
In Paris und seinem Vorort Orly hat dieser Tage ein neuer Begriff die Runde gemacht: „Tramway Lumière“. Lumière steht im Französischen für Licht, aber auch für die Aufklärung im Sinne von Erleuchtung (Siècle des Lumières = Jahrhundert der Aufklärung). Es handelt sich in diesem Fall aber nicht etwa um die Aufklärung der Straßenbahn, sondern vielmehr durch ein neues Designmerkmal der neuen Alstom Citadis Straßenbahnen, welche am 10. April erstmals auf der neuen Straßenbahnlinie T9 zum Einsatz kamen. Das Besondere an den neuen Trams: Die Fahrzeuge sind bei Dunkelheit von allen Seiten beleuchtet. Das sieht nicht nur schön aus, sondern erhöht die Sichtbarkeit der Tram (gut für Fahrgäste) und dank der integrierten Türaußenbeleuchtung mit Farbkennung lassen sich so auch für Menschen mit Sehschwäche die Türen einfacher finden und erkennen, ob eine Tür sich gerade öffnet oder schließt.

Den Bau und die Fertigstellung der Strecke wurde in folgendem Video dokumentiert:
Seit Samstag, 10. April, fahren die nagelneuen und auffälligen Alstom Citadis Straßenbahn auf der 10,3 km langen Linie T9, bei der es sich, nicht etwa wie die Bezeichnung naheliegt, um die neunte, sogar je nach Zählweise um die zehnte bzw. elfte Tramlinie in der Île-de-France, dem Pariser Großraum, handelt. Die Ringstraßenbahn ist auf die Linien 3a und 3b aufgeteilt und seit Juli 2017 verkehrt auf der sogenannten Nordtangente die Tram-Train Linie T11 Express. Weitere Linien sind in Bau bzw. in Planung, darunter:
- Tram T10: Antony – Clamart, Eröffnung 2023, Einsatz von 14 Alstom Citadis 405 Variante (wie Linie T9)
- Tram Express T12: Massy – Evry-Courcouronnes, 20 km Länge, 23 Alstom Citadis Dualis Tram Trains
- Tram Express T13: Saint-Cyr – Saint-Germain, Eröffnung Ende 2021, 18,8 km Länge, 11 Alstom Citadis Dualis Tram Trains
Weiterhin gibt es zahlreiche Pläne für die Verlängerung der bestehenden Straßenbahnlinien T1, T3b und T7.

Nun zurück zur T9: Die neue Linie T9 verbindet Paris und dem Zentrum von Orly (Val de Marne). Die Fahrzeit beträgt 30 Minuten und die Taktfrequenz beträgt 4 – 5 Minuten. Die Strecke bindet außerdem auch die Gemeinden Ivry-sur-Seine, Vitry, Thiais und Choisy-Le-Roi an. Es werden 70.000 bis 80.000 Fahrgäste pro Tag auf der neuen Linie erwartet – einer der Gründe, weshalb von Tag 1 an bereits siebenteilige 45-Meter Bahnen zum Einsatz kommen.
Trotz Corona-Krise und Lockdown hat sich der Aufgabenträger Île-de-France Mobilités entschieden, den Betrieb dennoch zu eröffnen, um den Anwohnern und Pendlern das neue ÖPNV-Angebot nicht vorzuenthalten

Die Strecke
Die 10,3 km Strecke beginnt vor den Toren von Paris an der Porte de Choisy am Boulevard Masséna im 13. Arrondissement. Hier kann auf die Metrolinien 3 und 7, die RER Linie C sowie auf die Ringstraßenbahn 3a umgestiegen werden. In einigen Jahren wird auch die Linie 15 des Grand Paris Express hier halten. Die Linie T9 führt nahezu geradlinig auf eigenem Bahnkörper in südliche Richtung nach Orly. Der Flughafen Orly wird jedoch bis auf weiteres nicht bedient. Die Straßenbahn T9 ist vielmehr für die Feinerschließung gedacht: Sie soll überlastete Buslinien entlasten, insbesondere wird die Buslinie 183 durch die neue Tram ersetzt, und zum Umsteigen auf den ÖPNV bewegen.

Der eigene Bahnkörper wurde größtenteils mit Rasengleis versehen. Die Haltestellen wurden mit einem neu gestalteten Mobiliar ausgestattet: Dach, Sitzbänke und eine Art „Infotower“ wurden in minimalistischen schwarz-weißen Stahlstruktur mit Glaselementen entworfen.
Die Fahrtdauer von Porte de Choisy ins Stadtzentrum von Orly (Val-de-Marne) beträgt 30 Minuten.

