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Straßenbahn in den Westkreis Offenbach: Machbarkeitsstudie bringt überzeugende Ergebnisse

So könnte die geplante Straßenbahnstrecke in Neu-Isenburg aussehen I © Stadt Frankfurt am Main/ traffiQ

Die Verlängerung der Frankfurter Straßenbahn nach Neu-Isenburg, Dreieich und Langen hat großes Potenzial – wirtschaftlich, technisch und städtebaulich. Das ist das Ergebnis der vertiefenden Machbarkeitsstudie, die im November 2024 vorgestellt wurde. Das beauftragte Beratungsunternehmen Ramboll empfiehlt sehr eindeutig, die weiteren Planungen für die Straßenbahn voranzutreiben.

Das Ergebnis ist auch deshalb erfreulich, da die damals letzte Straßenbahnstrecke auf Offenbachener Stadtgebiet im Jahr 1996 stillgelegt wurde. Seitdem endet die Straßenbahnlinie 16 der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) an der Stadtgrenze zwischen Frankfurt und Offenbach – siehe unten.

Herausragender Kosten-Nutzen-Wert von 2,20

Die Bürgermeister der drei Städte, Martin Burlon (Dreieich), Dirk Gene Hagelstein (Neu-Isenburg), Prof. Dr. Jan Werner (Langen) und der Frankfurter Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert begrüßen die Ergebnisse der Untersuchung.

Für die wirtschaftliche Betrachtung, so erklärt Hartwig Meier, Chefplaner der Frankfurter Nahverkehrsgesellschaft traffiQ, ist der Kosten-Nutzen-Faktor entscheidend: Liegt der errechnete Wert über 1,0, ist der Bau der Strecke volkswirtschaftlich sinnvoll. Das ist zugleich Voraussetzung für die finanzielle Förderung durch Bund und Land, die sich auf über 90 Prozent der Kosten belaufen kann. Für die Verlängerung der Straßenbahn bis nach Langen Bahnhof ermittelten die Gutachter einen herausragenden Wert von 2,20. Wenn die Straßenbahn nur bis zum Weibelfeld in Dreieich geführt würde, läge der Kosten-Nutzen-Wert immer noch bei 1,74.

Streckenführung der geplanten Straßenbahnstecke von Neu-Isenburg nach Langen I © Stadt Frankfurt am Main/ traffiQ

Auch technisch machbar ist die Straßenbahnverlängerung nach Einschätzung der Gutachter. Zudem bietet sie großes Potenzial, die Innenstädte von Neu-Isenburg, Dreieich und Langen stadtgestalterisch aufzuwerten. Die Aufenthaltsqualität lässt sich deutlich erhöhen, der Verkehrsraum kann ansprechend gestaltet und zeitgemäßer aufgeteilt werden – durch eine höhere Aufenthaltsqualität etwa durch Außengastronomie, mehr Raum für Rad- und Fußverkehr oder Logistikdienste, Barrierefreiheit und Begrünung, durch Reduzierung des Durchgangsverkehrs. Nicht zuletzt bietet sich die Chance, die Städte klimaresilienter umzubauen.

Nachhaltige Bewältigung des Verkehrs

Für die vier Partner spielt die nachhaltige Bewältigung des Verkehrs im Ballungsraum Rhein-Main bei ihren Überlegungen eine wichtige Rolle: „Eine Straßenbahnverbindung von Frankfurt über Neu-Isenburg bis nach Dreieich und Langen könnte ein zukunftsweisendes Angebot für die vielen Pendlerinnen und Pendler sein, die heute täglich im Westkreis Offenbach unterwegs sind oder von dort nach Frankfurt fahren. Den beteiligten Städten bietet sie zudem starke stadtgestalterische Möglichkeiten und Frankfurt wird vom Pendlerverkehr entlastet“, erklären die Bürgermeister und der Mobilitätsdezernent gemeinsam. Sie werden sich in ihren Kommunen für eine zügige Fortsetzung der Planungen einsetzen. Denn das gesamte Verfahren ist sehr umfangreich, als nächster Schritt ist in die Vorplanung einzusteigen. Neben der Verkehrsanlagenplanung werden auch Betriebs-, Förder- und Finanzierungskonzepte benötigt, bevor später mit der Genehmigungsplanung und Bauphase begonnen werden kann. Ab etwa 2034 könnte die erste Straßenbahn über die Frankfurter Haltestelle „Neu-Isenburg Straßenbahn“ in Richtung Langen ihre Fahrt aufnehmen. 

