und die Aussicht der Anwohner nicht beeinträchtigt wird.
Infrastruktur und Technik
Besonders stolz sind Planer, Hersteller und Betreiber auf die Tatsache, dass alle fünf Station „ebenerdig“ zu erreichen sind. Dies vereinfacht den Zugang für alle Fahrgäste, insbesondere für Personen mit reduzierter Mobilität, Familien mit Kinderwagen und Pendler mit Gepäck. Dadurch konnte vollständig auf Fahrstühle verzichtet werden. In Créteil wurde eine neue Übergangsbrücke zur Metro gebaut.
Insgesamt verfügt die Seilbahn über 105 Kabinen mit einer Beförderungskapazität 10 Personen pro Kabine. Der Innenraum ist modular gestaltet und kann flexibel an die Bedürfnisse angepasst werden. Auch für Rollstuhlfahrer und Kinderwagen ist Platz. Die Anzahl der Kabinen kann zu einem späteren Zeitpunkt auf bis zu 130 erhöht werden. Die Verkehrskapazität beträgt 2000 Fahrgäste pro Stunde pro Richtung – täglich sollen bis zu 11.000 Fahrgäste befördert werden können. Es wird eine Frequenz von 23 Sekunden, also knapp einer halben Minute, angestrebt. Die Fahrzeit wird 18 Minuten betragen.
Entlang der Strecken wurden 30 Masten gesetzt, die jeweils 150 Meter voneinander entfernt stehen.
Design und Architektur
Formen und Farben spielen im französischen ÖPNV seit Jahrzehnten einer sehr wichtige Rolle – auch bei der Seilbahlinie C1. So wurden die Masten für eine bessere urbane Verträglichkeit als an der Spitze aufgespaltene „Flügel“, die nachts beleuchtet werden, was sie durchaus dynamisch aussehen lässt.
In Bezug auf die Auswahl des Außendesigns der Kabinen durfte die lokale Bevölkerung sogar mitreden. Anfang 2022 wurde eine öffentliche Umfrage gestartet, bei der Interessierte Bürger sich für ein Design entscheiden durften. Aus den vorgestellten Lackierungsvarianten wurde das „Design 3“ ausgewählt, welches aufgrund der Farbgebung auch „Smiley“ genannt wird.
Die Seilbahnstationen zeichnen sich neben der Zugänglichkeit durch helle Räume und eine verträgliche urbane Integration aus. Die Dächer sind mit Photovoltaikanlagen ausgestattet. Die gewonnene Energie wird für die Versorgung der elektrischen Anlagen genutzt.
Planung, Bau und Betrieb
Wie auch bei anderen ÖPNV-Projekten wie Straßenbahn- und Metrostrecken üblich, war eine detaillierte Vorplanung mit resultierender „Deklaration d’Utilité Publique“ und öffentlicher Beteiligung der Bevölkerung notwendig.
Erste Machbarkeitsstudien begannen im Jahr 2008 bis 2013. Die Vorplanung (DOCP, Objectifs et de Caractéristiques Principales) erstreckte vom Jahr 2014 und wurde im Jahr 2016 abgeschlossen,. Nach weiteren Detailplanungen, die sich von 2016 bis 2018 erstreckten, wurde das Projekt im Juli 2018 durch das „Board von Île de France“ bestätigt.
Die folgende Auflistung zeigt die Entwicklung chronologisch im Detail:
- 2008 – 2013: Erste Machbarkeitsstudien
- 2014 – 2016: Vorplanung, um die für die öffentliche Anhörung („consultation publique“) erforderlichen Informationen über Streckenführung und Bahnhöfe festzulegen
- September – Oktober 2016: öffentliche Anhörung („consultation publique“)
- 2016 – 2018: Detailplanung
- 2019: Öffentliche Untersuchung und Erklärung der Gemeinnützigkeit („déclaration d’utilité publique“)
- 2021: Vergabe des Gesamtleistungsauftrags für die Planung-Realisierung-Wartung des C1 / Fertigstellung der Vorentwurfsstudien (AVP) an „Doppel France“, der französischen Tochtergesellschaft von Doppelmayr
- 2022: Studie zur Organisation der Bauarbeiten / Beginn der Vorarbeiten (Umleitung von Strom-, Wasser- und Gasleitungen)
- 2023 – 2024: Infrastrukturarbeiten: Bau der Seilbahn, der Stationen und ihrer Einrichtungen
- 2025: Eröffnung
Die Bauarbeiten begannen im Mai 2023, die erste Stütze wurde im Oktober 2023 gesetzt und das Abrollen des Seils begann im Sommer 2024. Im September 2024 wurde die letzte Stütze gebaut.
Aufgrund des Gewichts des Seils (10 kg/Meter und ein Durchmesser von 5 cm) erfolgt der Abrollvorgang in mehreren Schritten, wobei mehrere Seile nacheinander mit immer größerem Durchmesser bis zum endgültigen Seil abgerollt werden. Ein dickeres Seil ersetzt dabei immer jeweils ein dünneres, bis das finale Seil gespannt ist. Abgeschlossen wird dieser Prozess mit dem sogenannten „Spleißen“, bei dem es sich um die Verbindung der beiden Seilenden handelt.
Das Seil selbst besteht aus Metalldrähten („Litzen“), die mit schwarzen Kunststoffprofilen verflochten sind. Diese Ausführung macht das Seil fast glatt, so dass Vibrationen und Geräusche der vorbeifahrenden Kabinen drastisch reduziert und das Seil robuster macht.
Die Planung, Realisierung und Instandhaltung des Cable C1 wurde von der Arbeitsgemeinschaft Doppelmayr France / Spie Batignolles / France Travaux / Egis Rail / Atelier Schall unter der Bauherrschaft von Île-De-France Mobilités durchgeführt. Das 132 Mio. teure Projekt wird zu 49 % von der Region Ile-de-France, zu 30 % vom Departement Val de Marne und zu 21 % vom Staat finanziert. Transdev, die bereits Erfahrung im Betrieb von Stadtseilbahnen hat, wurde mit dem Betrieb der Linie C1 beauftragt.
Nun darf man auf die Eröffnung Jahr 2025 gespannt sein und darauf hoffen, dass auch andere Ballungsräume in Frankreich und Europa das Verkehrsmittel Standseilbahn in der ÖPNV-Landschaft einführen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Korridore, die sich in der Île-de-France für die Einführung von Seilbahnen eignen.
15.10.2024