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ÖPNV nach Corona: Hochlauf und Finanzierungslücken

Mehrere Alstom Citadis Straßenbahnen wurden in Montpellier mit einem "Mundschutz" versehen I © Edouard Paris/ https://tramwaydemontpellier.net

Busse, Bahnen und Haltestellen wirkten wochenlang gespenstisch verlassen. Nahezu menschenleere Busse und Bahnen sowie die eingeführten Ferien- und Wochenendfahrpläne prägten das Bild des ÖPNV seit Mitte März, als der Ausbruch des neuartigen Sars-CoV-2 (Corona) Virus in Deutschland und anderen europäischen Länder begann.

In mehreren europäischen Ländern, so auch in Deutschland, traten Anfang Mai die ersten Lockerungen in Kraft. Geschäfte dürfen wieder öffnen, viele Firmen haben die Arbeit wieder aufgenommen, die ersten Schulen unterrichten wieder. Die Rückkehr zu einem vollen und leistungsfähigen ÖPNV Angebot war also notwendig. 

Gleichzeitig kommen aber auch die wirtschaftlichen Auswirkungen ans Licht. Mehraufwände und wochenlange Einnahmeverluste haben ihre Spuren in den Kassen der Verkehrsbetriebe hinterlassen. Jetzt ist die Politik gefragt. Ein Überblick.

Menschenleer: der Berliner Alexanderplatz I © UTM

In den meisten deutschen Städten fahren seit Montag, 4. Mai wieder alle Busse und Bahnen im gewohnten Fahrplan, meist inklusive HVZ-Verstärker. Auch die Deutsche Bahn fährt wieder regulär, während in anderen europäischen Ländern die Bewegungsfreiheit noch eingeschränkt ist. In Frankreich dürfen sich die Bürger bis zum 3. Juni nicht weiter als 100 km von ihrem Wohnort entfernen. Auch in Italien und Spanien gibt es ähnliche Regelungen.

Das Tragen von Mund-Nasen- Schutz ist im ÖPNV mittlerweile Pflicht. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien. An vielen Bahnhöfen gibt es entsprechende Kontrollen. Viele Verkehrsbetriebe hängen Informationen aus, machen Durchsagen und nutzen die digitalen Kanäle, um die Fahrgäste im Umgang mit Corona im ÖPNV besser zu informieren. In einigen Städten wurden sogar „Hygienestationen“ eingerichtet. Die Rheinbahn in Düsseldorf nahm mehrere Wasser- und Desinfektionsspender an Knotenpunkten in Betrieb.

Corona-Virus und Klimaanlagen

Laut Informationen des Herstellers Konvekta ist die aerosolische Übertragung (über den Luftweg) des Corona-Virus nicht der primäre Übertragungsweg ist. Dies bestätigen auch die bisherigen Untersuchungen des Robert Koch-Instituts, die eine Übertragung von SARS-CoV-2 über Aerosole im normalen gesellschaftlichen Umgang als nicht wahrscheinlich ansehen. 90% der Übertragungen erfolgen über Tröpfcheninfektion (Husten und Niesen) und 9% durch Kontakt mit kontaminierter Oberfläche. Das heißt, eine Infektion ist sehr viel wahrscheinlicher durch eine Direktübertragung von Mensch zu Mensch oder auch durch das Berühren der Haltestangen, der Sitze oder anderer Oberflächen.

Aerogene Infektionen sind jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen, da die Möglichkeit besteht, dass durch die Luftbewegung im Fahrzeug Tröpfchen von ihrer Flugbahn abgelenkt und aufgenommen werden können.

In geschlossenen Räumen kann die Anzahl von Erregern stark steigen. Regelmäßiges Lüften senkt daher das mögliche Ansteckungsrisiko. Des Weiteren fördert Lüften ein gutes Raumklima und verhindert durch die höhere Luftfeuchtigkeit das Austrocknen der Mund- und Nasenschleimhäute, die dann vor Krankheitserregern besser geschützt sind. Das heißt, das Zuführen von Frischluft oder das Erhöhen des Frischluftanteils ist durchaus eine sinnvolle Maßnahme.

Ist eine zusätzliche Wartung des Klimasystems nötig?