Visualisierung der Ortsdurchfahrt in Langen I © Stadt Frankfurt am Main/ traffiQ

Die Kosten für die Studie in Höhe von 470.000 Euro wurden zu gleichen Teilen von den Städten Dreieich, Langen und Neu-Isenburg sowie der Frankfurter Nahverkehrsgesellschaft traffiQ getragen.

Zum Projekt Straßenbahnverlängerung Neu-Isenburg – Dreieich – Langen

Die Städte Dreieich, Frankfurt am Main und Neu-Isenburg hatten im Frühjahr 2020 vereinbart, gemeinsam zu untersuchen, welches Potenzial eine Straßenbahn von Frankfurt über Neu-Isenburg nach Dreieich hat. Ein Jahr später schloss sich auch die Stadt Langen dem Projekt an. Die Studie ist ein Meilenstein der interkommunalen Entwicklung im Rhein-Main-Gebiet. 

Heute endet die Frankfurter Straßenbahnlinie 17 wenige hundert Meter vor der südlichen Nachbarstadt. An der heutigen Endhaltestelle „Neu-Isenburg Stadtgrenze“ beginnend, könnte die Straßenbahn um etwa 9,4 Kilometer durch Neu-Isenburg über Dreieich-Sprendlingen hinaus bis zum Bahnhof Langen führen. Sie folgt dabei auf weiter Strecke der ehemaligen Bundesstraße, die bis Dreieich-Sprendlingen Frankfurter Straße, dann Darmstädter Straße und ab Langen wieder Frankfurter Straße heißt. Nach der Unterführung unter der Bundesstraße B486 würde sie in die Nördliche Ringstraße abbiegen und ihr bis zum Langener Bahnhof folgen.

In Dreieich stellen sich die Planer einen eigenen Bahnkörper für die Tram sowie eine eigene Fahrradstraße vor I © Stadt Frankfurt am Main/ traffiQ

Von der untersuchten Straßenbahnverbindung profitieren gut 130.000 Einwohner und etwa 90.000 Arbeitsplätze in den drei Kommunen. Die tägliche Fahrgast-Nachfrage auf der bestehenden Strecke, die bislang an der Frankfurter Stadtgrenze zu Neu-Isenburg endet, würde durch die Verlängerung auf das Dreifache gegenüber heute ansteigen. Bis Neu-Isenburg Neuhöfer Straße müsste das geplante Angebot der verlängerten Straßenbahnlinie 17 zumindest im Berufsverkehr sogar verstärkt werden, um diese Nachfrage zu befriedigen. Die Gutachter rechnen mit etwa 5.400 Neukunden täglich. Weit über 11,3 Millionen Pkw-Kilometer könnten pro Jahr eingespart werden. Weitere gut 3.000 Fahrgäste werden von der an den westlichen Ortsteilen verkehrenden S-Bahn zur Straßenbahn wechseln, was zu einer Entlastung der stark nachgefragten S-Bahn-Verbindung Richtung Darmstadt beiträgt.

Ein Blick zurück: die Straßenbahn Offenbach

Offenbach am Main erhielt 1884 als eine der ersten Städte in Deutschland eine Straßenbahn. Die anfangs meterspurige Tram wurde mit der Übernahme durch die Frankfurt-Offenbacher Trambahn-Gesellschaft (FOTG) auf Normalspur umgestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bereits einzelne Strecken eingestellt, die Gemenschaftssrecke mit der Straßenbahn Frankfurt am Main blieb aber bestehen, während die Straßenbahnstrecken in Offenbach schrittweise stillgelegt wurden. 1949 hatte die Straßenbahn Offenbach eine Länge von 9,7 km.

Die damalige Endstelle Offenbach Marktplatz im November 1992 | © Dirk Budach

Im Jahr 1951 wurde beschlossen, den Straßenbahnbetrieb in Offenbach durch Oberleitungsbusse zu ersetzen. Als Folge dessen wurden im Juni 1951 die Straßenbahnstrecken zwischen Frankfurter/Kaiserstraße und Goethestraße sowie zwischen Mathildenplatz und Bürgel stillgelegt. Die verbleibenden Abschnitte wurden nun von einer verkürzten Linie 27 befahren, während die Gemeinschaftslinie 16 unverändert blieb. Am 3. November 1963 wurde auch die Linie 27 stillgelegt und durch Omnibusse ersetzt, wodurch es keine ausschließlich von der Stadt Offenbach betriebene Straßenbahnlinie mehr gab.

