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HEAT – Hamburg Electric Autonomous Transportation

Seit Anfang August 2021 können Fahrgästen in Hamburg den autonomen und elektrischen HEAT Minibus der Hamburger Hochbahn nutzen | © HHA Hamburger Hochbahn AG

Autonomes Fahren: seit ein paar Jahren laufen ernsthafte Versuche, autonom fahrende Busse auf die Straßen zu bringen. Busse, die keinen Fahrer mehr brauchen, sondern ihren Linienweg ganz alleine finden, die Haltestellen bedienen, Ampeln unterwegs nicht nur erkennen, sondern auch ihre Signalfarben richtig „verstehen“ und dementsprechend handeln, also bei gelb und rot anhalten, bei grün fahren. Und fast noch wichtiger, die Hindernisse auf der Strecke erkennen und darauf reagieren, indem sie bremsen, das Hindernis umfahren, auch ein Warnsignal hören lassen („hupen“). Ach ja, und die natürlich auch so programmiert sind, dass sie pünktlich von der Endhaltestelle abfahren.

Obwohl der Markt für solche autonomen Busse noch sehr klein ist (um nicht zu sagen: außerordentlich klein), gibt es doch auch schon seit ein paar Jahren erste Minibusse, die tatsächlich völlig alleine fahren können. Zu nennen sind hier sowohl der aus Toulouse in Frankreich stammende „EasyMile EZ 10“ als auch der ebenfalls aus Frankreich, nämlich aus der Nähe von Lyon stammende Navya Arma. Und auf der Busworld im Oktober 2019 in Brüssel präsentierte Firma „e.GO“, die auf Professor Günter Schuh von der RWTH Aachen zurückgeht, den Prototypen ihres Minibusses „e.GO Mover“. (Anmerkung: Professor Schuh ist auf dem Gebiet der Elektromobilität wahrlich kein Unbekannter, er ist einer der Köpfe, die hinter dem elektrischen Kleintransporter Streetscooter stehen.)

Sehr früher autonomer Minibus: der EasyMile EZ 10

Erste autonome Minibusse zeigten auch schon vor ein paar Jahren, was sie können, und vor allem, dass sie es können. So war der Verfasser schon im März 2017 bei der Darmstädter HEAG mobilo zu Demonstrationsfahrten mit dem EasyMile EZ 10 eingeladen. Auf dem Gelände einer ehemaligen amerikanischen Kaserne, das sich gerade in eine zivile Wohnsiedlung  verwandelte, war eine „Linie“ eingerichtet worden, die der Kleine völlig alleine absolvierte. Dazu gehörte auch eine Kreuzung, die der Bus erkennen musste und an der er in der einen Richtung nach rechts und dementsprechend in der Gegenrichtung nach links abbog. Dabei war der Vorführwagen ein echtes Zweirichtungs-Fahrzeug: an der Endhaltestelle musste nicht etwa gewendet werden, sondern der Wagen kam einfach an der Haltestelle an, wartete seine Pause ab und fuhr dann in der entgegengesetzten Richtung wieder los.

EasyMile EZ 10 auf Demonstrationstour in Darmstadt | © Christian Marquordt

Eindrucksvoll verliefen Demonstrationen, dass der kleine Bus auf unerwartete Hindernisse zuverlässig reagiert. Es wurde angekündigt, es werde auf der Fahrt jemand unmittelbar vor den Bus springen. „Und glauben Sie uns,“ so hieß es, „der Mann, der das gleich macht, ist nicht lebensmüde.“ So geschah es, wir fuhren auf der „Linie“, und plötzlich sprang ein junger Mann tatsächlich kurz vor den Wagen. Der sofort stoppte, dem jungen Mann passierte absolut nichts. Im Anschluss an diese Demonstration sagte EasyMile: „Ein Bus hat eben keine Schrecksekunde. Während ein Fahrer das, was er da gerade gesehen hat, erst einmal verarbeiten muss und erst dann  reagiert, geht der autonome Bus sofort und unverzüglich „in die Eisen“. Zwei oder drei Sekunden, die über Unfall oder Nicht-Unfall entscheiden können.“

