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Erster Auftrag für Prag: Skoda als neuer Hersteller von Bussen ohne Oberleitung

Designentwurf | © Skoda

Dezember 2019: Im Konferenzraum des Verwaltungsgebäudes der Stadtwerke Bonn wird der Vertrag zwischen den Bonner SWB und Skoda Transportation über die Lieferung von 26 Niederflur-Gelenkstraßenbahnen für die Bonner Linien 61, 62 und 65 unterschrieben. Die neuen Bahnen sollen die 24 Niederflurstraßenbahnen aus dem Jahr 1994 (9451 bis 9474) ersetzen und zudem den Wagenpark derartiger Fahrzeuge in ein wenig vergrößern.

Am Rande des Termins berichten die beiden Vertreter von Skoda Transportation, dass das renommierte tschechische Unternehmen plane, in Zukunft nicht nur Bahnen, sondern auch Busse zu bauen. Das ist insoweit bemerkenswert, als Skoda sich jedenfalls seit der politischen Wende weitgehend auf den Bau von Trolleybussen beschränkt hatte – ein Produkt, mit dem sich die Firma in den Jahrzehnten zuvor einen Namen gemacht hatte, u.a. mit dem im ganzen Ostblock verbreiteten Modell 9 Tr, produziert von 1962 bis 1981. Und auf diesem Gebiet beschränkte sich Skoda darüber hinaus wenige Jahre später auch noch darauf, keine Komplettbusse mehr zu liefern, sondern nur noch elektrische Ausrüstungen für die Busse ganz anderer Hersteller beizusteuern, als da im wesentlichen (und in alphabetischer Reihenfolge) wären Iveco (Irisbus), Solaris und SOR … Andere Länder, andere Sitten: Während diese Trolleybusse in Westeuropa zulassungsrechtlich Iveco, Solaris und SOR mit elektrischer Ausrüstung von Skoda Electric sind, gingen und gehen sie im vormaligen Ostblock als Produkte von Skoda durch.

Standardprodukt im ganzen Ostblock: Skoda 9 Tr in Brno | © Christian Marquordt
Letztes Komplett-Trolleybus-Modell von Skoda: Typ 21 Tr in Brno im Januar 2019 | © Martin Harák
Gelenk-Trolleybus-Modell 22Tr in Usti nad Labem im Mai 2013 | © Martin Harák
Und schließlich lieferte Skoda den Obus 21 Tr auch noch in einer Dieselbus-Variante als Typ 21 Ab – hier in Mlada Boleslav im Mai 2014 | © Martin Harák

Skoda Transportation gehört heute zur PPF-Group aus dem niederländischen Amsterdam, und die steht mehrheitlich im Eigentum des tschechischen Industriellen Petr Kellner.

Ende des vergangenen Jahrtausends gründete die türkische Sabanyi-Gruppe in der Stadt Adana ihren Bushersteller „Temsa“ (die Buchstaben „sa“ am Ende des Namens waren ganz charakteristisch für ein Unternehmen, das zur Sabanyi-Gruppe gehörte). Temsa war speziell auf dem türkischen Heimatmarkt nicht wenig erfolgreich, aber zum Beispiel auch nach Deutschland konnte man durchaus exportieren. So kamen hier Niederflur-Stadtbusse des Typs „Avenue“ in den Einsatz. Weit erfolgreicher war man hierzulande allerdings mit Reisewagen wie dem Diamond oder dem MD 9 und vor allem dem Safari.

Temsa „Avenue“ in Karlsruhe | © Christian Marquordt

Unterdessen gehört auch Temsa zur PPF-Gruppe. Was den Plänen von Skoda, in den Busbau einzusteigen, sicherlich nicht hinderlich war.

Eins übrigens sollten wir vorsichtshalber noch klarstellen: Skoda Transportation hat nichts, aber auch gar nichts mit dem VW-Konzern zu tun. Richtig, zu VW gehört auch ein Unternehmen mit dem Namen Skoda, aber diese VW-Tochter macht nicht Bahnen und Busse, sondern Pkw … (Das ist unterdessen gar nicht mehr so unüblich. Nehmen Sie als anderes Beispiel Volvo: Lastwagen und Busse kommen nach wie vor von Volvo, Pkw mit diesem Markennamen kommen heute aber aus dem chinesischen Geely-Konzern.)

