Wir sind im Oktober 2023 auf der Busfachmesse „Busworld“ in Brüssel. Auf dem Stand des belgischen Busbauers Van Hool steht ein wahrhaft beeindruckender Bus: ein fast 25 Meter langer, batterie-elektrischer Doppelgelenkbus des Typs „ExquiCity 25“ mit – für einen Bus – unorthodoxem Aussehen.
56 Doppelgelenkbusse für „Ile-de-France Mobilités“
Der Wagen auf der Busworld ist der erste von insgesamt 56 Doppelgelenkbussen, die der Aufgabenträger „Ile-de-France Mobilités“ für die zwei Schnellbuslinien „T zen 4“ und „T zen 5“ im und ins Pariser Umland bestellt hat. Beide laufen überwiegend auf eigenen Fahrwegen mit Vorrangschaltungen an Ampeln. Die 14,8 Kilometer lange Linie „T zen 4“ fährt von Viry Chatillon nach Corbeil Essones, die neun Kilometer lange Linie „T zen 5“ ist zwischen dem 13. Arrondissement von Paris (Bibliothèque François Mitterand) und Choisi-le-Roi unterwegs. Die Wagen sollen von Keolis aus Courbevoie im Pariser Umland betrieben werden. Wobei Keolis zu 70 % der französischen Staatsbahn SNCF gehört. Wir berichteten hier ausführlich:
Im Frühjahr 2024 ereilt Van Hool die Insolvenz. Das Unternehmen wird abgewickelt, der Bau von Linienbussen wird eingestellt – nur für die Reisebusse (einige Typen von ihnen) aus dem Haus Van Hool und das Van-Hool-Werk im nordmakedonischen Skopje findet sich eine Zukunft unter dem Dach des niederländischen Busbauers VDL – der damit sein Reisebus-Programm ergänzen will, um Typen, die nach seiner Meinung gut in sein Portfolio passen. So war – zum Beispiel – der Van Hool Reisedoppeldecker „Astromega“ immer erfolgreicher am Markt als der VDL-Reisedoppeldecker „Futura DD“.
Zum Zeitpunkt der Insolvenz hatte Van Hool fünf der bestellten Doppelgelenkbusse an Keolis ausgeliefert, weitere 25 standen (und stehen) mehr oder weniger unvollendet in der Konkursmasse im Van-Hool-Werk im belgischen Lier(-Koningshooikt). Eher unbefriedigend: Keolis braucht die Busse in Paris, und in Lier steht da eine Menge Kapital ungenutzt in einer Werkshalle …
Da traf es sich, dass sich ein Unternehmen mit Erfahrung im Bau von Doppelgelenkbussen fand, das sich bereit zeigte, die ExquiCity, die da in Lier einer ungewissen Zukunft entgegen dämmern, fertig zu stellen. Und zwar die schweizerische Firma Hess (aus Bellach bei Solothurn), die – vor allem als Trolleybusse, aber auch als batterie-elektrische Busse – in den vergangenen zwanzig Jahren schon eine Menge Doppelgelenkbusse ausgeliefert hat, vor allem in die Schweiz, aber sogar auch ins australische Brisbane. Auch in Deutschland, und zwar in Wiesbaden, ist ein Doppelgelenkbus von Hess schon mit Erfolg getestet worden: Fahrverhalten einwandfrei, da der Wagen (aus Basel) aber für Nachladung auf der Linie konzipiert ist, worüber Wiesbaden nicht verfügt, reichte sein Aktionsradius indes nicht aus.
Noch steht eine endgültige Einigung mit den belgischen Konkursverwaltern möglicherweise noch aus, sie gilt allerdings als reine Formsache. Welches Interesse sollten die Konkursverwalter auch daran haben, die unvollendeten Busse auf ihrem Hof zu behalten? Da erzielt man doch besser noch ein paar Euro Erlöse, und sei es im Interesse der Gläubiger.
Anmerkung: In Europa gab es bislang nur drei Hersteller, die Doppelgelenkbusse anboten: in alphabetischer Reihenfolge Hess, Solaris und Van Hool. Von denen ist Van Hool jetzt weggefallen. Die deutschen Hersteller MAN und Mercedes halten sich bislang vornehm zurück, obwohl sie beide schon mal einen Prototypen zu Testzwecken gebaut haben – sowohl der MAN (er lief in mehreren Städten als Vorführwagen, so zum Beispiel in Frankfurt und Wolfsburg) als auch der Mercedes (letzterer für ein „O-Bahn“ genanntes Spurbus-System) taten durchaus, was sie sollten … Eine kleine Serie solcher Wagen hatte auch Renault schon vor vielen Jahren nach Bordeaux geliefert.
Was noch fehlt …
Vom wagenbaulichen Teil sind alle ExquiCity-Doppelgelenkbusse für die Ile-de-France so gut wie fertig. Das ist der Teil der neuen Busse, den Van Hool zu liefern hatte. Das Batteriesystem sollte von Kiepe kommen, das Ladesystem wird laut ursprünglichem Vertrag von Alstom beigesteuert. Hess braucht jetzt Zugang zu den Wagen im Werk in Lier, um sie fertigstellen zu können. Inzwischen habe man sich mit den Konkursverwaltern geeinigt, heißt es.
Zukünftige Bestellungen
Für „Ile-de-France Mobilités“ ist die Insolvenz bei Van Hool kein Grund, vom Doppelgelenkbus abzurücken. Im Gegenteil. Man erwägt, zukünftige Doppelgelenkbusse direkt bei Hess zu bestellen. Eine Ausschreibung dürfte aber auch hier nötig sein.
23.10.2024