Im Frühjahr 2019 absolvierte ein EasyMile EZ 10 Testeinsätze im nordrhein-westfälischen Drolshagen. Die Versuchslinie begann an einem Altenheim und führte von dort durch den Ort. Eine Aufgabe, die für so einen autonomen Kleinbus ganz sinnvoll sein kann: am Altersheim werden Menschen, die nicht mehr gut zu Fuss sind, abgeholt und in den Ort gebracht, wo sie zum einen einkaufen, zum anderen aber auch nur einfach mal unter Menschen sein können. Die wesentliche Aufgabe für den kleinen Autonomen war ganz ähnlich wie bei der Demonstration in Darmstadt, dass der EZ 10 erkennen musste, wo von der öffentlichen Straße abgebogen werden musste und auf das Gelände des Altenheims einzubiegen war. Kurzes Fazit des Tests in Drolshagen: der Kleine funktionierte prächtig und tat gewissenhaft, was von ihm erwartet wurde. Bei diesem Test hatte die Aufsichtsbehörde vorsichtshalber nur eine Höchstgeschwindigkeit von 13 km/h gestattet. „Wie das,“ fragte der Verfasser die Leute von EasyMille, die den Test begleiteten, „andernorts darf er doch auch 15 km/h. Freundliches Lächeln und die Antwort: „Er könnte 40 km/h. Aber die Aufsichtsbehörden sind noch vorsichtig und erlauben nicht, was der EZ 10 problemlos könnte.“

Test eines EasyMile EZ 10 in Drolshagen | © Christian Marquordt

Inzwischen sind EasyMile EZ 10 sogar schon ganz normal im täglichen Linieneinsatz. Da wäre zunächst die Linie im niederbayerischen Kurort Bad Birnbach zwischen dem Kurviertel und dem Bahnhof zu nennen, die von einem Tochterunternehmen des DB-Konzerns bedient wird. Deren besondere Herausforderung besteht darin, dass der Kleine auf seiner Linie eine viel befahrene Bundesstraße überqueren muss. Damit das gefahrlos geschehen kann, ist die Kreuzung mit einer Ampelanlage gesichert. Aber der EZ 10 muss die Ampel nicht nur erkennen, sondern er muss die Farbsignale, die die Ampel sendet, „verstehen“ und vor allem danach handeln. Auch in Bad Birnbach war die Aufsichtsbehörde vorsichtig: im Bereich der Kreuzung, auf der der kleine Autonome die Bundesstraße überquert, dürfen die Autofahrer auf dieser Bundesstraße nur mit Tempo 30 unterwegs sein.

Im Berliner Stadtteil Tegel gab es seit dem Herbst 2019 eine Testlinie zwischen dem U-Bahnhof Tegel und dem Tegeler See. Der Wagen war hier im ganz normalen Straßenverkehr der Großstadt unterwegs. Und er erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen. Dennoch wurde der Test hier nach der vorgesehenen Zeit beendet. Und doch setzt Berlin weiter auf den Einsatz autonomer Minibusse. Wiederum in Tegel sind drei neue Versuchslinien geplant, auf denen solche Wagen fahren sollen.

Auch die Stadtwerke Osnabrück sammeln mit einem EZ 10, der auf den Namen „Hubi“ getauft worden ist, erste Erfahrungen mit autonomem Buslinienverkehr. 

Die meisten EasyMile EZ 10 in Deutschland sind zurzeit allerdings in der nordrhein-westfälischen Mittelstadt Monheim – gelegen am Rhein zwischen Köln und Düsseldorf – unterwegs. Hier bedienen sie im 15 Minuten-Takt die Linie „A 01“ vom Busbahnhof über die Altstadt zum Rheinufer. Für diese Linie haben die „Bahnen der Stadt Monheim“  fünf autonome Miniibusse (Wagen 72 bis 76).

Und gerade ist eine Linie mit einem EZ 10 auf dem Campus einer Universität in der Nähe von Madrid in Betrieb gegangen. UTM berichtete über die Einsätze in Osnabrück, Monheim und bei Madrid:

https://www.urban-transport-magazine.com/osnabrueck-stadtwerke-testen-autonomen-easymile-minibus/

https://www.urban-transport-magazine.com/autonom-durch-monheim/

https://www.urban-transport-magazine.com/autonom-unterwegs-erster-easy-mile-minibus-in-spanien/

Kehren wir noch einmal nach Berlin zurück. Hier können Menschen auf dem Gelände der Universitäts-Klinik „Charité“ per autonomem Minibus unterwegs sein. Dafür sind zwei EasyMile EZ 10 und zwei Wagen vom Typ „Arma“ aus den Werkshallen der ebenfalls französischen Firma Navya unterwegs.

Der zweite autonome Franzose, der Navya Arma

Womit wir also bei dem anderen autonomen Franzosen, dem Navya Arma, sind. Gebaut wird er in Villeurbanne in der Nähe des französischen Lyon.

