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Die Rhätische Bahn in Augsburg muss gerettet werden

Hier nähert sich eine kleine Dampflokomotive, nein, heute sind es zwei, die beide heftig qualmen, sie ziehen ein paar historische Personenwagen, dort kündigt der Lautsprecher gerade den nächsten Personenzug an, und hier zieht eine moderne Lokomotive einen Güterzug mit Containern von Valser Wasser und Co-op. Und, ja, auch der berühmte Glacier Express der Rhätischen Bahn im Schweizer Bergkanton Graubünden fährt gerade vorbei. Überall hat es Leute, manche im Badeanzug im Schwimmbad oder auf ihrer Dachterrasse. Dort drüben, oh Schreck, brennt gerade ein Haus bis auf die Grundmauern nieder, die schwarzen Balken sind noch zu sehen und der Rauch verzieht sich gerade. Auf den Abstellgleisen stehen mehr von den berühmten Krokodil-Lokomotiven der Rhätischen Bahn als diese selbst hat. Und schau dort, gerade wartet ein moderner Regionalzug vom Typ Capricorn vor dem roten Signal auf die Weiterfahrt.

Das alles ist Wirklichkeit, allerdings im Modell, auf einer riesigen Modelleisenbahnanlage auf einer Fläche von rund 300 Quadratmetern im Augsburger Bahnpark mit Modellfahrzeugen in Spur G mit einer Spurweite von 45 mm, im Maßstab 1:22,5 mit beinahe eineinhalb Kilometern Geleisen und 155 Weichen die weltweit größte öffentlich zugängliche Fahrzeugsammlung der Rhätischen Bahn. Neben beinahe 1000 Wagen und Lokomotiven sind auch mehr als 6000 Figürchen, Menschen und Tiere in den verschiedensten Szenarien aufgestellt. Auch Harry Potter ist dort in Miniatur zu sehen, genau so wie auch der Mentor und Promotor der Anlage, der Bahn- und Informatikspezialist Jürgen Drexler, in 3D gedruckt, irgendwo zwischen den anderen Figürchen. 

Jürgen Drexler hat die Anlage mit anderen Bahnbegeisterten in Freiwilligenarbeit in den 10 Jahren seit 2013 sukzessive aufgebaut. Sie hat zwei Ebenen, auf denen gleichzeitig bis zu 16 über 5 Meter lange Züge verkehren können. Wie bei der grossen Eisenbahn gehorchen sie einer automatischen Zugsteuerung und bleiben wie diese vor Halt zeigenden Signalen stehen. Aber was heißt schon Anlage? Es ist absolute Liebhaberei. Die Loks haben Soundmodule und klingen wie die Originale. Dampfloks fahren mit Rauchgenerator. Und der Reichtum an kleinen und großen, mit viel Liebe gebauten Geschichten, Alltags- und anderen Szenen ist es, was diese Modellanlage so beliebt macht.

An manchen Öffnungstagen strömen 300 bis 500 Besucher in die Halle, darunter viele Familien, von denen manche bis zu zweieinhalb Stunden an der Modellanlage verbringen. Es ist nicht nur der lange, belebte Bahnhof, der die Blicke auf sich zieht. Eigentlich steckt jeder Quadratdezimeter der Anlage voller neuer Eindrücke. Wenn jeweils im November der Bahnpark die „Nacht der Giganten“ ausruft, läuft die Modellbahn zur Hochform auf: Dann nämlich ist sie bis im letzten Winkel beleuchtet – mit mehr als 220 Lampen sowie unzähligen LEDs. Und die Züge rattern mit hellen Scheinwerfern und roten Schlusslaternen durch die Nacht.

Aber leider fährt die Rhätische Bahn in Augsburg nur noch bis zum 9. November 2024 in ihrer letzten „Nacht der Giganten“. Dann ist Schluss, sie muss hinaus, die ehemalige Lokomotivhalle wird renoviert und andern Zwecken zugeführt. Die Anlage wird abgebaut und zwischengelagert. „Die große Hoffnung ist, dass wir eine neue Bleibe finden, wir sind für jeden Hinweis dankbar.“ sagt Jürgen Drexler. Wo findet die Schweizer Bahn Asyl? Die Erlebnisbahn, die einen kompakten Überblick über die Fahrzeughistorie der RhB gibt, soll wieder aufleben, am liebsten in Augsburg oder nicht zu weit davon entfernt.

Webseite: www.modellbahn-im-bahnpark.eu

Kontakt: tramway“at“christeller.net

03.10.2024