Wie Konvekta berichtet, sollten die Klimasysteme, wie alle Klimasysteme, regelmäßig gewartet werden. Teil dieser Wartung ist die Durchsicht des Systems auf Verschmutzungen und der Filterwechsel oder bei Metallfiltern deren Reinigung. Wer die Wartungsintervalle einhält, muss jetzt keine zusätzliche Wartung durchführen. 

Die aus der Umgebung angesaugte Luft gelangt nur durch hochwirksame Filtertechnik in das Fahrzeuginnere und wird dadurch sogar qualitativ verbessert. Die gemessenen Keimzahlen waren an den Ausblasstellen geringer als die in der einströmenden Luft. Somit tragen die Anlagen tatsächlich zu einer Verbesserung der Luftqualität bei. Zwar sind Viren noch kleiner als Bakterien, da sie aber immer an einem Träger haften, bleiben auch sie in den Filtern der Klimaanlage hängen.

Unwohlsein im ÖPNV

Wie fühlen sich aber die Fahrgäste im ÖPNV? Der Virus ist schließlich noch nicht besiegt und wie wir alle gelernt haben, gilt der ÖPNV aufgrund der Ansteckungs- und Verbreitungsgefahr durchaus als „Risikogebiet“.

Wie das Online Magazine Heise Anfang Mai berichtete, ist vielen ÖPNV Nutzern tatsächlich unwohl bei der Nutzung des ÖPNV. Dies fand eine Umfrage des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) heraus. Viel sicherer fühlen sich die Befragten im eigenen PKW oder auf dem Fahrrad. Diese Ergebnisse bestätigt auch eine neue McKinsey Studie.

Ziel der DLR-Studie war, herauszufinden wie sich die Corona-Krise auf das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung auswirkt. Es wurden 1000 Personen zwischen 18 und 82 Jahren befragt. Dem Heise-Bericht zufolge haben 63 % der Befragten angegeben, dass sich sie bei der Nutzung von ÖPNV und Zügen unwohler fühlen als vor der Corona Krise. 

Es ist davon auszugehen, dass der öffentliche Nahverkehr eine „Durststrecke“ überbrücken muss. „Es ist eindeutig, dass die Corona-Pandemie unser Mobilitätsverhalten grundlegend verändert. Insbesondere die öffentlichen Verkehrsmittel müssen eine Durststrecke überbrücken“, sagte Barbara Lenz, Direktorin des DLR-Instituts für Verkehrsforschung.

Das Tragen von Mund- und Naseschutz im ÖPNV ist mittlerweile Pflicht, hier am Frankfurter Hauptbahnhof I © UTM

Es ist sogar denkbar, dass es einen langfristigen Effekt auf die Fahrgastzahlen im ÖPNV gibt. Laut der Studie der Unternehmensberatung McKinsey werden 51 % derjenigen, die vor der Krise den Bus genutzt haben, dies in Zukunft weniger oder gar nicht mehr tun. 47% wollen weniger oder gar nicht mehr Zug oder U-Bahn fahren. 56 % der Befragten geben an, weniger beruflich oder privat reisen zu wollen, 27 % wollen sogar gar nicht mehr reisen. Die repräsentative Befragung unter mehr als 1000 Konsumenten in Deutschland wurde zwischen dem 30.04. und dem 03.05.2020 durchgeführt. 

Freilich handelt es sich bei den Umfragen nur eine Momentaufnahme der aktuellen Situation und es ist für zuverlässige Prognosen noch zu früh. Viele ÖPNV-Nutzer und Bürger sind derzeit wahrscheinlich einfach verunsichert. Die ÖPNV-Nutzung ist von vielen Rahmenbedingungen abhängig. Wann sich die Fahrgastzahlen wieder auf das Vor-Corona Niveau einpendeln, ist derzeit aber völlig ungewiss. 

Finanzielle Auswirkungen

Der Corona-Virus hat das Wirtschaftsleben auf der gesamten Welt lahm gelegt. Der ÖPNV ist in den meisten Fällen und mit einem Grundangebot als systemrelevante Branche aufrechterhalten worden. Das Problem: Mit dem Einbruch der Fahrgastzahlen fehlten auf einmal auch ein Großteil der Fahrgeldeinnahmen.