Der Verkehrsbetrieb der tschechischen Hauptstadt Prag DPHMP (Dopravni Podnik Hlavni Meste Prahy a. s.) hat jetzt die Lieferung von 14 batterie-elektrischen Bussen für den Einsatz in der Stadt ausgeschrieben. Der Zuschlag ging an Skoda Transportation für seinen neuen batterie-elektrischen „Skoda E City“. Und der ist ein Kind der neuen Zusammenarbeit mit der Konzernschwester Temsa. Natürlich wird er auf der Front das Markenzeichen von Skoda tragen, aber er ist ein naher Verwandter des Temsa Elektro-Stadtbusses „Avenue electron“, aus dem heraus er entwickelt worden ist. Skoda sagt, das bekannte Markensymbol von Skoda (der fliegende Indianerpfeil) symbolisiere technischen Fortschritt, die Tiefe des Fertigungsprogrmms, fortschrittliche Produktionsmethoden, hohe Produktivität und den Anspruch, seine Produkte weltweit zu verkaufen. (Das Markensymbol ist übrigens schon sehr alt und geht zurück auf die beiden Gründer des Unternehmens, die Herren Laurin und Klement.)

Die neuen Skoda-Batteriebusse werden Dreitürer mit einer Länge von 12.095 mm sein, die Breite beträgt 2.550 mm und die Höhe 3.300 mm. Sie können 70 Fahrgäste befördern. Ihre Rohbauten werden im türkischen Adana entstehen, komplettiert werden die Wagen anschließend in Plzen (Pilsen). Hier werden die elektrische Ausrüstung, das Informationssystem und die Batterien eingebaut, außerdem ist Werk Plzen zuständig für die endgültige Fertigstellung des Wagens, die abschließenden Tests und die Endabnahme.

Das Modell „Skoda E City“ | © Pressebild Skoda
„Skoda E City“ | © Pressebild Skoda

Skoda hat großen Wert darauf gelegt, dass sie dank komfortabler Sitze, Klimatisierung und einer hochwertigen Ausstattung für die Fahrgäste angenehm und bequem und damit eine gute Visitenkarte für den ÖPNV sind. Natürlich werden die Wagen so ausgestattet, dass sich zum Beispiel auch Blinde leicht in ihnen orientieren können. Und ebenso natürlich gibt es Rollstuhl- und Kinderwagenplätze sowie spezielle Sitzplätze für Fahrgäste, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind. Ein modernes Informationssystem bietet den Fahrgästen die notwendige Orientierung. Heizung und Klimaanlage werden elektronisch gesteuert. Und zur eigenen Sicherheit sitzt der Fahrer in einer geschlossenen Kabine.

Die 14 „Skoda E City“ sollen innerhalb der kommenden 12 Monate geliefert werden. Sie sind die ersten Busse, die aus der Zusammenarbeit von Skoda mit seiner neuen türkischen Konzernschwester Temsa stammen werden.

Die Batterien haben eine Kapazität von 260 bis 290 kWh. Ausgelegt sind die Fahrzeuge für Nachladung auf der Linie („opportunity charging“); ihre Reichweite mit einer Batterie-Ladung wird mit gut 100 Kilometern garantiert. Wobei das Nachladen auf der Linie über einen Dachpantographen geschieht. Denn das Nachladen auf der Linie ist angesichts einer Reichweite von „nur“ gut 100 Kilometern mit einer Batteriefüllung unverzichtbar. Vorgesehen sind eine Nachladung sowohl an den Endstationen der Linie als auch – und das ist neu – aus der Fahrleitung der Straßenbahn – wobei dazu aber natürlich ein zweiter Pol notwendig ist – oder des Trolleybusses.   

Zudem kann und wird über Nacht auf dem Betriebshof über CCS-Combo-Stecker geladen werden. Außerdem verfügt der Bus über ein On-Board-Ladegerät mit einer Leistung von 600 bzw. 750 Volt Gleichstrom.

Der Liefervertrag schließt auch die Option ein, dass die DPHMP von Skoda Unterstützung bekommen können, wenn sie das Informationssystem und das Energiemanagement der Busse weiterentwickeln wollen, also zum Beispiel die Überwachung, wieviel Strom der Bus verbraucht und wieviel Strom noch in der Batterie gespeichert ist. Auch gehört der Austausch der Akkumulatoren durch neue während der geplanten Nutzungsdauer der Wagen dazu. Und schließlich gehören Soft- und Hardware für die Diagnose eventueller Fehler und Stand-Ladegeräte für die Nachladung über Nacht auf dem Betriebshof zum Umfang dieser Option.

Der Auftragswert beläuft sich auf rund 207.000.000 tschechische Kronen.     

Heute Museumswagen: Skoda 9Tr in Eberswalde | © Christian Marquordt
15.02.2021