
Straßenbahnen sind auch in Japan seltener geworden, auch wenn es immerhin noch 20 Systeme im ganzen Land gibt. Hiroshima ist eine dieser Städte, die ihre Tramlinien beibehalten haben. Die Geschichte der Hiroshima Electric Railway ist eine wechselhafte und in gewisser Weise auch tragisch. Aber Hiroshima liebt seine Straßenbahn und trägt ihr Sorge.
Wer Hiroshima heute besucht, wird eine moderne und wirtschaftlich erfolgreiche Stadt erleben, die auch einiges an Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Eines der beliebtesten Reiseziele für Touristen ist die in der Bucht von Hiroshima gelegene Insel Miyajima. Bekannt ist die Insel für ihr enormes Torii-Tor vor dem Itsukushima-Schrein, das bei Flut scheinbar auf dem Wasser schwebt. Ein weiteres lohnendes Ausflugsziel ist die Hiroshima Burg, auch Karpfenburg genannt. Sie wurde ursprünglich in den 1590ern vom mächtigen Feudalherren Mori Termuto erbaut.



Wer sich in der Stadt bewegt, wird an der Straßenbahn kaum vorbeikommen. Ab 3. August 2025 wird der Service noch einmal verbessert, indem die Trams direkt in den Hauptbahnhof einfahren und das Umsteigen vom Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen zur Stadtbahn noch einfacher fällt. Vom Bahnhof Hiroshima aus führen die verschiedenen Tramlinien ins Stadtzentrum, zwei davon bis zum Hafen. Hiroshima verfügt über das längste Streckennetz der in Japan noch vorhandenen Straßenbahnen. Eine U-Bahn wurde in Hiroshima nie realisiert.
Die erste Tramlinie nahm ihren Betrieb am 23. November 1912 zwischen der Station Ekimae (heute Bahnhof Hiroshima) und Miyuki-bashi auf, nur einen Steinwurf vom heutigen Hauptdepot Senda gelegen. Hatchobori wurde alsbald eine wichtige Verzweigung, denn bereits am 8. Dezember 1912 verkehrten auch Trams zwischen den Stadtteilen Kamiyocha und Nishi (das damals noch Koi hieß).
Rollendes Museum
Für Tramliebhaber ist Hiroshima in Teilen ein rollendes Museum. Die Hiroshima Electric Railway, betreibt nämlich Tramwagen aus unterschiedlichen Epochen. Dabei verkehren viele Tramzüge aus japanischen Städten, die ihre Straßenbahn zu Gunsten moderner Busse aufgegeben haben. Einige Modelle stammen auch aus Europa. So hat die Stadt Hannover ihrer Partnerstadt 1989 ein Fahrzeug des Typs T2 geschenkt. Der Hannover Tramwaggon trägt beidseitig die Aufschrift «Hannover grüßt Hiroshima», jeweils in deutscher und japanischer Sprache. Das Fahrzeug verkehrt allerdings nur noch selten, weil es nicht über eine Klimaanlage verfügt – gerade in den äußerst heißen Sommermonaten ein Nachteil. Seine großen Momente hat der Tramwaggon aber jeweils um die Weihnachtszeit, wenn er auf Sonderfahrten als Weihnachtstram fahren kann.

Nicht mehr in Betrieb sind zwei GT8-Gelenktrams aus Dortmund, die ab 1981 in Hiroshima verkehrten. Eines der Fahrzeuge wurde 2006 verschrottet, das andere wurde 2004 ausrangiert und diente eine Zeit lang als Restaurant. Später wurde es als Attraktion in einem Einkaufszentrum aufgestellt. Noch heute kann es als Partyraum gemietet werden. Andere Fahrzeuge stammen aus Kobe, Kyoto und Osaka. Seit der Jahrhundertwende hat Hiroshima seine Straßenbahn konsequent modernisiert und der Flotte Fahrzeuge von Siemens/Düwag und Mitsubishi hinzugefügt.