Nach Berichten des regionalen Senders RBB24 fehlt zum Beispiel den Berliner Verkehrsbetrieben aufgrund starker Einnahmeausfälle sowie eines teuren Tarifabschlusses Geld. Dem Bericht zufolge sind die Fahrgastzahlen während der Corona-Pandemie um ca. 70 % zurück gegangen. Täglich fehlen somit eine halbe Million Euro an Fahrkarteneinnahmen. Auch aus anderen Städten hört man ähnliche Botschaften. In München ging die Fahrgastnachfrage in der Spitze sogar um bis zu 80 % zurück. Die Einnahmenverluste liegen bisher im zweistelligen Millionenbereich. Im Jahresverlauf erwarten die MVG einen dreistelligen Verlust.

Auch die zusätzliche Reinigung und Desinfektion haben den ÖPNV-Betreibern viel Geld gekostet I © Shutterstock

In ländlichen Regionen sieht die Situation sogar noch drastischer aus: Anfang April meldeten die Verkehrsbetriebe in Brandenburg einen Fahrgastrückgang von bis zu 95 %, so zum Beispiel beim Regiobus Potsdam-Mittelmark und Cottbusverkehr. Zwar konnten über die vergangenen Wochen auch im ländlichen Raum durch Angebotsausdünnung und Kurzarbeit das Schlimmste verhindert werden, jedoch waren die Finanzen vieler Brandenburger Städte und Landkreise bereits vor Corona randgenäht. Wie ernst die Lage ist, machte gegenüber RBB24 der Geschäftsführer von Cottbusverkehr, Ralf Thalmann klar. Durch die vorgezogene Auszahlung von bereits eingeplanten Landes-Geldern können die Verkehrsbetriebe die Liquidität bis Mitte des Jahres gewährleisten. Aus heutiger Sicht reichen die finanziellen Mittel aber nicht aus, um im zweiten Halbjahr den Bus- und Straßenbahnverkehr sicherzustellen.

Laut RBB24 haben Land und Kommunen die Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit erreicht. Wie der ÖPNV insbesondere auf dem Land, wo Gelder ohnehin schon knapp sind, in der Zukunft sichergestellt und, so das eigentliche Ziel, auch ausgebaut werden kann, muss jetzt die Politik klären. 

In der Hauptstadt sollen nach Angaben des Senats schon bald Geld fließen: Für die BVG wurden bis einschließlich dem Jahr 2025 eine Finanzierung von 250 Millionen Euro zugesagt, die von der Berlin-Zulage stammen. Auch in Brandenburg wurde kurzfristig eine Lösung aus Landesmitteln gefunden. Das brandenburgische Verkehrsministerium hat vergangene Woche 115 Millionen Euro an Landesmitteln zusätzlich für die Unterstützung der Verkehrsunternehmen beantragt

Rettungsschirm für ÖPNV in Deutschland?

Angesichts von nur noch maximal 30 % der sonst üblichen Fahrgäste hätten die Verkehrsunternehmen laut VDV eigentlich ihre Angebote massiv zurückfahren und einschränken müssen. Doch das Gegenteil war der Fall. Tatsächlich wurde die Betriebsleistung teils gar nicht und insgesamt sehr zurückhaltend reduziert. So wurde im deutschen Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in Absprache mit den Bundesländern und Aufgabenträgern das SPNV-Angebot im März um rund 9 % und im April um rund 24 % reduziert. In manchen Bundesländern wurden 100 % der Verkehre erbracht.

Auch im städtischen Nahverkehr wurde im engen Schulterschluss mit den Aufgabenträgern agiert. Im Ergebnis betragen die Reduzierungen im März rund 12 % und im April rund 20 %. „Rein betriebswirtschaftlich betrachtet hätten unsere Mitgliedsunternehmen ihr Angebot deutlich reduzieren müssen, um Kosten zu sparen und damit Einnahmenverluste auszugleichen. Aber wir sind in Deutschland ein zentraler Baustein der Daseinsvorsorge und haben einen weitergehenden Auftrag. Die ÖPNV- und SPNV-Unternehmen haben auch auf ausdrücklichen Wunsch der Politik von Beginn der Epidemie an in sehr hohem Maße die Verkehre weiter aufrecht erhalten, damit die Menschen, die Mobilität benötigen, an ihren Arbeitsplatz kommen konnten und das ganze Land weiter in Bewegung blieb. Gleichzeitig haben wir mit dem umfassenden Fahrplanangebot ganz überwiegend auch für ausreichende Abstände zwischen den Fahrgästen Sorge tragen können“, so Wolff. 

