Das ein in Österreich ansässiger Verlag sich mit der Geschichte eines heute in der Ukraine liegenden Straßenbahnbetriebes beschäftigt macht durchaus Sinn, gehörte die Stadt Lemberg als Hauptstadt Ostgaliziens fast 150 Jahre zur K&K-Monarchie. 1914 war Lemberg nach Wien, Budapest und Prag immerhin die viertgrößte Stadt der Monarchie! 1880 eröffnete eine normalspurige Pferdebahn den Betrieb, sie wurde 1894 durch eine meterspurige elektrische Straßenbahn abgelöst. Mit dem Zerfall der Donaumonarchie nach Ende des Ersten Weltkrieges hatte Lemberg etliche neue Namen und lag in wechselnden Staaten, der Westukrainischen Volksrepublik von 1919 folgte nach zwei Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen die erste polnische Republik, von 1939 bis 1944 die Besetzung durch Hitler-Deutschland, zeitweise bis 1941 abgelöst durch eine sowjetische Verwaltung, die dann ab 1944 bis 1991 andauerte und durch eine unabhängige Ukraine abgelöst wurde.
Zum besseren Verständnis der Entwicklung der Straßenbahn und der Situation der Stadt ist der Veröffentlichung ein 24seitiger Textteil vorangestellt, welcher zunächst in fünf Netzplänen die Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte sehr gut aufzeigt und eine Lokalisierung der Fotografien zulässt. Ausführlich wird die Stadtentwicklung und die der Straßenbahn in den verschiedenen politischen Zeitabschnitten beschrieben. Ein dreisprachiges Verzeichnis der Straßen- und Platznamen in Polnisch, Deutsch und Ukrainisch trägt ebenfalls zur besseren Orientierung bei. Der Bildteil besteht aus fast 130 ganzseitigen Abbildungen, ab Ende der 1970er Jahre in Farbe. Die Zeit bis zum 2. Weltkrieg wird mit schwarz-weiß Bildern, aber auch colorierten Ansichtskarten dokumentiert. Zwischen 1945 und 1977 konnte allerdings kein Bildmaterial ausfindig gemacht werden. Die Zeit der Gothawagen ist recht gut vertreten, nachdem es ab Anfang der 1990er Jahre möglich war, problemlos in die neu gegründete Ukraine zu reisen, stammt ein großer Teil des Bildmaterials aus der Zeit danach und zeigt die sehr schöne Stadt mit Straßenbahnen tschechischer Herkunft (z.T. auch gebraucht aus Deutschland) und niederflurigen Eigenentwicklungen. Die Qualität der Bilder ist gut, sowohl im Druck, als auch vom Motiv her. Ausführliche Bildunterschriften liefern Angaben zu Örtlichkeiten und Fahrzeugen. Das Literaturverzeichnis zeigt, dass es zum Betrieb sowohl in Deutsch, Polnisch und Ukrainisch Literatur gibt und auch Internetquellen werden genannt. Wer über den Inhalt dieses gut gestalteten Buches hinaus noch Informationsbedarf hat, der kann sich also bedienen, diese Veröffentlichung bietet aber auch schon eine inhaltsreiche Darstellung aus einer „anderen Welt“ und kann Interessenten daran sehr empfohlen werden.
Autoren: Bernhard Duschek und Rudolf Koller
Verlag: Bahnmedien.at (Wien)
144 Seiten im Format 24,0 x 24,0 cm, gebunden
Preis: 45,00 €
ISBN: 978 3903177642
05.01.2025