Wie in Frankreich üblich, wurden nicht nur neue Gleise und Oberleitungsanlagen verlegt, sondern darüber hinaus auch das urbane Umfeld neu gestaltet. Straßen, Bürgersteige, Beleuchtungen, Begrünung wurde erneuert und zeigen sich mit der neuen Straßenbahntrasse in einem neuen Glanz. Neben der Tramtrasse wurden auch neue Fahrradwege und Fahrradparkplätze angelegt, die zu dem Bike+Ride (Véligo) Angebot von Paris gehören.
Die Fahrzeuge
Im November 2016 entschied sich Île-de-France Mobilités für Alstom, um 22 Citadis X05 (405)-Straßenbahnen für die neue Linie T9 zu liefern. Die Auslieferung der Straßenbahnen durch Alstom begann im November 2019 und wurde im Oktober 2020 abgeschlossen.

Die 2,65 Meter breite und 45 Meter lange Straßenbahn Citadis X05 für die Linie T9 kann bis zu 314 Passagiere befördern. Besonderes Augenmerk wurde auf das Design dieser neuen Straßenbahn gelegt, die in Zusammenarbeit zwischen den Design & Styling-Teams von Alstom und der Agentur Design Saguez & Partners entwickelt wurde. Die Fahrzeuge verfügen über 8 Doppeltüren pro Seite sowie einen vergrößerten, gut beleuchteten Innenraum, der die Bewegung erleichtert und den Fahrgastwechsel um 20% erhöht. Die Flächen bestehen aus über 45% aus Glasflächen. Es wurde 100% LED-Beleuchtung, 8 extra breite Multimedia-Bildschirme für die dynamische Fahrgastinformation, USB-Buchsen und bequeme Sitze eingebaut. Das Design der neuen Straßenbahn basiert auf einer charakteristischen Beleuchtung des gesamten Fahrzeugs, sowohl innen als auch außen, insbesondere zur besseren Visualisierung des Öffnens und Schließens der Türen. Diese Innovationen bieten laut Alstom ein hohes Maß an Komfort und ein verbessertes Reiseerlebnis.

Acht der 13 Standorte von Alstom in Frankreich sind an der Herstellung dieser Straßenbahnen beteiligt: La Rochelle für die Konstruktion und Montage, Ornans für die Motoren, Le Creusot für die Drehgestelle, Tarbes für die Module und Ausrüstung, Valenciennes für die Innenausstattung, Villeurbanne für die Bordcomputersysteme, Aix-en-Provence für die tachometrischen Steuergeräte und Saint-Ouen für das Design.
Das Depot
Der neue Betriebshof wurde in Orly erstellt. Neben der Werkstatt und der Abstellanlage wurde hier auch die Betriebsleitzentrale für die Linie T9 eingerichtet. Das Werkstatt- und Instandhaltungsgebäude besticht durch eine auffällige Architektur, die vom Architekten Jacques Ferrier und D’ICI LÀ sowie dem Ingenieurbüro von Arcadis entworfen wurden. Ziel ist, Gebäude und von Landschaft miteinander zu vereinen und somit eine besondere Identität zu geben. Das spitze Dach des Werkstattgebäudes mit eckigen Fenstern soll an Industriegebäude aus dem 19. Jahrhundert erinnern. Diese Form dient auch der Energieeffizienz, da durch diese Bauform besonders viel Licht in das Gebäude strömt. Abgerundet wurde der Betriebshof mit Unterholz, Gärten und bepflanzten Wegen.

Die Finanzierung
Die Gesamtkosten in Höhe von 404 Mio. Euro (ohne Steuern) für die Infrastruktur wurden gemeinsam von der Region Île-de-France (52,5 %), der Präfektur Île-de-France (22,5%), der Region Val de Marne (21 %), der Stadt Paris (3 %) sowie dem Stadtverbund Grand-Orly Sein Bièvre (1 %) finanziert. Auf den Kilometer umgerechnet betragen die Baukosten nicht weniger als 39 Mio. Euro pro Kilometer, beziehen aber die Erneuerung sämtlicher Straßen und Bauwerke mit ein. Die Straßenbahnen wurden für 74,75 Mio. Euro zu 100 % vom Aufgabenträger Île-de-France Mobilités finanziert. Der Betrieb, für den erstmals ein privater Betreiber (Keolis) und nicht die Pariser Verkehrsbetriebe RATP beauftragt wurde, schlägt mit 9,8 Mio. Euro zu buche und wird ebenfalls durch Île-de-France Mobilités finanziert.
14.04.2021