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Fahrgastrückgang, Ferienfahrpläne und Hygiene-Roboter – der Effekt von Corona/ Covid-19 auf den ÖPNV

Europa und andere Teile der Welt sind fest im Bann des Coronavirus-Pandemie. In zahlreichen Ländern ist das öffentliche Leben nahezu zum Erliegen gekommen. Teilweise wurden Ausgangsbeschränkungen eingerichtet oder zumindest, wie in Deutschland, ein Kontaktverbot verhängt. Wie aber steht es mit dem ÖPNV? 

Trotz der Coronakrise halten die meisten ÖPNV Betriebe die Stellung. Ein Mindestangebot wird sowohl in den Krisengebieten in Italien und Spanien als auch in anderen Ländern Asiens und Europas angeboten. Vergangene Woche haben wir an dieser Stelle die Empfehlungen der UITP für Fahrgäste und Verkehrsbetriebe vorgestellt: https://www.urban-transport-magazine.com/covid-19-corona-uitp-richtlinien-fuer-oepnv-betreiber-und-fahrgaeste/

Corona Notstand in Mailand, Italien – Rettungskräfte werden vor einer Quarantäne Zone desinfiziert I © Shutterstock

Als Konsequenz aus den teils sehr stark zurückgegangenen Fahrgastzahlen haben sehr viele Betriebe ihr Angebot eingeschränkt, an anderen Orten dagegen wird bewusst auf Angebotsminderungen verzichtet. Hintergrund ist dabei vor allem die zweifellos sinnvolle Erkenntnis, dass der ÖPNV selbst im Fall von Ausgangsbeschränkungen und Schließungen von Betrieben und Geschäften für einen Teil der Bevölkerung nach wie vor unverzichtbar ist. Denn viele Menschen müssen nach wie vor, zumindest zu bestimmten Zeiten, zu ihren Arbeitsplätzen. In vielen wirtschaftlich weniger starken Ländern trifft dies in erster Linie auf die ärmeren Teile der Bevölkerung zu, während in vielen westlichen Großstädten oft die Bewohner gerade innerstädtischer Wohngebiete schlicht kein eigenen Auto mehr haben – sie sind ÖPNV-Nutzer, weil tägliche Staus, Parkplatzmangel etc. den ÖPNV einfach als das Verkehrsmittel der Wahl darstellen.

Für alle, die entsprechend die öffentlichen Verkehrsmittel weiter nutzen, ist es deshalb von hohem Interesse, dass die Anforderungen an Mindestabstand (1,5 bis 2,0 Meter zwischen Personen) und Hygiene einzuhalten sind. Deswegen sind vielen Orten die Angebotseinschränkungen doch sehr moderat – lieber lässt man die Züge weitgehend leer fahren, als dass sich die Menschen zu nah kommen könnten. Das ist gerade auch in den Orten zu beobachten, wo Ausgangsbeschränkungen die Nachfrage nach Verkehrsleistungen schon erheblich zurückgehen lassen haben, u.a. in einigen südeuropäischen Großstädten.

Bus und leere Straßen während der Ausgangssperre in Madrid I © Budach

Verantwortungsvolle Behörden und Verkehrsbetriebe sorgen mit umfangreichen Desinfektions- und Reinigungsmaßnahmen täglich dafür, dass die eingesetzten Fahrzeuge wesentlich häufiger entsprechend behandelt werden. Das gleiche trifft auch auf die ortsfeste Infrastruktur zu, insbesondere die Zugangsbereiche, die Bahnhöfe und Bus- und Tramstationen und deren nahes Umfeld. Bei der Desinfektion anderer Räumlichkeiten, wie z. B. Büroräumen, ist dagegen möglicherweise eine krankheitsspezifische Bescheinigung für eine Folgeuntersuchung erforderlich.

Die Corona Krise führt auch dazu, das in vielen Städten das bargeldlose Bezahlen und E-Ticketing ausgeweitet und vermarktet werden. Vielerorts werden E-Tickets auf dem Smartphone verschickt, damit ÖPNV Nutzer die Fahrkarten nicht mehr am Automaten kaufen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Krise finanziell auf die ÖPNV auswirkt. Es ist mit Einnahmeausfällen zu rechnen. Transport for London rechnet bereits mit Ausnahmeverlusten in Höhe von 500 Mio. Pfund.

