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Dreimal SPNV von Genf ins französische Umland

Ein Zug des Léman Express im unterirdischen Bahnhof Genève-Champel I © CEVA/ SBB CFF FFS

Gleich drei Bahnverbindungen zwischen Genf und den angrenzenden französischen Gebieten wurden am 15. Dezember 2019 eröffnet: die S-Bahn „Léman Express“, das größte grenzüberschreitende Nahverkehrsnetz Europas, Regionalzugverbindungen von Annemasse in die Schweiz und die neue Straßenbahnlinie 17.

Die grenzüberschreitende schweizerisch-französische Agglomeration „Grand Genève“ zählt 980 000 Einwohner, rund 40 % davon auf französischem Gebiet, mit steigender Tendenz. Zwei Drittel der Arbeitsplätze befinden sich in Genf. Dies erzeugt täglich rund 450 000 Fahrten zwischen den Kantonen Waadt und Genf sowie rund 150 000 Fahrten zwischen Frankreich und dem Kanton Genf mit entsprechenden Staus, von denen heute lediglich 16 % hauptsächlich mit dem Öffentlichen Verkehr bewältigt werden.

Die Schienenverbindung „CEVA“

Der Staatsvertrag zum Bau der Bahnverbindung von Genf nach dem französischen Annemasse (Cornavin – Eaux-Vives – Annemasse, abgekürzt „CEVA“), einer Verbindungsstrecke, die das Schweizer Bahnnetz mit dem benachbarten französischen verbindet wurde im Jahre 1881 geschlossen, aber erst jetzt umgesetzt. Seit dem 15. Dezember 2019 verbinden die 16,1 km der „CEVA“, die seit 2011 größtenteils neu, unterirdisch und doppelspurig auf der Schweizer Seite gebaut wurden, Genf mit Annemasse. Fünf neue unterirdische Bahnhöfe wurden in Genf gebaut, während der Bahnhof Annemasse von vier auf sechs Gleise erweitert wurde um die zusätzlichen Züge empfangen zu können.

Erste Nutzererfahrungen sprechen von schlechter Zugänglichkeit der neuen Genfer Bahnhöfe für Personen mit Behinderungen, zu langen Wegen in den Stationen, zu wenig und zu schmalen Rolltreppen.

Die S-Bahn „Léman Express“

Für die S-Bahn „Léman Express“ im schweizerisch-französischen Grenzraum um Genf, die am 15. Dezember 2019 ihren Vollbetrieb aufnahm, ist die „CEVA“ das Kernstück. Sie erschließt ein S-Bahn-Netz von 230 km Länge mit 45 Bahnhöfen, die alle mit rund 150 m Bahnsteiglänge für die 72 bis 74 m langen S-Bahn-Züge in Doppeltraktion ausgelegt sind. Die Bauzeit betrug 8 Jahre und das Projekt kostete 1,7 Mrd. €, von denen rund 1,4 Mrd. € auf die Schweiz entfielen. Allein die 40 neuen Züge kosteten insgesamt rund 360 Mio. €. Als Gesprächspartner für die Behörden, für rechtliche Fragen, Angebotsplanung, Kommunikation, Marketing, Betriebsqualität, Rollmaterial und Kundeninformation, wurde eine gemeinsame Aktiengesellschaft „Lemanis SA“, nach Schweizer Recht mit Sitz in Genf gegründet. Diese ist zu 60 % im Besitz der SBB und zu 40 % der SNCF. 

Plan und Integration ins schweizerische und französische Bahnnetz der „CEVA“-Linie in Genf I © romano 1246 / Wikipedia

Im Kernbereich zwischen Coppet über Genf-Cornavin nach Annemasse bietet der „Léman Express“ werktags einen 10-Minuten-Takt an. Er betreibt 6 Linien mit insgesamt 240 täglichen Zugsfahrten und verbindet von Coppet im Schweizer Kanton Waadt über Genf mit dem französischen Umland zwischen Evian, Bellegarde sur Valserine, Annecy und Saint-Gervais-Le-Fayet bei Chamonix. Sie erschließt somit einen Durchmesser von gegen 100 km um Genf und bietet Anschlüsse sowohl ins schweizerische als auch ins französische Bahnnetz. 

Es wurden insgesamt 40 vierteilige 160 km/h schnelle Niederflur-Mehrsystem- Gliederzüge mit ca. 2 MW Dauerleistung beschafft. Die Schweizer SBB haben ihre Züge beim heimischen Hersteller Stadler gekauft, nämlich 23 kostengünstige Flirt France (RABe 522). Sie sind 74 m lang, haben 8 Türen pro Seite, 181 Sitzplätze, davon 20 in der ersten Klasse, und können unter der schweizerischen Spannung von 15 kV 16,7 Hz und der französischen von 25 kV 50 Hz fahren. Die SNCF hat 17 Régiolis (Z 31500) von Alstom beschafft. Diese sind 72 m lang, haben 7 Türen und 204 Sitzplätze, und sind dank Dreisystemtraktion mit zusätzlich 1500 V Gleichstrom auch anderswo in Frankreich einsetzbar. Eine gemeinsame Bestellung hätte sicherlich dank Skaleneffekt wesentliche Kosteneinsparungen ergeben können.

