
Der Stadtbus im hessischen Bad Nauheim
Im hessischen Kreis Friedberg (Wetteraukreis) liegt etwa 30 Kilometer nördlich von Frankfurt und am östlichen Rand des Taunus die bekannte Kurstadt Bad Nauheim. Sie nennt sich „Gesundheitsstadt“ und zählt fast 34.000 Einwohner.
Ihren Bürgern und den Kurgästen bietet sie den Service des „Stadtbus Bad Nauheim“. Der verkehrt auf den vier Linien
11: Nieder-Mörlen – Usa-Wellenbad (Takt: alle 30 Minuten)
12: Kaiserberg – Steinfurth (alle 60 Minuten)
14: Bodestraße – Schwalheim (unregelmäßig, samstags alle 120 Minuten, sonntags alle 240 Minuten)
15: Bahnhof – Wisselsheim – Kaiserberg (alle 60 Minuten, wobei die Linien 12 und 15 sich auf Abschnitten zum 30-Minuten-Takt ergänzen)
Zentraler Umsteigepunkt im Netz ist der „Aliceplatz“ in der Stadtmitte, der auch zentral zu einer großen Parkanlage liegt.
Eigene Busse haben die Stadtwerke Bad Nauheim nicht. Vielmehr fahren auf den Nauheimer Linien Busse der „Stroh Bus-Verkehrs GmbH“ aus dem benachbarten Altenstadt. Stroh gewann im Dezember 2014 erstmals die Ausschreibung zur Bedienung der Nauheimer Stadtlinien für zehn Jahre – und konnte sie im Dezember 2024 für weitere zehn Jahre verteidigen. Geschäftsführer Friedel Stroh: „Wir bekommen von den Stadtwerken Bad Nauheim für jeden gefahrenen Kilometer einen Betrag von „x“ Euro. Damit müssen wir zum Beispiel den Preis für die Anschaffung der Busse erwirtschaften, die laufenden Kosten decken (Lohnkosten des Fahrpersonals, Unterhalt der Busse), und einen gewissen Gewinn müssen wir auch machen – wir sind ein Privatunternehmen, das leben muss. Alles andere ist Sache der Stadt. Sie macht die Fahrpläne, sie sagt, wann, wie oft und wo ein Bus fahren soll. Sie muss sich dafür interessieren, ob der Stadtbusverkehr defizitär ist und wie sie ein Defizit ausgleicht. Wir stellen die Busse, und damit wir das zu für die Stadt günstigen Konditionen tun, gibt es die Ausschreibung.“
Stadtwerke Geschäftsführer Dr. Thorsten Reichel gab am 28. Januar 2025 bekannt, dass der Stadtrat beschlossen habe, die Finanzierung des Stadtbusses für weitere zehn Jahre, also bis 2034, sicherzustellen.
Für das beschriebene Liniennetz und das entsprechende Fahrtenangebot werden sechs Busse benötigt. Seit Dezember 2014 waren das je drei Mercedes-Benz Citaro K und 12 Meter lange Citaro. Dr. Reichel: „Normalerweise wären die „kleinen“ Citaro K für unsere Linien groß genug. Aber wir haben doch einige Fahrten, wo die Busse zu Stoßzeiten sehr voll mit Schülern werden. Und für die entsprechenden Kurse haben wir eben die großen Busse.

Strohs Busse aus dem Jahr 2014 waren unterdessen zehn Jahre alt – da kann man schon mal an Neufahrzeuge denken. Zudem hat Nauheims Stadtrat beschlossen, dass in Zukunft auf den Stadtlinien zu 100 Prozent elektrisch gefahren werden soll. Daraufhin schrieb die „Stroh Bus-Verkehrs GmbH“ die Lieferung von drei kleineren und drei großen Batterie-Elektrobussen aus. (Man sieht, am Einsatzkonzept soll sich gegenüber den bisherigen Bussen nichts ändern.) Es gingen mehrere Angebote ein, darunter eins des ägyptischen Busherstellers MCV mit seiner deutschen Tochtergesellschaft „MCV Deutschland“, die ihren Sitz in Bestwig im Sauerland hat. Und Firma Stroh sagt, das Angebot von MCV sei das günstigste gewesen.