Wir zeigen beispielhaft ein paar Ausschnitte aus Deutschland und einigen Ländern weltweit – natürlich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit – um einen Überblick über die konkreten Anforderungen und Bedingungen während der Corona Krise zu geben.

Deutschland 

Der Rückgang der Fahrgastzahlen um 40 – 50 % hat die Betriebe in Deutschlands größten Städten Berlin und Hamburg und München veranlasst, Fahrplanreduzierungen anzukündigen oder bereits umzusetzen. Extrawagen während der Hauptverkehrszeit werden gestrichen, der Takt ausgedünnt. Kürzungen der Wagenreihungen und Zuglängen sind ebenfalls eine Option.

Das hat durchaus zu Kritik geführt, u.a. von Seiten der Fahrgastverbände, nachdem an einigen Stellen sich dadurch die Zusammenballung von Menschen auf engem Raum nicht vermeiden ließ. Bei der S-Bahn München wurden zum Beispiel solche Situationen gemeldet, aber auch in Berlin sind auf den Hauptverkehrsachsen nach wie vor „volle“ Züge zu beobachten. Tatsächlich entscheiden die verantwortlichen Stellen aber in den meisten Fällen mit Augenmaß, wo wirklich ungenutzte Kapazitäten zurückgefahren werden können. Damit sollen Ansammlungen und Ballungen von Menschen vermieden werden. 

Die Ausdünnung des Fahrplans betreffen aber auch diverse kleinere Städte, als Beispiele seien hier Kassel und Augsburg genannt, wo Fahrplanreduktion auf den Wochenendfahrplan vorgenommen werden. Augsburg wurde von dem Corona Virus besonders hart getroffen. Hier sind die Fahrgastzahlen um ca. 80 % zurückgegangen.

Auch Kunden- und Servicecenter sind in aller Regel geschlossen, um potenzielle Kontakte unter den Menschen zu reduzieren. Fahrscheine können weiterhin an allen Automaten oder über Ticket-Apps gekauft werden.

Als Sicherheitsmaßnahmen für das Fahrpersonal wird an den meisten Orten auf die Fahrkartenkontrolle verzichtet, zum Teil ist der Einstieg an der Vordertür von Bussen verboten, ebenso wie die Nutzung der ersten Reihen, mancherorts sind diese gleich völlig abgesperrt, zum Beispiel in Berlin. All dies dient dazu, einen Sicherheitsabstand zwischen Fahrgästen Fahrpersonal zu gewährleisten. Damit soll vermieden werden, dass durch eine größere Zahl erkrankter Mitarbeiter der Betrieb nicht mehr im notwendigen Rahmen aufrechterhalten werden kann.

Die Konfiguration der Klimatisierung in den Fahrzeugen kann durch zusätzliche Filter ebenfalls dafür sorgen, dass die zirkulierende Luft keine oder deutlich weniger Partikel, Viren und andere gefährdende Bestandteile enthält.

Die Türen von Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnen öffnen an den meisten Stationen automatisch, um das Berühren der Türtaster durch Fahrgäste möglichst zu vermeiden.

Österreich/ Schweiz

In Wien sind die Fahrgastzahlen drastisch zurückgegangen. Nach Medienberichten wird von einem Rückgang von 80 % gesprochen. Dies hat zur Folge, dass Werktags der Samstagsfahrplan und an Wochenenden der Sonntagsfahrplan umgesetzt wurde. Auch in der Schweiz wird bei den meisten Betrieben der Wochenendfahrplan angewendet.

Spanien

Das Angebot bei den meisten Verkehrsbetrieben wird vorerst auch an Werktagen weitgehend beibehalten, trotz enger Ausgangsbeschränkungen. Damit soll in erster Linie sichergestellt werden, dass es für die verbleibenden Fahrgäste und das Fahrpersonal zu keinerlei Ansammlungen mehr kommt, sondern alle Personen sich mit ausreichendem Abstand untereinander bewegen können. So waren bei der Metro Madrid 75% weniger Fahrgäste am ersten Tag der Ausgangsbeschränkungen festzustellen bei vollem Angebot. Die Türöffnung wurde bei fast allen Zügen automatisch eingestellt, alle Türen öffnen nun ohne Kopfdruck.