Die Tragödie: Little Boy
Zu den interessantesten Fahrzeugen gehören die drei Trams mit den Nummern 651, 652 und 653 (alle Baujahr 1942). Sie stammen aus den Kriegsjahren und erinnern heute noch an den Abwurf der ersten Atombombe am 6. August 1945. Nach dem Kriegseintritt Japans war die Straßenbahn dem Militär und Warentransporten vorbehalten. Da die Männer im Kriegsdienst waren, übernahmen viele junge Frauen ihre Aufgaben zu Hause. Sie wurden unter anderem auch Tramwagenführer und Kondukteurinnen. Dazu wurde im April 1943 gar eine eigene Schule gegründet, die «Home Economic Girls’ School» der Hiroshima Electric Railway im Bezirk Minami. Das Internat, beherbergte zunächst 72 Mädchen, die nach ihrem Abschluss der staatlichen weiterführenden Grundschule im Alter von 14 Jahren ein dreijähriges Programm absolvierten. Die Schülerinnen wurden im Nähen und Maschinenschreiben unterrichtet und lernten, Straßenbahnen zu fahren oder die Aufgaben eines Schaffners zu übernehmen. Am Morgen des 6. August 1945 deutete nichts darauf hin, welche Katastrophe an diesem Montag über die Stadt hereinbrechen würde. Ein Fliegeralarm wurde wieder aufgehoben, da nur drei Flugzeuge gesichtet wurde. Eins davon, ein B-29 Bomber mit den Übernamen «Enola Gay» warf um 8:15 Uhr den Sprengsatz «Little Boy» ab. Innert Sekundenbruchteilen wurde die Innenstadt in Schutt und Asche gelegt. Bis heute ist die genaue Opferzahl unklar, Schätzungen gehen davon aus, dass die Explosion unmittelbar 22.000 Menschen sofort tötete, dass aber in den Stunden danach weitere 100.000 Menschen dem Feuersturm und der Verstrahlung zum Opfer fielen. Bis zum Jahresende 1945 geht man von etwa 140.000 Menschen aus, die durch die Atombombe starben. Von den materiellen Schäden wurde auch die Straßenbahn nicht verschont, 108 der 123 Tramwagen wurden beschädigt, über 40 waren irreparabel ausgebrannt. Das Umspannwerk Yagura-no-shita in der Nähe des Hypozentrums wurde vollständig zerstört und beinahe die Hälfte der Strommasten in der Stadt waren umgestürzt. Von den 1.241 Mitarbeitern der Hiroshima Electric Railway kamen 185 ums Leben und 266 wurden in unterschiedlichem Ausmaß verletzt. Pflichtbewusst begannen einige Mitarbeiter und die Armee, die Straßenbahn wieder herzurichten. Bereits drei Tage nach dem Bombenabwurf verkehrten einige wenige Trams auf einer kurzen Strecke durch die weitgehend zerstörte Stadt. Am 17. September 1945 fegte ein Taifun über die Region und richtete weiteren Schaden an. Ein Gesetz zum Wiederaufbau der Stadt (Hiroshima Peace Memorial City Construction Law) ermöglichte ab 1950 auch die Rekonstruktion der Straßenbahnen, die fortan in der Straßenmitte doppelspurig verlegt wurden. In den 70er-Jahren kaufte die Stadt Hiroshima Straßenbahnwagen, die andernorts – etwa in Osaka, Kyoto und Kobe – ausrangiert wurden. Aus Kostengründen behielte sie ihre Bemalung – bis heute.
Das Hibaku Street Car Project
Der Tramwagen 653 wurde nach der Jahrhundertwende aus dem Verkehr gezogen. Aus Anlass des 70. Jahrestags des Bombenabwurfs aber, wurde er komplett restauriert und wieder in seine ursprüngliche Farbgebung blau/grau lackiert. Zwei weitere Motorwagen, die 651 und 652 wurden ebenfalls restauriert und in den Farben der Hiroden Streetcars grün/beige lackiert. Rund 2800 Menschen halfen in irgendeiner Form beim «Hibaku Street Car Project» mit, das von der Hiroshima Electric Railway, gemeinsam mit dem Lokalsender Chugoku Broadcasting RCC ins Leben gerufen wurde. Als besondere Herausforderung erwies sich die korrekte Farbgebung – existierten doch aus den vierziger Jahren lediglich schwarzweiße Fotos. Mit Hilfe von Büchern und Beschreibungen, sowie den Erinnerungen von Hibakusha – Betroffenen der Atombombenexplosion – wurde die Farbe dem Original soweit möglich angepasst. Die Nummer 653 führt heute Schulklassen durch die Stadt und trägt so zu einem lebendigen Geschichtsunterricht bei. Die drei Oldtimer verkehren nur noch für Sonderfahrten.