Einen historischen Einblick in die Stadt- und Verkehrsgeschichte gibt das folgende Video:

Offenbach verringerte im Laufe der Zeit seinen Beitrag zur Straßenbahn weiter, indem Fahrzeuge ausgemustert oder verkauft wurden. Im Mai 1967 wurden die letzten drei Großraumwagen an die Straßenbahn Bremerhaven verkauft und dort noch bis 1982 eingesetzt. Ab 1967 wurde die Linie 16 nur noch von Frankfurter Fahrzeugen bedient.

1969 wurde der Abschnitt zwischen Marktplatz und Friedhof stillgelegt. Aus diesem Grund wurden 1969 mit Unterstützung des Landes Hessen acht Zweirichtungsfahrzeuge vom Typ „O“ angeschafft. Später kamen auch Fahrzeuge der Typen „P“ und „R“ zum Einsatz, da die Frankfurter Straßenbahn nur noch Zweirichtungswagen beschaffte.

1972 wurden die Offenbacher Oberleitungsbusse schließlich durch Dieselbusse ersetzt.

Stilllegung der Linie 16 in Offenbach

Im Jahr 1995 wurde die unterirdische S-Bahn-Strecke in Offenbach eröffnet, die mit drei eng beieinanderliegenden Stationen die Innenstadt nach dem Vorbild einer U-Bahn erschließt. Diese Entwicklung stellte die Zukunft der Straßenbahn in der Frankfurter Straße infrage. Bereits seit 1989 hatten Einzelhändler aus der östlichen Frankfurter Straße und die Industrie- und Handelskammer (IHK) Offenbach am Main gefordert, die Straßenbahn aus der Fußgängerzone zu entfernen, da sie diese als Hindernis für den Umsatz und den Verkehr ansahen. 

Sogar moderne Niederflurwagen kamen auf der Offenbacher Stadtstrecke zum Einsatz, hier nahe der Hst. Ledermuseum am 1.1.1996 | © Dirk Budach

Nach einem Jahr parallel betriebenem Straßenbahn- und S-Bahn-Verkehr wurde der Offenbacher Abschnitt der Linie 16 am 1. Juni 1996 stillgelegt. Seitdem endet die Linie am August-Bebel-Ring, zunächst an einem bestehenden Gleisdreieck, später an einer neu errichteten Stumpfendstelle in der Mitte der Frankfurter Straße. Diese Endhaltestelle befindet sich knapp auf Offenbacher Gebiet, wodurch dort bis heute einige Meter Straßenbahngleise in Betrieb sind.

Die Gleise in der Fußgängerzone wurden zeitnah entfernt, während die übrigen Gleise in der Frankfurter Straße aufgrund einer behördlichen Auflage des Regierungspräsidiums erst zehn Jahre später, im Jahr 2006, demontiert wurden.

Diskussion über Wiedereinführung

Nach der Stilllegung der Straßenbahn gab es immer wieder Stimmen, die sich für eine Wiedereinführung in Offenbach aussprachen. Besonders Offenbacher Einzelhändler, die nach der Schließung 1996 teils Umsatzeinbußen verzeichneten, gehörten zu den Befürwortern. In den Folgejahren wurde das Thema wiederholt diskutiert, blieb jedoch ergebnislos – zuletzt 2017 im Rahmen des Wahlkampfs um das Amt des Oberbürgermeisters von Offenbach.  

Offenbach Kaiserstr. im November 1992 mit Zweirichtungstriebwagen der Reihe „O“ | © Dirk Budach

Im Jahr 2019 sprachen sich die Industrie- und Handelskammer, Frankfurts Verkehrsdezernent Klaus Oesterling sowie Teile der Offenbacher Politik positiv für eine Rückkehr der Straßenbahn aus. Offen blieb allerdings die Frage der Finanzierung. 

Am 8. März 2021 beschlossen die Städte Offenbach und Frankfurt, eine gemeinsame Machbarkeitsstudie durchzuführen. Diese soll prüfen, wie die Offenbacher Innenstadt, der Hauptbahnhof und Bürgel besser angebunden werden können. Dabei stehen sowohl eine Verlängerung der bestehenden Linie 16 als auch eine neue Verbindung nach Fechenheim zur Diskussion. Entsprechende Studien laufen bereits. 

18.12.2024