Geschäftsführer Friedel Stroh: „Welches Angebot wir annehmen und welche Busse wir kaufen ist unsere Entscheidung. Da ist die Stadt nicht beteiligt.“
28. Januar 2025: Nauheims neue Elektro-Stadtbusse werden vorgestellt
Am 28. Januar wurden jetzt Nauheims neue Elektro-Stadtbusse nicht nur eingeladenen Gästen, sondern auch allgemein der Öffentlichkeit vorgestellt. Das geschah in Form eines kleinen Volksfests mit Würstchenbude und Getränkestand, aber auch einem Kinderkarussel an der Zentralhaltestelle „Aliceplatz“. Dr. Reichel: „Wir haben den Weihnachtsmarkt ein bisschen verlängert.“
Zur Präsentation waren je ein „kurzer“ (MCV C 107 EV) und ein „langer“ (MCV C 127 EV) Wagen der neuen MCV-Elektrobusse erschienen. Sie sind die ersten Busse, die MCV in Deutschland hat verkaufen können. In Europa allerdings sieht das durchaus anders aus: vor allem im Vereinigten Königreich kennt man MCV schon seit langem. (Und schon 2011 stellte MCV einen durchaus schmucken Reisedoppeldecker auf der IAA-Nutzfahrzeuge in Hannover aus.) Als Volvo sich jetzt entschloss, keine Komplettbusse mehr zu bauen, berief man MCV als Karosseur, der Linienbus-Aubauten auf Fahrgestelle von Volvo setzt. Anmerkung: Volvo gilt als Hersteller von Bussen, der solide Qualität liefert. Die werden darauf achten, dass der Karosseur ihren Ansprüchen genügt.


Die neuen MCV-Elektrobusse zeigen sich in einem neuen Design, das deutlich duch den Farbton grün gekennzeichnet ist. Die Assoziation stellt sich von alleine ein: grün = umweltbewusst. Dabei ist das Design von einem Nauheimer Büro entwickelt worden. Besonders gekennzeichnet wird jeder der fünf „grünen“ Busse durch die Abbildung einer charakteristischen Nauheimer Sehenswürdigkeit auf der Seite: so zeigt einer der Wagen ein Gradierwerk (Referenz an die Kurstadt Bad Nauheim), einer ist der „Elvis-Bus“. Denn Elvis Presley war während seines Militärdiensts u.a. beim amerikanischen Militär in Bad Nauheim stationiert, was ihn zu einem „großen Sohn“ der Stadt macht. An einer Brücke im Kurviertel steht ein Denkmal für ihn, und eine Abbildung dieses Denkmals ziert jetzt diesen Bus. – Einer der drei großen MCV C 127 EV zeigt sich allerdings als Ausnahme: er trägt eine Totalwerbung für den Bad Nauheimer Eishockeyclub mit der Grundfarbe rot. Damit will der Stadtbus seine Verbundenheit mit dem in der Stadt wichtigen Eishockeysport unterstreichen.
Die neuen Busse zeigen sich in einem gefälligen Erscheinungsbild. Wie heute vielfach üblich haben auch die neuen MCV einen Fußboden in Holzoptik. Behinderte Fahrgäste werden – MCV nennt es „Easy-Bus-Konzept“ – durch gelbe Leitlinien auf dem Fußboden zu den für sie geeigneten Sitzen geführt. Die hat der deutsche Hersteller Kiel zugeliefert. Sie sind mit dunkelgrauem Stoff bezogen, in den bei den speziell für Behinderte geeigneten Plätzen das entsprechende Symbol eingewebt ist. Alle diese Plätze liegen im vorderen Bereich des Wagens zwischen den beiden Türen. Uwe Schneider von MCV: „Wir schicken keinen Behinderten in den hinteren Teil des Wagens. Diese Fahrgäste bleiben lieber in der Nähe des Fahrers. Hinten sitzen die jungen Leute, die lieben das Heck des Busses.“


Im vorderen Wagenteil gibt es Sitze, die auf speziellen Podesten angeordnet sind, um den Menschen, die hier sitzen, das Aufstehen zu erleichtern. Zudem gibt es Sitzplätze, die so angeordnet sind, dass der Fahrgast seinen Rollator neben sich abstellen kann.
Mit manuell ausklappbaren Rampen für Rollstühle oder Kinderwagen hat MCV nicht gespart: an beiden Türen gibt es eine solche Rampe. Das ist ungewöhnlich, üblich ist, dass ein Bus nur eine solche Rampe hat, in aller Regel an der Mitteltür. Die Rampe vorne macht es möglich, dass Fahrgäste mit Rollator auch vorne beim Fahrer einsteigen können – was sie gerne tun, weil sie sich unter „Aufsicht“ des Fahrers sicherer fühlen. Und natürlich hat MCV darauf geachtet, dass der Gang zwischen den Radhäusern der Vorderachse so breit ist, dass ein Fahrgast mit Rollator, der vorne eingestiegen ist, da auch Richtung Wageninneres durchpasst.
MCV betont, dass sich dank dieser Details der Fahrgastwechsel an der Haltestelle schneller vollziehe.
