Spätestens seit dem 06. Juli 2022 gehört Wiesbaden, Hessens Landeshauptstadt, zu den ganz Großen in Deutschland, wenn es um Elektrobusse geht. Denn an diesem Tag übernahmen die ESWE, der Verkehrsbetrieb der Stadt, vom Hersteller Mercedes-Benz ihren hundertsten Elektrobus. Der Wagen (mit der schönen Betriebsnummer 200) ist ein Mercedes eCitaro.
Elektrobusse seit 2019
Schon seit 2019 sind auf Wiesbadens Stadtlinien Elektrobusse unterwegs. Damals stellten die ESWE ihre Wagen 100 bis 109 in Dienst, und auch sie waren schon Mercedes-Benz eCitaro. Die sich allerdings von den Wagen, die jetzt neu zu den ESWE gekommen sind, merklich unterscheiden. Was am deutlichsten auffällt in Form der wesentlich geringeren Reichweite. Kommen die alten Elektrobusse auf eine Reichweite von 150 bis maximal 200 Kilometern, so sind die jetzt gelieferten Wagen schon mit 280 Kilometern dabei. Und bei der Übergabe des Jubiläumsbusses wurde betont, dass die Entwicklung der Batterien nach wie vor große Fortschritte macht, weshalb das „Ende der Fahnenstange“ in Sachen Reichweite noch sehr lange nicht erreicht sein wird. Wenn man denn je an einen solchen Punkt kommen sollte.
Zur Technik von Wiesbadens neuen eCitaro
Wiesbadens neue eCitaro haben sieben Lithium-Ionen-Polymer-Batterien (LMP), die am linken Rand des Dachs hintereinander aufgereiht sind. Sie sind „Feststoff-Batterien“. Ihr Hersteller ist die französische Firma „Blue Solution“, eine Tochter der Bolloré-Gruppe. Allerdings plant Mercedes eine eigene Batterie-Fabrik im Kreis Esslingen.
Im Gegensatz dazu verfügen die ersten zehn eCitaro der ESWE über 12 Nickel-Mangan-Cobalt (NMC)-Batterien des Herstellers Akasol. Dass die neuen Elektrobusse der ESWE mit weniger Batterien eine deutlich größere Reichweite haben, zeigt, dass die Speicherkapazität der Batterien in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht hat.
Jan Görnemann, der Geschäftsführer der ESWE: „Ja, es ist denkbar, dass wir unsere zehn ältesten eCitaro auf modernere, leistungsstärkere Batterien umrüsten.“
Ebenfalls auf dem Dach der neuen eCitaro findet sich eine Box mit dem Kühlsystem für die Batterien und einem Wechselrichter – der Bus „tankt“ Gleichstrom, fährt aber mit Wechselstrom.
Zur Nachladung von Wiesbadens Elektrobussen
Nachgeladen werden die Batterien von Wiesbadens Elektrobussen ausschließlich während der nächtlichen Betriebsruhe auf dem Betriebshof (Over-Night-Charging). Das hat einen großen Vorteil: da der Bus keinerlei Lade-Infrastruktur auf der Linie braucht, kann er völlig freizügig im gesamten Netz eingesetzt werden. Und mit der Entscheidung für dieses System ist Wiesbaden bei weitem nicht alleine: beispielsweise werden auch in München bei der MVG und in Bonn bei den SWB die Elektrobusse nur über Nacht auf dem Betriebshof aufgeladen. Das andere System mit Nachladung im Verlauf der Linie verleiht den Wagen zwar eine fast unbegrenzte Reichweite, denn es kann ja unterwegs immer wieder nachgeladen werden. Dem steht allerdings der Nachteil sehr hoher Investitionskosten für die Lade-Infrastruktur gegenüber, die an vielen Stellen im Liniennetz aufgebaut werden muss.
Auf dem bislang einzigen Betriebshof der ESWE an Wiesbadens Gartenfeldstraße (unmittelbar am Hauptbahnhof) gibt es 96 Ladeplätze für die Elektrobusse, die Firma Heliox geliefert hat. Damit gibt es für fast jeden Wiesbadener eCitaro auch einen stationären Ladeplatz, 96 Wagen können gleichzeitig geladen werden, ohne dass das zu einer Belastung des städtischen Stromnetzes führen würde. (Das ist ja auch logisch, wenn man bedenkt, dass zu bestimmten Zeiten große Volksfeste mit dem Strom für die Fahrgeschäfte versorgt werden können, ohne dass das zu irgendwelchen Problemen in der jeweiligen kommunalen Stromversorgung führen würde. Und das, obwohl die Fahrgeschäfte einer Kirmes ein Vielfaches dessen „aus der Leitung ziehen“, was man zum Nachladen von Elektrobussen braucht.) 96 Wagen also können gleichzeitig laden: die ESWE gehen davon aus, dass die restlichen vier Wagen entweder unterwegs sind oder Zeit genug haben, um sich etwas gedulden zu können. Außerdem gibt es für den Fall der Fälle auch noch sieben mobile Ladegeräte.
