Solaris’ Standpunkt: Entwicklung und Perspektiven des europäischen Stadtbusmarktes
Javier Calleja ist seit 2018 CEO von Solaris Bus & Coach. In einem Interview mit dem URBAN TRANSPORT MAGAZINE teilte er seine Einschätzungen über den europäischen Markt an Stadtlinienbussen.
UTM: Wir würden gerne mit Ihnen darüber sprechen, wie Sie die aktuelle Situation und die absehbare Zukunft des europäischen Stadtbusmarktes sehen. Beginnen wir mit der heutigen Situation: Beeinträchtigt die Pandemie den Markt in Europa immer noch oder sehen Sie bereits eine deutliche Erholung der Verkaufszahlen?
Javier Calleja: Wir bewegen uns in schwierigen Zeiten. Die Auswirkungen der Pandemie haben sich in den letzten beiden Jahren deutlich gezeigt – im Jahr 2020 und noch stärker im Jahr 2021 – mit Verzögerungen bei der Auslieferung der Fahrzeuge und vor allem im Jahr 2021 auch beim Auftragseingang, da die meisten Betreiber angesichts des drastischen Rückgangs der Fahrgastzahlen, der sich noch immer nicht vollständig erholt hat, mit Investitionen zurückhaltender waren. Allerdings war der Reisebusmarkt von der Krise wesentlich stärker betroffen als der Markt für Stadt- und Regionalbusse. In den letzten Monaten haben wir eindeutig eine Trendwende erlebt. Der Markt holt auf und die Auftragszahlen steigen, um einen Teil der „verlorenen“ Investitionen aus der Zeit davor wieder aufzuholen.
Solaris war in der Lage, die Busproduktion während der gesamten Pandemie fortzusetzen; die Produktion wurde keinen einzigen Tag gestoppt und wir konnten unser Geschäft kontinuierlich fortführen. Dennoch hat die Versorgung mit bestimmten elektronischen Komponenten von Unterlieferanten bereits seit vielen Monaten erhebliche Auswirkungen auf den Produktionsprozess.
Imageveränderung des ÖPNV als Schlüsselelement
UTM: Nachhaltigkeit ist in aller Munde – und der öffentliche Verkehr ist mit Sicherheit ein Teil dieses Trends. Glauben Sie, dass sich der Modalsplit generell in Richtung einer stärkeren Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verschieben wird, und wenn ja, denken Sie, dass die Busindustrie davon besonders profitieren wird?
Javier Calleja: Die Antwort ist ein klares „Ja“. Nachhaltigkeit steht ganz oben auf der Agenda von Politikern, Verwaltungen und natürlich einer großen Mehrheit der Bürger in Europa. Und es ist nicht nur ein Schlagwort, sondern ein allgemeiner Trend, der die Art und Weise beeinflusst, wie wir in Zukunft leben wollen. Auf den Verkehr entfallen derzeit 23 % aller Emissionen – dies ist ein erhebliches Problem, das es zu lösen gilt. Öffentliche Verkehrsmittel sind das Schlüsselelement zur Verringerung der negativen Auswirkungen von Verkehrsstaus und Emissionen. Es hat sich gezeigt, dass es auf lange Sicht wohl kaum nachhaltig sein kann, wenn jeder einzeln in seinem Auto sitzt und fährt.
Öffentliche Verkehrsmittel sind eine höchst praktikable Alternative, und Betreiber, Verkehrsplaner, aber auch die Hersteller der Fahrzeuge und der sichtbaren Infrastruktur spielen die wichtigste Rolle bei der Förderung ihrer Nutzung – sie alle tragen eine gemeinsame Verantwortung.
