Auf der größten Busfachmesse der Welt, der „Busworld“ im Oktober 2019 in Brüssel, „erfand“ Solaris ein neues Veranstaltungsformat, um die Kontakte zu seinen Kunden, zur Fachpresse und zum Busgewerbe ganz generell zu pflegen: die „Solaris Talks“. Sinn eines solchen Solaris Talks ist nicht nur die Kontaktpflege, ins Gespräch zu kommen oder im Gespräch zu bleiben, sondern natürlich auch, über Solaris zu informieren, Tendenzen in der Entwicklung bei Solaris vorzustellen („wohin geht die Reise?“), aber auch, mal ein neues Produkt und die Überlegungen, die zu diesem Produkt geführt haben, vorzustellen.
Während der erste „Solaris Talk“ 2019 auf der Messe in Brüssel stattfand, „stellte“ Corona 2021 da „ein Bein“. So fand der „Solaris Talk 2021“ im Internet statt, die Gesprächspartner des Busbauers, unter ihnen Javier Colleja, der oberste Chef, saßen „zuhause“ im Werk im polnischen Bolechowo.
Ein kurzer historischer Rückblick
Beginnen wir den Bericht vom „Talk“ mit einem kurzen historischen Rückblick. Solaris wurde nach der „Wende“ als „Neoplan Polska“ gegründet. Das kam nicht von ungefähr, denn der Gründer des Unternehmens, Krzysztof Olszewski, war vor seiner Rückkehr nach Polen Werkleiter in Neoplan-Werk in Berlin (Werk 3) und brachte sein Wissen im Busbau von Neoplan mit. In Bolechowo konnte er preiswert ein ehemaliges Militärgelände erwerben …
Neoplan Polska begann zunächst damit, in Lizenz Linienbusse der Marke Neoplan für den polnischen Markt nachzubauen. Dabei wurde man von der Neoplan-Zentrale in Stuttgart tatkräftig unterstützt. Erste Busse, die in Bolechowo gebaut worden waren, gingen an den städtischen Verkehrsbetrieb MPK von Bolechowos Nachbarstadt Poznan (Posen).
1996 baute man seinen ersten selbst konstruierten Linienbus. Er war 12 Meter lang und erhielt den Typennamen „Urbino“ (urbs (lateinisch) = Stadt), er war also ein “Urbino 12“. Und das „Kind“ bekam auch einen neuen Markennamen: „Solaris“. Kein ungeschickter Schachzug, denn da assoziiert jeder die Sonne, also etwas Sympatisches.
Jener erste Solaris überhaupt ging im März 1996 wieder an die MPK in Poznan, und er lebt bis heute. Zu „20 Jahre Solaris“ im Sommer 2016 restaurierte Solaris den Wagen ebenso liebevoll wie mustergültig, und der Verfasser hatte die Freude, ihn selber fahren zu können …
Krzysztof Olszewski war ein Visionär. Schon im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends erkannte er: „Die Zukunft des Verkehrs ist elektrisch!“ Zu gleicher Zeit erklärten andere Hersteller: „Elektrisch? Das brauchen wir nicht. Wir haben so gute Dieselmotoren …“ (Was ja gar nicht so falsch war. Ein damaliger Dieselmotor der Schadstoffnorm Euro 5 stieß bereits mehr als 90 Prozent weniger Schadstoffe aus als ein Euro 0-Motor aus der Zeit um 1990.
2021 also ist die Marke Solaris 25 Jahre alt geworden. 2019 übergab Familie Olszweski das Unternehmen an die spanische CAF-Gruppe (Construciones y Auxiliar Ferrocarriles), seither zu 100 Prozent Hausherr in Bolechowo. Mit Javier Calleja ist ein Manager von CAF heute der Chef.
