Zwischen Aachen und Mönchengladbach liegt die Stadt Erkelenz. Sie hat gut 43.000 Einwohner. Verkehrlich wird sie durch die Autobahn A 46 und die Bahnstrecke Mönchengladbach – Aachen erschlossen. Daneben gibt es ein umfangreiches Nachbarorts-Liniennetz, das mit Bussen erschlossen wird und zu dem auch die beiden Schnellbuslinien SB 1 (Erkelenz – Übach-Palenberg) und SB 81 (Erkelenz – Mönchengladbach) gehören. Für eine Stadt dieser Größe weit bemerkenswerter ist allerdings, dass es mit den Linien „EK 1“ bis „EK 4“ gleich vier Stadtbuslinien gibt. Vergleichbare Städte wären mitunter wohl froh, wenn sie eine einzige Stadtbuslinie hätten …
Am 26. Juni 2020 begann ein neues Zeitalter beim Stadtbus Erkelenz. Denn es wurde erstmals ein vollelektrischer Minibus präsentiert, der seither auf Linie „EK 4“ seine Runden dreht. Linie „EK 4“ nimmt ihren Dienst montags bis freitags um 6.15 Uhr am Erkelenzer Bahnhof auf und kehrt um 19.46 zum letzten Mal hierher zurück, danach sowie samstags, sonn- und feiertags herrscht Betriebsruhe. Die Linie beschreibt im Stundentakt eine „8“ durch das Stadtgebiet, jeweils zur Minute 15 geht es ab Bahnhof Richtung Borschemich, und zur Minute 46 in Richtung Oerather Mühlenfeld. Dass der Wagen damit nur 13-einhalb Stunden unterwegs ist, zeigt deutlich, dass der Bus da mit seiner Reichweite von 210 Kilometern problemlos ohne Nachladung auf der Linie unterwegs sein kann.
Sehen wir uns den Bus an, der seit dem 26. Juni auf Linie „EK 4“ seine Runden dreht. Es handelt sich um einen Minibus, den es bislang in Deutschland noch kaum gibt und den man deshalb einstweilen doch noch als Exoten bezeichnen darf: um einen türkischen Karsan vom Typ „Jest Electric“.
Karsan hat seinen Sitz in der türkischen Stadt Bursa (im asiatischen Teil und nahe des Marmara-Meers) und ist in gewissem Sinne fast schon ein typischer Bushersteller aus diesem Land. Denn das Unternehmen ist wie viele seiner türkischen Mitbewerber noch sehr jung: gegründet erst 1966, zählt Karsan längst zu den großen Busbauern in seinem Heimatland. Lange beschränkte man sich auf den Bau von Mini- und Midibussen. Zudem baut(e) man in Lizenz Transporter großer Hersteller aus Europa (wie zum Beispiel Citroen, Fiat und Peugeot) und aus Asien nach.
In Italien kennt man die renommierten Bushersteller Breda und Menarini, letzterer aus der bekannten Stadt Bologna. Beide fusionierten um die Jahrtausendwende zur „Breda-Menarinibus“. Und daraus wurde die „Industria Italiana Autobus (IIA)“. Die Geschäfte von IIA liefen nicht immer „rund“, man geriet in finanzielle Probleme. Karsan erkannte seine Chance und übernahm 70 % der Anteile an der IIA. Seither hat man auch ausgewachsene 12 Meter-Busse und Gelenkwagen aus der eigenen Unternehmensgruppe im Angebot.
Anmerkung: Zwar hat Karsan lange Zeit keine selbst konstruierten „ausgewachsenen“ Busse im Angebot gehabt, doch schon 2013 konnte der Verfasser in Istanbul von Karsan in Lizenz nachgebaute „BredaMenarinibus AvanCity CNG“ (also Wagen mit Erdgasantrieb) fotografieren.
Und noch etwas sei berichtet: Karsan will wachsen, auch in Europa. Hierfür wurde eine Kooperation mit der Quantron AG aus Augsburg abgeschlossen. Quantron ist Vertriebs- und Servicepartner von Karsan für Deutschland, Österreich und die Schweiz („DACH-Region“) und vertreibt hier exklusiv die Elektrobusse „Jest Electric“ und seinen größeren Bruder „Atak Electric“. Vor kurzem eröffnete man zusätzlich in Nürnberg ein zentrales Ersatzteillager für Europa. Von dort aus will man Ersatzteile innerhalb von 24 Stunden an jeden Ort innerhalb von Europa liefern, um einen reibungslosenService zu gewährleisten. Dass Nürnberg einen Flughafen hat, hat bei diesen Plänen sicherlich eine Rolle gespielt.
Technische Daten zum Karsan Jest Electric
Aufbau aus Kunststoff und Aluminium
Länge: 5.800 mm
Breite: 2.055 mm
Höhe: 2.630 mm ohne Klimaanlage, 2.800 mm mit Klimaanlage
Radstand: 3.750 mm
Niederflurplattform an der Tür
Fahrgastkapazität: 25 Passagiere
9 oder 10 Sitzplätze (je nach Kundenwusch)
2 oder 3 Klappsitze auf der Niederflurplattform
15 oder 16 Stehplätz (je nach Anzahl der festen Sitze)
Elektromotor: BMW (wie in BMW i3)
Lithium-Ionen-Batterien: BMW (wie in BMW i3)
1 oder 2 Batterie-Sätze zu jeweils 44 kWh
je Batteriesatz 8 Module mit jeweils 12 Zellen
Garantie auf die Batterien: 4 Jahre oder 60.000 km pro Batteriesatz
maximale Leistung: 135 kW
V/max 70 km/h
maximale Steigfähigkeit: 25 %
maximale Reichweite: 210 km
BMW On-Board Ladetechnik
Ladebuchse in der Front zwischen Frontscheibe und Grill, unter dem „K“ als Markenzeichen
Schnellladevorgang: in 55 Minuten 80 % der maximalen Ladung
an beiden Achsen Einzelräder – mit Einzelradaufhängung
Rückfahrkamera (für den Blick hinter den Bus beim Rückwärtssetzen)