Im September 2018 lieferte Navya einen solchen Arma ins luxemburgische Contern, wo der Wagen auf einer damals neu eingerichteten, rund zwei Kilometer langen Linie zwischen dem Industriegebiet „Campus Contern“  und der Haltestelle „Kühne und Nagel“ pendelt. „Kühne und Nagel“ liegt in der Nähe des Bahnhofs.

Navya Arma für die autonome Linie im luxemburgischen Kontern | © Christian Marquordt

Der Verfasser war im Januar 2019 zu einer Probefahrt mit dem kleinen Arma in Contern. Und er stellte fest, dass der brav tat, was er sollte. Zwar bremste er etwas abrupt, aber das ist letztlich eine Frage der Programmierung. Er erkannte zuverlässig, wenn von rechts eine Strasse einmündete, und blieb vor dieser Einmündung stehen. Da zeigte sich aber auch ein kleiner Schwachpunkt dieses frühen Arma: er erkannte nicht, wenn auf der Straße von rechts gar keiner kam und er also hätte durchfahren können. Auch konnte er nicht alleine starten, dazu bedurfte es eines Befehls des Begleiters, den der über eine Console in seiner Hand gab. Und um nicht nur in die Nähe des Bahnhofs zu fahren, sondern richtig bis zum Bahnhof, hätte der Navya bei „Kühne und Nagel“ einen mehrspurigen Kreisverkehr passieren müssen, der ihn im Januar 2019 noch überfordert hätte. Aber schon damals sagte die Gemeinde Contern: „Die Verlängerung bis zum Bahnhof kommt.“ Und noch ein kleines Problem gab es: unterwegs führte der Linienweg an einem besonders dicken Baum vorbei. Den erkannte der kleine Arma, identifizierte ihn als Hindernis und ging voll in die Bremsen. Obwohl der Baum natürlich neben der Fahrbahn steht. Der Begleiter berichtete, dass der Wagen das jedes Mal mache.

Ein weiterer Navya Arma ging im Frühjahr 2019 auf der Insel Sylt in Betrieb. Seine Linie: Westerland – Keitum und zurück.

Aber unterdessen ist der Navya Arma auch außerhalb Europas unterwegs. Seit dem Spätsommer setzt die örtliche Tochter des französischen Verkehrskonzerns Keolis einen Arma im australischen Newport auf einer Linie entlang der Pazifik-Küste ein – UTM berichtete hier: https://www.urban-transport-magazine.com/newcastle-in-australien-keolis-testet-autonomen-navya-arma/

Und damit haben wir uns also angesehen, was bislang auf dem Gebiet der autonomen Busse geschehen ist. Die kleinen autonomen Busse funktionieren, sie – nicht zuletzt ihre Programmierung – mussten aber noch „lernen“. Und zur Sicherheit muss bislang immer noch ein Begleiter mitfahren, der eingreifen kann, sollte das notwendig werden. 

Hamburgs Projekt HEAT

Womit wir uns jetzt dem neuen Projekt HEAT (Hamburg Electric Autonomous Transportation)  zuwenden. In der Hansestadt nahm am 23. Oktober eine rund einen Kilometer lange Rundlinie mit einem autonomen Minibus des Berliner Herstellers IAV ihren Dienst in der HafenCity auf.

Streckenplan HafenCity | © HHA Hamburger Hochbahn
Der eingesetzte Minibus

Der Wagen ist fünf Meter lang und darf – dies zum ersten Mal in Deutschland – mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h unterwegs sein. Der selbsttragende Wagenkasten besteht wie im Busbau in aller Regel üblich aus Vierkant-Profilrohren, die als Außenhaut mit Kunststoff beplankt sind. Dabei bestehen auch die Fensterscheiben aus Kunststoff, lediglich die Scheibe mit dem Notausstieg ist aus Glas.

Von IAV ist aber nicht nur der Wagenkasten, IAV hat auch wesentliche Elemente der gesamten übrigen Technik des Wagens beigesteuert, wie zum Beispiel das elektrische Bordnetz, die zentrale Steuerung des Wagens, Bedien- und Anzeigeinstrumente, die Integration von Joystick (mit dem der „Bediener“ eingreifen kann) mit „Drive by wire“ …

Die erstmals in Deutschland erlaubte Geschwindigkeit von 25 km/h verdankt Hamburgs „HEAT“ seiner neu entwickelten, umfangreichen Fähigkeit, seine Umgebung wahrzunehmen. Neben die Informationen, die der Bus über Sensoren selber erfasst, tritt eine von „Siemens Mobility“ entwickelte Strecken-Infrastruktur, die von der „Hamburg Verkehrsanlagen (HHVA)“ zur Verfügung gestellt wird. Deren Informationen werden an den Bus übermittelt.  Und schließlich greift der autonome Kleine auf eine von der Stadt zur Verfügung gestellte, auf wenige Zentimeter genaue HD-Karte zurück.    