Im Laufe der kommenden Tage und Wochen ist dennoch mit Fahrplanreduzierungen zu rechnen, in der Regel durch Einführung des üblichen Wochenendfahrplans auch an Werktagen, da die Passagierzahlen weiter zurückgehen. Gleichzeitig wurde durch mehrere Verkehrsbetriebe eine umfassende Kampagne gestartet, um die Bevölkerung darauf hinzuweisen, Busse und Bahnen nur noch im absolut notwendigen Fall zu nutzen und so die Kontakte untereinander auf einem weitgehenden Minimum zu halten.

Weitere Maßnahmen betreffen die regelmäßige Desinfektion der Züge und Busse und das Verbot des Einstiegs an den vorderen Türen aller Omnibusse einiger spanischer Verkehrsbetriebe. Die Fahrscheinkontrolle wird dabei natürlich nicht mehr durchgeführt. Bus und Straßenbahn in Santa Cruz de Tenerife sind seit Montag, 23. März, komplett gratis zu benutzen.

In den Werkstätten wurden ebenfalls die Sicherheitsmaßnahmen für die Mitarbeiter deutlich verschärft, der Abstand zwischen den Mitarbeiter wird überwacht, bestimmte Arbeiten können damit nur noch erschwert ausgeführt werden. Alle nicht unbedingt notwendigen Arbeiten wurden zurückgestellt, da in den Werkstätten und Depots der Personalbestand reduziert werden musste.

Bei der Metro Barcelona wurde der Nachtverkehr aufgegeben. Bei der Tram Barcelona und einigen anderen Schienenverkehrsmitteln öffnen alle Türen automatisch und nicht mehr nur auf Knopfdruck, auch dadurch soll die Infektionsgefahr durch Berühren weiter reduziert werden

Um die Bevölkerung und hier die Kunden des ÖPNV, die diesen wegen der aktuellen Ausgangssperren nicht nutzen können die Fahrgäste auch wirtschaftlich zu entlasten, erstatten u.a. die Verkehrsunternehmen in Madrid und Barcelona schon gekaufte Zeitkarten, auf Antrag durch den Nutzer, auch anteiliges Erstatten beim Aussetzen der Nutzung von Jahreskarten, u.a. bei Metro Madrid, ist vorgesehen. 

Italien

Selbst in der europaweit bislang am stärksten betroffenen Region Lombardei mit der Millionenstadt Mailand ist der ÖPNV zwar Einschränkungen unterworfen, ein Grundangebot wird aber weiterhin aufrechterhalten. Der durchgehende Nachtverkehr wurde eingestellt. Die Metro, die Tram, die Überlandbahn nach Limbiate, die O-Busse und Busse in Mailand sowie der Regionalverkehr fahren nach dem eingeschränkten Samstagsfahrplan, am Samstag wird nach dem Sonntagsfahrplan gefahren.

Die Zahl der Fahrgäste wird voraussichtlich noch einmal zurückgehen, da die italienische Regierung nun auch die Schließung aller Betrieb verkündet hat und damit die Zahl der Berufspendler sich weiter reduzieren wird.

Frankreich

In den meisten Städten wurde eine Art Notbetrieb eingerichtet. In Paris wurde der Fahrplan um 70 % gekürzt, auf der fahrerlosen Linie 14 um 60 % und auf der Linie 1 um 46 %. Ab dem 23. März haben die RATP und der Aufgabenträger Île-de-France Mobilités, 20 Pendellinien zwischen Krankenhäusern und wichtigen Knotenpunkten für das Krankenhauspersonal eingerichtet. In Lyon wurde das Fahrtenangebot um 55 % reduziert und in Marseille durchgängig der Sonntagsfahrplan umgesetzt.

In einem Video zeigt die RATP Paris, wie die Busse gereinigt, desinfiziert und für den Betrieb während der Corona Krise vorbereitet werden I © RATP

England/ Großbritannien

Der Verkehr auf London’s U-Bahn Linien wird ausgedünnt, mit einer Taktung zwischen 6 und 20 Minuten auf den einzelnen Linien. 38 Bahnhöfe wurden bis auf weiteres geschlossen. Um finanzielle Engpässe der privaten Betreiber zu vermeiden und einen stabilen Betrieb im Regional- und Fernverkehr sicherzustellen, verstaatlicht die britische Regierung kurzzeitig den Bahnbetrieb. Wie das Verkehrsministerium am Montag, 23.03. ankündigte, werden die bestehenden Franchise-Verträge ausgesetzt. Jegliches Risiko von Kosten und Erträgen übernimmt die Regierung. Dabei wird der Zugverkehr weiterhin durch die privaten Bahnbetreiber organisiert, die gemäß einer „Notfallvereinbarung“ mit einer kleinen Managementgebühr bezahlt werden. Diese Regelung gilt zunächst für sechs Monate.

