
Nach Jahrzehnten der Diskussion, Planung, Vorbereitung, Neuplanung und schließlich der Bauausführung ist es seit heute so weit: Die belgische Großstadt Lüttich (Liège) verfügt wieder über ein modernes Schienenverkehrsmittel. Eine zeitgemäße Niederflur-Straßenbahn soll die Verkehrsverhältnisse in der Stadt als attraktiver Anreiz zur verstärkten Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs entscheidend verbessern.
Die Stadt hat eine lange Tradition als industrielles Zentrum im wallonischen Landesteil des Staates Belgien. Rund 196.000 Menschen leben heute im Stadtgebiet, im näheren Erschließungsumfeld sind es knapp 600.000. Straßenbahnen nahmen bis in die 1960er Jahre eine wichtige Funktion im Stadtverkehr wahr, wurden aber bis 1967/68 – dem seinerzeit vorherrschen Trend folgend – alle eingestellt. Omnibusse traten ihre Nachfolge an (bis 1971 auch Obusse).
Um die Verkehrssituation in dem vom industriellen Strukturwandel stark betroffenen Gebiet deutlich zu verbessern, war lange Zeit die Einführung einer vollwertigen, weitgehend unterirdischen Metro in der Planung, ein erstes Tunnelstück von rund 700 Meter Länge entstand sogar unter dem Quai Sant-Léonard und dem Quai de la Batte vor mehr als 30 Jahren.
Planungen für eine moderne Tram
Finanzielle Überlegungen und damit einhergehend wohl auch die Einsicht, dass mit vertretbarem Aufwand auf Jahrzehnte keine vollständige Erschließung des Stadtgebiets zu bewerkstelligen sein werde, führten am Ende zum Entschluss, eine modernes Tramsystem in Liège einzuführen.
Die erste Linie des neuen, künftig noch erweiterbaren Netzes erschließt als moderne Niederflurbahn wichtige Bezirke des Stadtgebiets auf einer Länge von 11,7 km von der Haltestelle Sclessin/Standard bis Coronmeusse und Breussoux (Liège Expo) im Nordosten. Sie verläuft teilweise straßenbündig, größtenteils jedoch auf einer eigenen Trasse mit Rasengleis an vielen Stellen. An Kreuzungen sorgt Ampelpriorität für eine zügige Fahrt. Insgesamt werden 23 Haltestellen bedient. Oberleitungsfreie Abschnitte gibt es zwischen den Haltestellen Blonden und Général Leman, Opéra und Curtius (Gegenrichtung: Pont Maghin bis Opéra) und zwischen Droixhe und Pont Atlas sowie zwischen Droixhe und Parc Reine Astrid (letztere nur als Betriebsverbindung).


Eine weitere Karte findet sich unter: https://www.urbanrail.net/eu/be/liege/liege.htm
Ende 2018 begannen die Bauarbeiten, im Oktober 2023 begannen die Probefahrten, die im August 2024 auch das Zentrum erreichten (wir berichteten HIER). Die Bauausführung und den anschließenden Betrieb für 27 Jahre hat das Tram’Ardent Konsortium übernommen, das sich aus Colas Belgium, Colas Projects, Colas Rail Belgium, CAF Investment Projects – einer Tochtergesellschaft des spanischen Schienenfahrzeugherstellers Construcciones y Auxiliar de Ferrocarriles (CAF) – und dem niederländischen Investmentfonds DIF Infrastructure V zusammensetzt. Die Projektkosten werden in Höhe von 430 Mio. EUR werden im wesentlichen (380 Mio. EUR) im Rahmen eines Public-Private Partnership Agreements (PPP) dem Konsortium in verschiedene Tranchen erstattet, unterstützt durch Zahlungsmodalitäten, die z.T. in abhängig vom erreichten Betriebs- und Unterhaltungsstandard ausgestaltet sind.


Die Eröffnung
Der endgültige Eröffnungstermin wurde mehrfach verschoben, doch das ist nun hoffentlich bald vergessen: Am 25. April 2025 weihten – neben zahlreichen anderen Gästen – Willy Demeyer, Bürgermeister der Stadt Lüttich, François Desquesnes, wallonischer Minister für Mobilität, Territorium, Infrastruktur und lokale Behörden, Robert De Groot, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, Michel Rucquois, Geschäftsführer von Tram’Ardent, und Jean-Michel Soors, Geschäftsführer TEC, das neue System offiziell ein, und seit heute, dem 28. April, früh gegen 4.20 Uhr fahren die neuen Bahnen planmäßig im 5-6 Minuten-Abstand auf der Strecke. Der Ansturm war den ganzen Tag über groß, was auf eine hohe Akzeptanz unter der Bevölkerung hoffen lässt. Am 29. April müssen die Menschen in Lüttich allerdings schon wieder einen Tag auf die Tram verzichten, ausgelöst durch einen angekündigten Generalstreik im Verkehrswesen.

Die Fahrzeuge
Zum Einsatz kommen 20 siebenteilige, 45,4 Meter lange und 2,65 Meter breite Niederflurzüge des spanischen Herstellers CAF. Sie bieten 310 Fahrgästen Platz, davon 62 auf Sitzplätzen. Die ersten davon sind schon seit 2022 in der Stadt (siehe: https://www.urban-transport-magazine.com/liege-die-erste-bahn-ist-eingetroffen/ ) und erlauben den Betrieb auf den genannten oberleitungsfreien Abschnitten. Bei künftigen Erweiterungen sollen weitere Züge beschafft werden. Allerdings wurden kürzere Verlängrungsoptionen an den beiden äußeren Endpunkten erst im vergangenen Jahr aus Budgetgründen abgelehnt. Lüttich will gleichzeitig ein Bus Rapid Transit (BRT)-Netz auf.