Linienplan des Léman Express I © Léman Express

Der „Léman Express“ soll weitere 12 % von der Straße auf die Schiene verlagern und täglich 50 000 Personen, ein Teil davon im französisch-schweizerischen Grenzverkehr, befördern. Wenn der Gesamtverkehr wie in den vergangenen Jahren weiterhin um rund 5000 tägliche Fahrten zunimmt, wird die Straße weiterhin überlastet sein.

Vergleicht man die Zürcher S-Bahn mit einem Einzugsgebiet gleicher Größenordnung und einer mit 1,1 Millionen um rund 12 % größeren Bevölkerungszahl, so scheint der „Léman Express“ stark unterdimensioniert und wird damit kaum fähig sein, wesentliche zusätzliche Anteile des Individualverkehrs zu  übernehmen. In und um Zürich fahren rund 250 Doppelstockzüge mit einem gesamten Sitzplatzangebot von rund 90 000 Sitzplätzen, die täglich gegen 600 000 Fahrgäste transportieren; der „Léman Express“ bringt es gerade mal auf 40 einstöckige Züge mit knapp 8000 Sitzen und erwartet somit auch nur 50 000 Fahrgäste; unter Ausnützung aller Reserven könnten vielleicht gegen 90 000 erreicht werden; alle anderen werden weiterhin die Straße benützen müssen.

Für die Zeit nach 2025 sind Kapazitätserweiterungen im Bereich des Bahnhofs Genf-Cornavin vorgesehen und nach 2035 sollen neue, hauptsächlich innerstädtische Strecken den „Léman Express“ ergänzen.

Die Züge des Léman Express. Links: Der RABe 522 der SBB, 1. Klasse am Zugsende. Rechts: Der Z 31500 der SNCF, 1. Klasse in der Mitte I © Léman Express

Regional-Express in die Schweiz

Die „CEVA“ wird nicht nur vom „Léman Express“ genutzt; zusätzlich zu den S-Bahn-Zügen fahren halbstündlich doppelstöckige Regional-Express-Züge der SBB von Annemasse über Genf nach Lausanne und weiter. Eingesetzt werden die 13 sechsteiligen, 150 m langen Doppelstock-Triebzüge Typ RABe 511 für 15 KV 16,7 Hz von Stadler mit je 535 Sitzplätzen, davon 120 in der ersten Klasse, die bereits seit 2012 zwischen Lausanne und Genf verkehren, und die auch bei der S-Bahn Zürich fahren.

Die Grenzstation zwischen Genf und Annemasse der TPG-Tramlinie 17, Blick von Genf Richtung Frankreich I © MHM55 / Wikipedia

Leistungsfähige Straßenbahn von Annemasse nach Genf

Am gleichen Tag, dem 15. Dezember 2019, wurde auch die erste Phase der neuen Tramlinie 17 der Genfer „Transports Publics Genevois“ (TPG) in die angrenzende französische Stadt Annemasse nach 61 Jahren und gut zwei Jahren Bauzeit wiedereröffnet. Sie verbindet Annemasse zu Spitzenzeiten alle 9 Minuten in rund 25 Minuten beinahe gleich schnell wie der Léman Express mit dem Bahnhof Lancy-Pont-Rouge-Gare in Genf, wo gleichzeitig ein werktags geöffnetes Kundenzentrum eingerichtet wurde. Sie bietet gute Übergänge zu den Genfer S-Bahnhöfen, führt aber nicht zum Bahnhof Annemassse. Auf Schweizer Seite besteht die von der Linie 12 bediente Strecke zur Grenzstation Moillesullaz seit 1882. Die erste Phase der Verlängerung beinhaltet nun vier Haltestellen in Annemasse, im Endausbau werden es bis 2022 auf einer Länge von 3,3 km insgesamt sieben Haltestellen sein. Erwartet werden tägliche 12 500 Fahrgäste. Die Gesamtkosten betragen 85,6 m€, die je ungefähr hälftig von schweizerischen und französischen Stellen finanziert werden. Die Strecke besteht weitgehend aus Rasengleis ohne Wendeschleife am Ende. Der Betrieb wird mit den bestehenden niederflurigen Zweirichtungsfahrzeugen der TPG-Straßenbahnflotte, Bombardier Cityrunner und Stadler Tango, durchgeführt.

Eine weitere grenzüberschreitende Verlängerung der Straßenbahn nach dem französischen Saint-Julien-en-Genevois ist für 2023 vorgesehen, wenn die Finanzierung rechtzeitig geklärt werden kann.

Einen weiteren Bericht über die Straßenbahnverlängerung mit weiteren Bildern veröffentlichte UTM bereits an dieser Stelle:

02.01.2020
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