USA

Während die New Yorker U-Bahn und die Hochbahn in Chicago bis Anfang dieser Woche nach regulärem Fahrplan verkehrten, wurden in Boston, Washington, in der San Francisco Bay Area und in Philadelphia bereits reduzierte Fahrpläne umgesetzt. Seit dem 23. März 2020 hat MTA in New York nach Einführung des „Essential Service Plans“ sekundäre (doppelte) U-Bahn-Strecken eingestellt. Die U-Bahn von Washington schloss ab dem 24. März 20 U-Bahn-Stationen.

China

Ende Dezember trat das Coronavirus erstmals in Wuhan in Erscheinung. Zwei Monate lang wurden von der Chinesischen Regierung strikte Isolationsmaßnahmen in Wuhan und Zentralchina umgesetzt. Der ÖPNV in Wuhan kam vollständig zum Erliegen, während in anderen Städten wie Peking und Shanghai ein Mindestangebot umgesetzt wurde. Nachdem die Infektionsraten aber zurückgegangen sind und es seit mehreren Tagen auch keine Neuinfektionen gab, kehrt in China langsam wieder Normalität ein. Auch der öffentliche Nahverkehr in Wuhan rollt langsam wieder an.

Um den ÖPNV dennoch aufrecht zu erhalten, sind chinesische Betreiber auch innovative Wege gegangen. Nach CNN Berichten plant Peking, ein „U-Bahn Dating“ System zu testen, welches Gedränge an neuralgischen Punkten vermeiden soll.   

Pendler sollen fünf Apps Termine vereinbaren, um während der Hauptverkehrszeiten zwei der verkehrsreichsten U-Bahn-Stationen der chinesischen Hauptstadt zu erreichen. Sie erhalten dann einen QR-Code auf ihren Telefonen, der ein halbstündiges Fenster gültig ist. 

Die MTR Corp in Hongkong hat einen automatisierten Roboter für verdampftes Wasserstoffperoxid eingesetzt, um die Züge und Bahnhöfe zu reinigen und zu dekontaminieren. Der VHP-Roboter (VHP steht für Vapourised Hydrogen Peroxide) ist das Ergebnis eines gemeinsamen Projekts von MTR Corp und dem Biotechnologieunternehmen Avalon Biomedical. Er sprüht automatisch Wasserstoffperoxidlösung, die auf eine bestimmte Konzentration zerstäubt wurde, um sicherzustellen, dass Desinfektionsmittel in kleine Lücken eindringen, die während normaler Reinigungsarbeiten schwer zu erreichen sind.

Der Bediener kann den Roboter durch Voreinstellen des Grundrisses des festgelegten Bereichs auf automatischen Betrieb einstellen oder den Roboter mit einem mobilen Gerät aus einer Entfernung von bis zu 20 m steuern. Die Reinigung eines Zuges mit acht Wagen im Automatikmodus dauert ca. 4 Stunden.

Wenn eine spezielle Reinigungssituation vorliegt, z. B. das Erbrechen eines Fahrgasts in einem Zug, können MTR-Mitarbeiter den VHP-Roboter einsetzen, um eine Tiefenreinigung mit verdünntem Bleichwasser durchzuführen. Der Roboter wurde auch zur Desinfektion des Back-of-House-Bereichs am Bahnhof Mong Kok East entsandt, einschließlich der Umkleidekabinen, Toiletten und der Messe sowie der Personenaufzüge, nachdem bei einem Mitarbeiter Covid-19 diagnostiziert worden war.

Die Zusammenarbeit zwischen MTR und Avalon umfasst die Entwicklung von Gesichtsmasken sowie den Einsatz von Nano-Luftfiltrationstechnologie, um die Luftqualität von Stationen weiter zu verbessern.

25.03.2020
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