Das ÖPNV Angebot blieb während der Corona Krise weitestgehend bestehen – hier eine S-Bahn am Berliner Alexanderplatz I © UTM

Der VDV weist zudem darauf hin, dass die Branche so gut wie keine Kurzarbeit angemeldet hat, obwohl die nötigen Voraussetzungen dafür vorgelegen hätten. Vergleicht man die  Kurzarbeiterquote anderer in der Verkehrsbranche tätigen Unternehmen – beispielsweise dem Luftverkehr – hätten die Bus- und Bahnunternehmen rund 97.000 Beschäftigte in Kurzarbeit schicken können. Im Ergebnis wären dem Staat dadurch monatliche Aufwendungen für Kurzarbeit in Höhe von rund 90 Millionen Euro entstanden, die so erspart bleiben.

Mittlerweile gibt es von den Verkehrsministern der 16 Bundesländer einen gemeinsamen Vorschlag für einen Rettungsschirm von mindestens fünf Milliarden Euro für den Nahverkehr. Die Länder hatten dazu, vertreten durch die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz Anke Rehlinger, ein Schreiben an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer adressiert.

40 Milliarden Euro Verlust europaweit

Eine ähnliche Situation findet sich in allen europäischen Ländern vor. Auf europäischer Ebene arbeitet der Verband für den öffentlichen Verkehr UITP eng mit den EU-Institutionen zusammen, um für die finanziellen Engpässe eine Lösung zu finden. Angesichts der Auswirkungen der Pandemie auf die ÖPNV-Branche hat sich die UITP in den letzten Wochen und Monaten mehrmals mit der Führung europäischen Institutionen getroffen. Unterstützt wird die UITP dabei durch mehr als 80 Geschäftsführer und Bürgermeistern aus fast 20 Ländern.

Normalerweise tummeln sich hier die Menschenmassen: die Mailänder Kathedrale im April 2020 I © Shutterstock

Die ersten verfügbaren Daten aus verschiedenen europäischen Mitgliedstaaten zeigen, dass der ÖPNV weiterhin stark von der Pandemie betroffen sein wird: europaweit rechnet der Sektor bis Ende 2020 mit Einnahmeverlusten in Höhe von 40 Mrd. EUR.

Mit der Unterzeichnung eines offenen Briefes möchte die UITP auf die Rolle des ÖPNV für die Wirtschaft und Gesellschaft aufmerksam machen. Bisher hat UITP viele führende Unternehmen und Mitglieder zusammengebracht, u.a. die STIB, Wiener Linien, RATP, GVB, Volvo, Keolis, Transdev, FGC, Metro Madrid, Irish Rail, SNCF, Alstom, Metro Lisboa, TMB, Hamburger Hochbahn und die Warschauer Metro.

Blick nach Übersee

Auch in anderen Ländern macht die Corona Krise der ÖPNV-Branche zu schaffen. Die Liste der Länder und Städte, in denen der ÖPNV unter fehlenden Finanzmitteln leidet, ist endlos: Aus Singapur und Melbourne genauso wie aus Sao Paulo und New York hört man über finanzielle Schwierigkeiten. Überall fehlt es an Geld, um den ÖPNV kurz- und mittelfristig aufrecht zu erhalten. In den USA haben die Verkehrsbetriebe der 14 größten Ballungsräumen einen zweiten Corona-Rettungsschirm gefordert. Die American Public Transportation Association (APTA) gab vergangene eine Pressekonferenz, um über die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie zu informieren. Benötigt wird für die ÖPNV Branche demnach 23,8 Milliarden US-Dollar für Notfallmaßnahmen und die Finanzierung der Betriebsaufnahme.

APTA hat den US-amerikanischen Kongress und die Verwaltung aufgefordert, die Notfinanzierungen bereitzustellen, um die außergewöhnlichen direkten Kosten und Einnahmeverluste auszugleichen.

New York wirkt in diesen Tagen wie eine Geisterstadt I © Shutterstock


18.05.2020
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