Ein Schlüsselelement bei diesem Übergang ist eine Imageveränderung des öffentlichen Verkehrs, um mehr Menschen anzuziehen und die Fahrgastzahlen stetig zu erhöhen. Das sauberere, besser ausgestattete, leichter zu nutzende und zugängliche Fahrzeug ist das attraktivere in der öffentlichen Wahrnehmung. Es bietet einfach ein besseres Erlebnis für den Fahrgast als Kunden. Und dazu gehören auch Nachhaltigkeitskriterien, die für viele Fahrgäste immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Nachhaltigkeit ist das wichtigste Kriterium, das für die Nutzung des öffentlichen Verkehrs anstelle des eigenen Autos spricht.
Und ein wichtiger Punkt ist hier zu erwähnen: Die Technologie für eine bessere, sauberere Art des öffentlichen Verkehrs und insbesondere für Stadtbusse ist bereits vorhanden, wir müssen nicht so viele neue technische Lösungen entwickeln wie in anderen Branchen. Wir müssen die Lösungen nur stärker nutzen und anwenden – auch bei der Bustechnologie.
Der Bus hat einen bedeutenden Anteil daran, und Verbesserungen können hier deutlich einfacher durchgeführt werden, einfach weil der Bus viel weniger Investitionen erfordert – er kann dazu beitragen, die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs in kurzer Zeit merklich zu erhöhen.
Elektrobusse & Trolleybusse
UTM: Nachhaltigkeit – für manche Menschen bedeutet das automatisch Elektromobilität. Welche Erwartungen haben Sie an den Markt für Elektrobusse?
Javier Calleja: Nachhaltigkeit bezieht sich natürlich auf die Art und Weise, wie und welche Energiequelle die Fahrzeuge nutzen. Elektrische Antriebe ermöglichen nicht nur eine sanftere Fahrt, sondern ihre Energienutzung ist in der Regel auch viel umweltfreundlicher, was sich vor allem in einem geringeren Energieverbrauch und weniger oder gar keinen lokalen Emissionen niederschlägt.
Der Trend hin zur Elektromobilität ist eindeutig, und es ist auch klar, dass Elektrobusse mehr und mehr Marktanteile gewinnen werden – auf Kosten der „traditionellen“ Dieselbusse. Am deutlichsten ist dieser Trend bereits im Stadt- und Regionalbusmarkt, weniger im Reisebusmarkt.
UTM: Welche Technologie wird das „Rennen“ gewinnen – Hybrid, reine Batterie, Oberleitungsbusse mit dynamischem Nachladen während der Fahrt, Wasserstoffbusse,…?
Javier Calleja: Wir erwarten keinen „Gewinner“ in Bezug auf den Fahrzeugantrieb. Letztendlich sind alle Bemühungen um eine emissionsarme und emissionsfreie Mobilität ein Gewinn. Batteriebusse und Wasserstoffbusse sind sicher noch eine ganze Weile als komplementär anzusehen – sie decken unterschiedliche Bedürfnisse ab und erfüllen unterschiedliche Anforderungen der Betreiber und ihrer Netze. Dies betrifft u.a. Kriterien wie Lademöglichkeiten und -konzepte, Reichweite, technische Verfügbarkeit und nicht zuletzt die erforderlichen Gesamtinvestitionen.
Trolleybusse sind definitiv eine zuverlässige, ausgereifte Technologie für Betreiber von bestehenden Netzen. Fast alle (> 95 %) haben heute zusätzliche, leistungsfähige Antriebsbatterien an Bord, um längere Streckenabschnitte ohne Investitionen in zusätzliche Überholungsleitungen zu bewältigen, was sich günstig auf die Wirtschaftlichkeit des Betriebs auswirkt.
Hybridbusse – mittel- bis langfristig – betrachten wir als Brückentechnologie, die den Weg zu einem breiteren Einsatz von völlig emissionsfreien Bussen ebnet.
Ein Wasserstoff-Gelenkbus noch in diesem Jahr
UTM: Wird der traditionelle Dieselbus damit mittelfristig zu einem Nischenprodukt? Oder wird er auch in 10 oder 15 Jahren noch eine bedeutende Rolle unter den Stadtbussen spielen?