Ein besonders pfiffiges Detail haben die MCV außen auf der rechten Wagenseite. Am Dachrand verläuft eine Leiste mit Leucht-Elementen. Sobald (bei Dunkelheit) die Türen des Busses geöffnet werden, geht diese Leucht-Leiste an und erhellt den Bereich neben dem Bus. Schneider: „Niemand muss in ein dunkeles „Loch“ aussteigen.“ Eigentlich simpel, aber man muss eben auf die Idee kommen.


Pfiffig sind auch die Haltewunsch-Taster an jeder Haltestange im Wagen. Deren Verankerungselemente sind nicht durchgehend massiv, sondern weisen je zwei Spalte auf, in denen LED sitzen. Zunächst leuchtet die LED in weiß als Zeichen dafür, dass der Haltewunschtaster aktiviert ist. Sobald ein Fahrgast den Taster gedrückt hat, wechselt die Farbe auf rot – das bedeutet, dass die Taste bedient worden und der Halt an der nächsen Station angefordert ist. Wird dieTür an der Haltestelle geöffnet, erlischt die LED, wird die Tür wieder geschlossen, schaltet die LED wieder auf weiß.
Für sehbehinderte Fahrgäste gibt es an den Türen taktile Haltestangen, durch die so ein Fahrgast erkennt (ertasten kann), dass er jetzt an der Tür ist.
Die Batterien stammen vom französischen Hersteller Forsee (nein, nicht aus China), sie haben beim 10,6 Meter langen „kurzen“ Wagen (MCV C 107 EV) eine Kapazität von 385 kW und beim 12 Meter langen Bus (MCV C 127 EV) eine solche von 482 kW. Die elektrischen Zentralmotoren stammen von Plastic Omnium aus dem rheinland-pfälzischen Remagen.
Beide Achsen, Vorder- wie Hinterachse, kommen von ZF aus Friedrichshafen am Bodensee. Uwe Schneider von MCV: „Diese Busse bestehen aus europäischen Komponenten, die in Ägypten zum fertigen Fahrzeug zuzsammengesetzt worden sind.“
Betriebshof und Nachladung
Die Busse von Firma Stroh für den Stadtbus Bad Nauheim fahren nicht jeden Abend nach Altenstadt auf den Betriebshof zurück und kommen morgens wieder von dort, sondern sie „übernachten“ auf einem Abstellplatz in Bad Nauheim. Doch auch da gibt es jetzt eine deutliche Verbesserung: für die Busse des Stadtverkehrs entsteht ein richtiger Betriebshof auf dem Benekeplatz im Stadtteil (mit dem hübschen Namen) Taubenbaum. Er soll im Herbst in Betrieb gehen, und die Busse werden hier über Nacht an acht Ladesäulen „Strom tanken“. Stadtwerke-Dezernent Sebastian Schmitt: „Da die Busse die Ladesäulen ja nur über Nacht benötigen, können sie tagsüber der Allgemeinheit als Strom-Tankstelle für Pkw oder Lkw zur Verfügung stehen.“
Und er fügt hinzu: „Mit der Umstellung auf Elektrobusse werden wir jedes Jahr 170.000 Liter Dieselkraftstoff gerade nicht verbrauchen und so den entsprechenden Schadstoffausstoß vermeiden. Und noch etwas: mit der Umstelllung unserer Stadtbusse auf Elektrobusse sind wir die erste Stadt in Deutschland, die zu 100 Prozent elektrische Busse im Stadtverkehr einsetzt.“
Technische Daten der neuen Bad Nauheimer MCV-Elektrobusse MCV C 107 EV/ MCV C127 EV
- Länge: 10.600 mm/12.000 mm
- Breite: 2.550 nmm/2.550 mm
- Höhe: 3.200 mm/3.200 mm
- Vorderachse: ZF RL 82 mit Einzelrad-Aufhängung
- Hinterachse: ZF AVE 133 (Niederflur-Portalachse)
beide Achsen luftgefedert - Elektromotor: Plastic Omnium, Zentralmotor, hohe Rekuperationsrate, leicht zu warten
- Batterien: Forsee (Frankreich), Typ: ZEN Plus LiNMC auf dem Dach quer zur Fahrtrichtug, geschützt vor Unfällen und Verschmutzung
- 5 Packs à 77 kW/6 Packs à 77 kW
- Kapazität: 385 kW/482 kW
- Umrichter: Actia
- Türen: Ventura (Niederlande)
- Mirror-Eye Kameras statt Rückspiegel (bessere Sicht nach hinten, Aufhellung bei Dunkelheit
- Fahrersassistenten:
Toter-Winkel-Assístent, Intelligent Speed Assist, Reversing Information Assist (für Rückwärtsfahrten), Aufmerksamkeits-Assistent (Müdigkeits-Schutz)