Solaris heute
Das Produktionsprogamm von Solaris umfasst heute nach wie vor reine Dieselbusse, die heute der Schadstoffnorm Euro 6 entsprechen. Aber ihr Anteil am Gesamt-Output des Werks sinkt. Mehr und mehr entstehen in Bolechowo Elektrobusse, Trolleybusse und Hydrogen-(Wasserstoff-)Busse. Colleja in seinem Eingangs-Statement: „Electro-Mobility: there is no other way!“
Solaris-Busse gebe es heute fast überall in Europa. So stünden gerade 30 „Urbino 12 electric“ zur Auslieferung nach Venedig an. Sie werden in der berühmten Lagunenstadt über Pantograph nachgeladen werden.
Sechs Urbino12 electric gehen aktuell in die Schweiz: je drei für die VbL in Luzern und für die „Zugerland Verkehrs Betriebe“ (ZVB) in Zug.
Einen großen Auftrag hat man aus Rumänien bekommen: 123 Urbino 12 electric gehen in sehr verschiedene Städte. Sie werden teilweise über Pantograph, teilweise aber auch über plug-in nachgeladen. Zudem habe man unterdessen mehr als 100 Trolleybusse nach Rumänien geliefert.
Solaris-Batteriebusse
Seit 2015 entwickelt sich die Batterietechnik rasant weiter. In unseren Zwanziger Jahren werde es neue Batteriegenerationen geben, die (im 12 Meter-Bus) eine Reichweite von bis zu 400 Kilometern bieten werden. Damit kann dann jeder Kurs jeden Verkehrsbetriebs in jeder Stadt 24 Stunden am Tag gefahren werden. Solaris bietet dafür zwei Batterie-Familien:
– Solaris High-Energy-Batterien, mit einer hohen Kapazität
– Solaris High-Power-Batterien, für eine schnelle Nachladung
Zurzeit werden 66 % aller Solaris Elektrobusse mit High-Power-Batterien geordert und 34 % mit High-Energy-Batterien, die Kunden legen also noch immer vor allem Wert auf eine schnelle Nachladung (zum Beispiel an der Endhaltestelle einer Linie).
Für den gut 24 Meter langen Doppelgelenkbus „Urbino 24“ electric kündigt Solaris eine Batteriekapazität von 740 kWh an.
Im Jahr 2020 konnte Solaris den Absatz seiner Elektrobusse um die „Kleinigkeit“ von 276 % steigern! Und 44% aller von Solaris ausgelieferten Busse hatten bereits einen alternativen Antrieb.
Eine wichtige Frage sei die zukünftige Entwikcklung der Batterien. Welcher Batterietyp eigne sich für welchen Zweck? Welche Lösungen gebe es für das Nachladen der Batterien? Statement von den Solaris Talks: „Wir entwickeln weiter.“
Für das Plug-in-charging (in aller Regel über Nacht auf dem Betriebshof) spreche die Flexibilität beim Einsatz der Elektrobusse. „Weil keine Nachladestationen an der Endhaltestelle gebraucht werden, kann jeder Wagen völlig frei auf jedem Kurs jeder Linie laufen.“
Beim „High-power-charging“ erfolge die Nachladung mit einem höheren Ladestrom.
Bei der Nachladung über Pantograph könne man Batterien mit einer geringeren Kapazität verwenden. Und es gebe zwei verschiedene Techniken:
– „Panto up“: der Pantograph steigt vom Dach des Busses zur Ladestation auf
– „Panto down“: der Pantograph ist an der Ladestation montiert und senkt sich auf den Bus ab
Immerhin biete die Nachladung auf der Linie den Vorteil einer fast unbegrenzten Reichweite des Busses.