Javier Calleja: Der Trend zur E-Mobilität ist unübersehbar. Die Dieselbustechnologie ist jedoch weit fortgeschritten und entwickelt sich weiter – vor allem durch Verbesserungen in Bezug auf Kraftstoffverbrauch, Emissionen und Geräuschpegel. Der Dieselbus wird in absehbarer Zeit nicht verschwinden, auch wenn sein Marktanteil sinkt. Der Dieselbus wird seine Rolle mehr und mehr in ergänzenden Diensten finden, wo der Betrieb von reinen Elektrobussen (noch) nicht wirtschaftlich gerechtfertigt ist, und das sicherlich noch einige Jahre lang.
UTM: Apropos Solaris: Sie haben bereits eine starke Position in einigen (nationalen) Märkten – wo sehen Sie kurz- bis mittelfristig das größte Wachstumspotenzial?
Javier Calleja: Wir sind im Grunde in allen kontinentaleuropäischen Märkten vertreten und wollen in allen Märkten wachsen. Solaris-Fahrzeuge fahren täglich in 32 Ländern in fast 800 Städten. Diese Zahlen steigen von Jahr zu Jahr und wir wollen selbstredend, dass dies so bleibt.
Natürlich gibt es einige Märkte, in denen wir stärker vertreten sind, wie zum Beispiel in Polen, Deutschland, Italien, der Tschechischen Republik, den baltischen Staaten und den skandinavischen Ländern. In anderen Ländern wie Spanien, Norwegen, Österreich oder der Schweiz wachsen wir sehr schnell, vor allem im Segment der emissionsarmen und emissionsfreien Busse. Und es gibt Länder, in denen wir unsere Präsenz in den kommenden Jahren deutlich ausbauen möchten, z.B. in Frankreich.
Eines unserer Ziele ist es, kurz- bis mittelfristig zum absoluten Marktführer auf dem europäischen E-Bus-Markt zu werden. Was wir übrigens zwischen 2012 und 2021 bereits erreicht haben.
UTM: Eine letzte Frage: Stimmt es, dass Solaris beabsichtigt, sein Portfolio in gewisser Weise zu „straffen“ und sich weniger auf Nischenprodukte zu konzentrieren?
Javier Calleja: Wir arbeiten daran, den Kunden bestmöglich zu bedienen, das ist sicher. Dazu gehört nicht nur, auf spezielle Bedürfnisse und Anforderungen unserer Kunden einzugehen, sondern auch das Angebot von Produkten in bestimmten Nischenmarktsegmenten. Aber wir müssen und werden dies auf eine profitable Art und Weise tun!
UTM: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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Zur Person:
Javier Calleja ist am 3. Oktober 2018 zum CEO von Solaris Bus & Coach ernannt worden. Er verfügt über eine breite Geschäftserfahrung in verschiedenen Sektoren, auch in der Verkehrsbranche, und mit hochqualifizierte Teams. 20 Jahre lang war Javier Calleja Partner bei Bain & Company, einem führenden globalen Beratungsunternehmen. Er verfügt über umfassende Erfahrung mit großen Umstrukturierungen und betrieblichen Verbesserungsprojekten in vielen Regionen Europas und Amerikas. Vor seiner Tätigkeit bei Bain & Company arbeitete er bei der Unternehmensberatung Roland Berger und bei Tecnicas Reunidas, dem größten Ingenieurunternehmen in Spanien.
Javier Calleja hat einen Master-Abschluss in Maschinenbau von der Universität Bilbao (Spanien) und einen Master of Business Administration der Hochschule INSEAD in Frankreich. Als Mitglied der spanischen UNLTD unterstützt er die Entwicklung verschiedener sozialer Unternehmer.
Javier Calleja wurde in Spanien geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Anm.: Dank gilt auch Mateusz Figaszewski, Director of E-mobility Development and Market Intelligence der Solaris-Gruppe, für die Organisation und Teilnahme an diesem Interview.