Die Verbindung zwischen Ladesäule und Bus geschieht mittels Kabel und CCS-Combo-Stecker, der über dem vorderen rechten Radlauf angeschlossen wird.
Das Nachladen kann auf zwei Weisen geschehen: langsam, dann dauert es etwa fünf Stunden, oder schnell. Die Ladesäulen von Heliox können beides. Statement der ESWE: „Lieber wollen wir langsam laden, dann leben die Batterien länger. Aber sollte mal ein Wagen nachts um 2 Uhr auf den Hof kommen und morgens um 4 schon wieder auf die Linie müssen, dann ist eben zum Langsam-Laden keine Zeit.“
Der Vortrieb des Busses erfolgt über die ZF-Elektroachse AVE 130, in die zwei Radnabenmotoren mit einer Leistung von 250 kW integriert sind. Und weil der Bus ja Radnabenmotoren hat, kann hinten im Heck, wo ein Dieselbus seinen Motor hätte, Technik zur Steuerung der elektrischen Traktion des Busses untergebracht werden.
Abstellen auf dem Betriebshof
Die größeren Brände, die es schon mal gegeben hat, haben die ESWE zur Vorsicht veranlasst. Zitat: „Es ist zwar bei keinem dieser Brände bewiesen, dass er von einem Elektrobus ausgelöst worden wäre, aber besser ist besser.“ Deshalb bleiben die Elektrobusse in der Abstellung auf dem Betriebshof unter sich, und sie halten auch untereinander Abstand. „Während wir früher die Dieselbusse dicht bei dicht gepackt abgestellt haben, sorgen wir jetzt dafür, dass Rettungskräfte im Ernstfall überall zwischen den Bussen durchkommen können.“
Das führt allerdings zu einem Problem: mit „luftiger“ Aufstellung ist der Betriebshof an der Gartenfeldstraße zu klein für die 330 Busse der ESWE. Man muss also Busse nolens volens auf der öffentlichen Straße vor der Tür abstellen und ein Bereich eines Parkplatzes gegenüber ist mit einem Baustellenzaun für Busse der ESWE abgeteilt worden. Keine idealen Zustände.
2030 zwanzig weitere Elektrobusse
Das führt dazu, dass im Jahr 2023 nur 20 weitere Elektrobusse kommen sollen. „Immerhin, dann haben wir 120 Batteriebusse, dazu kommen unsere 10 Wasserstoffbusse. Damit wird Ende kommenden Jahres schon mehr als jeder dritte unserer Busse elektrisch fahren.“ (Anmerkung: am Rande war zu erfahren, dass die ESWE auch mit ihren Wasserstoffbussen sehr zufrieden sind.)
Wanted: ein zweiter Betriebshof
Um solcher drangvollen Enge zu entgehen, brauchen die ESWE einen zweiten Betriebshof. Der müsse eine Fläche von 40.000 Quadratmetern haben. „Und den brauchen wir, um weitere Elektrobusse unterbringen zu können. Wir suchen ein geeignetes Grundstück.“
Und auf die Frage nach Elektro-Gelenkbussen: nein, Elektro-Gelenkbusse habe man bislang noch nicht ausgeschrieben, und wegen der Enge auf dem Betriebshof werde es da auch erst einmal noch bei Dieselbussen bleiben.
Technische Daten:
eCitaro Jahrgang 2019 | eCitaro Jahrgänge 2021 und 2022 | |
Fahrgastkapazität: | 74 Fahrgäste | 74 Fahrgäste |
33 Sitz- und 41 Stehplätze | 34 Sitz- und 40 Stehplätze | |
1 Klappsitz, 1 Rollstuhlplatz | 2 Klappsitze, 1 Rollstuhlplatz | |
Anzahl: | 10 Wagen | 90 Wagen |
Länge: | 12.135 mm | 12.135 mm |
Breite: | 2.550 mm | 2.550 mm |
Höhe: | 3.400 mm | 3.400 mm |
Reichweite: | 150 – 200 Kilometer | rund 280 Kilometer |
Batterien: | Nickel-Mangan-Cobalt (NMC) | Lithium-Ionen-Polymer (LMP) Feststoff-Batterien |
Hersteller Batterien: | Akasol | Blue Solutions |
Anzahl Batterien: | 12 | 7 |
Batterie-Kapazität: | 292 kWh | 441 kWh |
Antriebsachse: | ZF AVE 130 | ZF AVE 130 |
2 integrierte Radnabenmotoren | 2 integrierte Radnabenmotoren | |
Leistung: | 250 kW | 250 kW |
Max. Drehmoment | 2 x 485 Nm | 2 x 485 Nm |
zul. Gesamtgewicht: | 20.000 kg | 20.000 kg |