In-Motion-Charging
Als Unterfall der Nachladung auf der Linie wurde das „In-Motion-Charging“ erwähnt: der Bus fährt teilweise unter der Fahrleitung einer Trolleybuslinie und drahtet hier an die Fahrleitung an, wobei er unter der Leitung nicht nur mit dem Strom aus der Leitung fährt, sondern zugleich auch seine Batterien auflädt. Das so etwas tatsächlich funktioniert, kann sich jeder bei den „BOB“ (Batterie-Oberleitungs-Bussen) von Solaris auf der Solinger Linie 695 ansehen. Aber man sagte auch, der Nachteil dieser Lösung sei, dass sie eine Trolleybus-Fahrleitung erfordere. Und weil so eine Trolleybus-Fahrleitung teuer sei, kämen BOB eigentlich nur für Städte in Frage, die ein Trolleybus-System hätten. Mit BOB in Städten ohne Trolleybus sei eigentlich nicht zu rechnen.
Zu den aktuellen Auslieferungen: 77 % aller Elektro-Solaris seien Wagen für Nachladung über Pantograph, während noch nur 23 % „Plug-in-charger“ seien.
Auf dem Werksgelände in Bolechowo hat Solaris einen „Charging Park“ errichtet, der mit Sonnenkollektoren auf seinem Dach betrieben wird. Hier können bis zu acht Busse gleichzeitig geladen werden. Dabei hat man Wert auf die „Interoperabilität“ der Anlage gelegt: es können die Busse sowohl über Pantograph als auch via Plug-in nachgeladen werden. Die Technik eines Elektrobusses ist einfacher, die Mitarbeiter – vor allem die auf dem Betriebshof – müssen aber besser ausgebildet sein. Zitat: „Easy to buy, but harder to operate“.
Solaris bezeichnete sich selber auf der Veranstaltung als „Pionier auf dem Gebiet alternativer Antriebe“. Stolz verwies man auf seine „Emergency hotline“, die an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden lang erreichbar sei. Zitat: „Wir wachsen mit dem Markt.“
Man wies auf sein Flottenmanagement „eSConnecht“ hin, das ständig darüber informiere, wie „wohl sich der Bus fühlt“. Hat er ein Problem, kann die Werkstatt schon vor der Fehlermeldung durch den Fahrer erkennen, was los ist. Mehr noch, man kann schon im Voraus erkennen, wo demnächst ein Problem auftreten könnte.
Verfügbarkeit der Solaris Elektrobusse
Die Verfügbarkeit der Solaris Elektrobusse liege überall bei mehr als 90 %. Es wurden drei Beispielsstädte genannt:
– Warszawa (Warschau) mit 91 %
– Bilbao (Spanien) mit 96 %
– Berlin mit 96,5 %
Drei Beispielsstädte mit Solaris Elektrobussen
Drei Betriebe wurden als Beispiele präsentiert:
– die FVAG in Freiburg: hier hat man 2018 zwei Urbino 12 electric bestellt, die 2020 in Betrieb gegangen sind und seither auf einer Linie zwischen den Endhaltestellen von zwei Straßenbahnlinien unterwegs sind. Sie haben unterdessen 140.000 Kilometer zur Zufriedenheit des Betriebs zurückgelegt. An beiden Endhaltestellen werden die Wagen über Pantograph nachgeladen, wobei die Ladestationen aus dem Netz der Straßenbahn mit Strom versorgt werden. Der zugeschaltete Chef von Freiburgs FVAG berichtete, am Konzept der Nachladung aus dem Straßenbahnnetz an einer Endhaltestelle wolle man wegen des einfachen Anschlusses an die Stromversorgung festhalten. Bestellt seien zurzeit zehn Elektro-Gelenkbusse. Mit Spannung erwarte man, welche Lebensdauer die Batterien erreichen werden und wie die Batterietechnik sich weiterentwickele. Und das abschließende Statemant des FVAG-Chefs: „Die Busse sind zuverlässig, Fahrer und Fahrgäste lieben unsere Elektrobusse.“ (Ende des Zitats)
– der Verkehrsbetrieb PKM der süd-polnischen Stadt Jaworzno: Den ersten Elektrobus stellten die PKM im Jahr 2016 in Dienst. Inzwischen sind 43 Elektrobusse in der Stadt unterwegs, das sind mehr als 80 Prozent des gesamten Wagenparks. Kürzlich hat man bei Solaris weitere sechs Urbino electric bestellt. – Die Umstellung auf Elektrobusse sei heute viel einfacher als es das im Jahr 2016 bei der Anschaffung des ersten Elektrobuses gewesen sei.