Wer sie – und auch die modernen Straßenbahnwaggons sehen will, kann aber auch das Streetcar Festival besuchen. Es findet jeweils am zweiten Sonntag im Juni statt und fällt somit auf den Beginn der Regenzeit. Allerdings ist es bei klarem Wetter sehr heiß und der Hof bietet kaum Schatten. Es ist deshalb ratsam, Sonnencreme und einen Hut oder Sonnenschirm mitzubringen. Das Depot im Stadtteil Senda bietet auch viele Attraktionen für Kinder, wie etwa einen Malwettbewerb, sowie Souvenirs, Essensstände und Bühnenshows. Das «Hiroden Streetcar Festival» ist eine PR-Veranstaltung mit der die Hiroshima Electric Railway ihren Passagieren danken möchte. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde die Veranstaltung ab 2020 abgesagt, ab 2025 soll sie wieder durchgeführt werden. Der «Straßenbahntag» wird am 10. Juni als Wortspiel gefeiert: «ro» (6) und «ten» (10) beziehen sich auf «roden» (Straßenbahn). Er im Oktober 1995 in Hiroshima ins Leben gerufen, um den öffentlichen Nutzen und die Bequemlichkeit von Straßenbahnen weithin zu fördern sowie die Nutzung und verschiedene Kampagnenaktivitäten zu fördern. Er wurde 2023 von der Japan Anniversary Association offiziell anerkannt. Der «Hiroshima Electric Railway Senda Streetcar Yard» ist das älteste Straßenbahndepot und befindet sich neben dem Hauptgebäude der Hiroshima Electric Railway.
Am einfachsten ist das Senda-Depot mit den Tramlinien 1, 3 oder 7 bis Hiroden Honsha-mae zu erreichen. Im Tram gibt es eine Einheitstarif von 160 Yen. Bezahlt wird beim Ausstieg, entweder beim Tramführer oder bei längeren Zügen beim Kondukteur.


Tramlinien in Hiroshima:
- Linie 1 (Orange): Hiroshima Station (Hauptbahnhof nach Hiroshima Port (Hafen)
- Linie 2 (Rot: Hiroshima Station (Hauptbahnhof) nach Miyajima-guchi (Fähre zur Insel Miyajama)
- Linie 3 (Blau): Nishi-Hiroshima Station nach Hiroshima Port
- Linie 5 (Grün): Hiroshima Station nach Hiroshima Port (Hafen)
- Linie 6 (Gelb): Hiroshima Hauptbahnhof bis Eba
- Linie 7 (Dunkelgrün): Yokogawa Station nach Hiroden honsha-mae
- Linie 8 (Pink): Yokogawa Station bis Eba
- Linie 9 (Grau): Hatchobori bis Hakushima
Einige Daten zur Straßenbahn Hiroshima:
- 8 Linien
- 35,1 km Streckennetzlänge, davon 16,1 km Überlandlinie 2
- 4 Betriebshöfe
- 137 Triebwagen der Baujahre 1942-2024 (Stand Frühjahr 2024)
- Niederfluranteil rund 36%

Interview mit Ayumi MAEDA, Assistant Manager of the Tram Planning Department at Hiroshima Electric Railway Co., Ltd.
Wie lange arbeiten Sie schon für die Hiroshima Electric Railway?
Ayumi MAEDA: Dieses Jahr sind es 14 Jahre.
Welche anderen Aufgaben erledigen Sie, wenn Sie gerade nicht Journalisten und Fotografen durch das Depot führen?
Ayumi MAEDA: Ich plane und betreibe saisonale Straßenbahnlinien wie den Weihnachtszug und organisiere Fotoevents mit älteren Fahrzeugen. Mein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung und Umsetzung von Projekten, die den Menschen Freude an den Straßenbahnen vermitteln.