HEAT Einstieg Ausstieg: der kleine Autonome in Hamburgs HafenCity hat auch eine Rampe für Kinderwagen und Rollstühle | © HHA Hamburger Hochbahn AG

Die Informationen aus diesen drei Quellen werden beim Hamburger HEAT „übereinander gelegt“. So werden die konkrete Position des Busses sowie eventuelle Abweichungen ermittelt, und daraus „erkennt“ der Bus, was in der jeweils konkreten Situation zu tun ist. Matthias Kratzsch, Geschäftsführer Technik bei IAV: „Bei uns ist die gesamte Fahrzeugentwicklung geleistet worden, inclusive der integrierten Technologien für das autonome Fahren. Die Besonderheit des Hamburger Projekts HEAT ist die straßenseitige Infrastruktur. Sie liefert zusätzliche Informationen über das Geschehen auf der Straße und in der Umgebung und übermittelt sie an den Bus, so zum Beispiel über andere Fahrzeuge, Radfahrer und Fußgänger, die sich außerhalb der Sichtweite der Sensoren des Busses befinden, weil eine Kreuzung nicht einsehbar ist oder andere Verkehrsteilnehmer durch ein größeres Fahrzeug verdeckt sind. Außerdem ermöglicht die straßenseitige Infrastruktur, Ampelanlagen zu passieren, ohne dass der Begleiter eingreifen müsste.“

Dr. Anjes Tjarks, zuständiger Hamburgischer Senator für die Mobilitätswende, sagte bei der Vorstellung des kleinen IAV: „Der autonome Minibus ist Teil des smarten Mobilitätsmixes unserer Stadt. Zugleich ist er Teil der „ITS-Strategie“ der Stadt (ITS = Intelligent Transport Systems). Und wir wollen ihn beim weltweiten ITS-Kongress präsentieren, der 2021 in Hamburg stattfindet.“     

HEAT Pressekonferenz am 23.10.2020 in Hamburg: Hochbahn-Vorstand Henrik Falk und Hamburgs Senator Dr. Anjes Tjark | © Krafft Angerer Unternehmenskommunikation Hamburger Hochbahn AG

Die Umsetzung des Projekts sei aufgrund des urbanen Umfelds mit Radfahrern und Fußgängern anspruchsvoll gewesen. Und Tjarks stellte klar: „Wir wollen beim autonomen Fahren weltweit ganz vorne mit dabei sein.“ 

Henrik Falk, der Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hochbahn, sagte: „Der autonome Minibus eignet sich hervorragend für Verbindungen,  auf denen der Einsatz des eines großen Busses nicht sinnvoll ist.“ Er wies auf die beiden Fahrgast-Informationssysteme hin, die im „HEAT“ eingebaut sind und die nicht nur die nächsten Haltestellen angeben, sondern auch die Ankunftszeit dort.

Seinen Fahrauftrag erhalte der autonome Minibus von der Leitstelle der Hamburger Hochbahn, auch wenn noch ein Fahrzeugbegleiter mit an Bord sei. Und weil Fahrgäste sich über eine App anmelden, kann die Leitstelle dem Bus auch gleich mitteilen, welche Haltestellen zu bedienen sind.

Falk abschließend: „Wir wissen, dass der Weg zum allgemeinen Einsatz autonomer Busse noch weit ist, aber es geht voran.“

Matthias Hartwig vom Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) wies darauf hin, dass es  eine „Höchstleistung“ war, die rechtliche Zulassung für Hamburgs autonomen Minibus zu erhalten. Der nächste Schritt im Betrieb solcher Fahrzeuge müsse eine höhere Automatisierung sein. Dazu allerdings müsse das Straßenverkehrsrecht aktualisiert werden. Hartwig forderte eine „Experimentierklausel“ im Straßenverkehrsrecht, „die das Fahren ohne Fahrzeugbegleiter möglich macht und so die technische Entwicklung voranbringt.“

Zur Zukunft des Projekts HEAT

Ende des Jahres geht der Wagen zunächst zur Auswertung und Weiterentwicklung nach Gifhorn. Mitte 2021 wird er nach Hamburg zurückkehren. Dann wird er eine größere, zwei Kilometer lange Runde in der HafenCity bedienen.

18.11.2020
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