– ATM Milano (Mailand): Hier laufen unterdessen mehr als 100 Elektrobusse, nachdem der Betrieb schon in der Vergangenheit Erfahrungen mit einem umfangreichen Trolleybussystem gemacht hat. Schon im Jahr 2030 will man komplett emissionsfrei unterwegs sein.
Wasserstoffbusse
Der Nachmittag des Termins widmete sich dem Thema „Wasserstoffbusse“ (Hydrogenbusse). Der Charme des Wasserstoffes bestehe darin, dass er ein niedriges Gewicht habe und dem Bus eine große Reichweite verleihe. Besonders attraktiv seien Hydrogenbusse, wenn der Wasserstoff in der örtlichen Industrie anfalle und so sehr kostengünstig genutzt werden könne. Ein sehr gutes Beispiel dafür sind die Wasserstoffbusse, die die Regionalverkehr Köln in den Städten Hürth und Brühl (im Kreis Bergheim) einsetzt. Sie tanken im „Chempark Hürth“, und dort entsteht der Wasserstoff als Abfallprodukt im ganz normalen Produktionsprozess. Bevor es die Hydrogenbusse der RVK gab, wurde dieser Wasserstoff, ein Energieträger (!), einfach durch Abfackeln vernichtet. Welch eine Verschwendung!
Wasserstoffbusse sind Elektrobusse, die ihren Fahrstrom durch Elektrolyse an Bord des Busses selber herstellen. Solaris hat schon vor zehn Jahren begonnen, sich mit der Wasserstofftechnik zu beschäftigen. Zurzeit bietet man den „Urbino 12 hydrogen“ an, von dem man schon 84 Wagen verkauft hat. Die größten Kunden seien die Regionalverkehr Köln mit 15 und die Wuppertaler WSW mit zehn Wagen, die bei beiden Betrieben zurzeit in der Auslieferung stehen. Deutschland sei zurzeit ohnehin ein „gutes“ Land für Wasserstoffbusse, denn als „Marktführer“ in Europa verfüge man schon über 99 Wasserstoff-Tankstellen.
Weitere namhafte Kunden für Solaris-Wasserstoffbusse:
– Connexxion aus den Niederlanden
– die österreichische „ÖBB-Postbus“
– die Hamburger Hochbahn.
Die Wasserstoff-Technik eigne sich zudem nicht nur als Kraftstoff für Busse (anstelle von Diesel), sondern auch als „Range-Extender“ für Batteriebusse.
Mit einem Kilogramm Wasserstoff erzeuge man 33,3 kW Strom, mit einem Liter Diesel nur 12,2 kW. Auch benötige die Antriebseinheit eines Hydrogenbusses nur einen wesentlich kleineren Einbauraum als ein Dieselmotor.
Und: man erwarte eine Lebensdauer einer Brennstoffzelle von mehr als 33.000 Betriebsstunden.
Fazit der „Solaris Talks“
Zum Ende seiner „Solaris Talks“ zog der Hersteller folgendes Fazit:
– Wer immer nur dieselben alten Sachen mache, werde auch immer nur dieselben alten Ergebnisse erzielen
– Dementsprechend: „die größte Gefahr ist, mit dem Denken und den Werkzeugen der Vergangenheit zu arbeiten.“
– „Same old things, same old results.“
– Technologische Schocks – will sagen: unerwartete technische Neuentwicklungen – werden zunehmen, ebenso wie ökologische Erdbeben. Aber: „Jeder Schock, jedes Erdbeben, ist eine Chance, sich nach neuen Lösungen für die Zukunft der Mobilität umzusehen.
– „Everything ist connected, everything is accelerating.“
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