Die Straßenbahn mit der Nummer 653 unterscheidet sich von allen anderen. Was macht sie so besonders?
Ayumi MAEDA: Diese Straßenbahn war in Betrieb, als 1945 die Atombombe auf Hiroshima abgeworfen wurde. und sie verkehrt immer noch als Sonderzug, der als «Atombombenzug» bezeichnet wird. Unter den Zügen des Typs 650 wird die Einheit 653, die Sie hier fotografieren können, bei manchen Veranstaltungen als Privatzug eingesetzt. Die verbleibenden zwei Züge, die Einheiten 651/652 werden wie gewohnt kommerziell betrieben.
Man könnte diese Straßenbahnen also als «lebendiges Museum» bezeichnen?
Ayumi MAEDA: In den 1960er Jahren schritt die Motorisierung in ganz Japan voran und die Straßenbahnen wurden nach und nach stillgelegt. Um den anspruchsvollen Geschäftsbetrieb wieder aufzubauen, kaufte die Hiroshima Electric Railway im großen Stil Fahrzeuge aus anderen Städten wie Osaka und Kobe, die zu jener Zeit ihren Straßenbahnverkehr einstellten. So modernisierte und rationalisierte Hiroshima seinen Betrieb. Das Unternehmen erwarb verschiedene Arten von Straßenbahnen aus mehreren Städten und betreibt sie bis heute in ihren ursprünglichen Farbschemata, was ihr den Spitznamen «Das fahrende Straßenbahnmuseum» einbrachte.
Wie häufig verkehrt die Nummer 653 und auf welchen Strecken?
Ayumi MAEDA: Die Einheit 653 wird bei den Veranstaltungen als Privatzug eingesetzt, sie fährt nicht mit regulären Passagieren. Was die Einheiten 651/652 betrifft, kann es vorkommen, dass sie während der morgendlichen Hauptverkehrszeit eingesetzt werden. Die Betriebsstrecken sind tagesabhängig.
Ist das Fahren oder der Unterhalt komplizierter als bei modernen Straßenbahnen?
Ayumi MAEDA: Ältere Wagen wie der Atombombenzug, also die Modelle der 650-er Serie sind einfacher zu warten als neuere Fahrzeuge. Neuere Straßenbahnen verwenden viele elektronische Komponenten, wodurch es oft schwieriger ist, die Ursache von Fehlern zu ermitteln, wenn sie auftreten. Im Gegensatz dazu sind Störungen bei analogen Fahrzeugen wie dem Atombombenzug unkompliziert zu erkennen, was die Wartung vereinfacht.
Was das Fahren betrifft, funktionieren ältere Straßenbahnen ähnlich wie Autos mit manueller Schaltung und erfordern mehr Geschick vom Fahrer, was zu spürbaren Unterschieden in der Fahrleistung führen kann.
Welche Straßenbahnen gefallen Ihnen besser, die modernen oder die Oldtimer?
Ayumi MAEDA: Tut mir leid, dass ich da keine eindeutige Antwort, geben kann aber mir gefallen beide. Die neuen Fahrzeuge, die in der Innenstadt fahren, sind stilvoll und unterstreichen die Schönheit unserer Stadtlandschaft. Oldtimer hingegen haben einen Charme, der nur älteren Modellen eigen ist, und ich habe großen Respekt vor ihnen, da sie im Laufe der Jahre viele Passagiere befördert haben und immer noch zuverlässig im Einsatz sind.
Ab Frühjahr 2025 werden die Straßenbahnlinien direkt in das neue Bahnhofsgebäudes von Hiroshima geführt: Wie sieht die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs in Hiroshima aus?
Ayumi MAEDA: Durch die Ankunft im Bahnhofsgebäude von Hiroshima wird die Fahrtzeit zu JR und Straßenbahn verkürzt und die Pünktlichkeit und Bequemlichkeit des Zugangs zur Innenstadt verbessert. Das Umsteigen im Bahnhof Hiroshima wird bequemer und einfacher sein.






