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Von Ostfriesland bis nach Hannover – Erinnerungen an die Straßen- und Privatbahnen

Der Eisenbahn-Buchmarkt ist derzeit immer wieder für Überraschungen gut. Die Buchreihe über deutsche Straßen- und Privatbahnen mit Ludger Kenning als Autor mit dem ersten Band „Von Ostfriesland bis in die Lüneburger Heide“ noch unter dem Label der Verlagsgruppe Bahn (VGB) gestartet, obwohl die komplette Erstellung und Produktion bei Kenning lag. Nunmehr ist der zweite Band erschienen, jetzt wieder ein reines Kenning-Produkt in der gewohnten blauen Verlagsfarbe des Einbandes. Wenn man sieht, zu welchen Lieferverzögerungen es seit der Übernahme von VGB durch GeraMond bei den von der Verlagsgruppe angekündigten Veröffentlichungen kommt, war dies sicher eine gute Entscheidung. Beim Vergleich der Titelseiten beider Bücher zeigen sich aber außer der farblichen Gestaltung noch weitere Veränderungen: So fehlt eine Bandnummer und der Name Reinhard Todts ist dem Wort „Erinnerungen“ gewichen, was die Verwendung von zahlreichen Aufnahmen anderer Fotografen nun besser berücksichtigt. Auch die Anregung, zur besseren Orientierung doch Übersichtskarten der behandelten Region einzufügen hat Berücksichtigung gefunden. Auf den Innenseiten des Einbandes findet sich vorne die zum aktuellen Band passende Karte und am Ende des Buches die zum ersten Band passende Übersicht. Die als Basis verwendete Karte der maßstäblichen und sehr detaillierten DB-Direktionskarten erfüllt ihren Zweck hervorragend, zumal auch die Privatbahnen rot markiert sind, und lädt zusätzlich auch noch zum Detailstudium des in den 1950er Jahren noch sehr dichten Streckennetzes ein.

Inhaltlich wird die im ersten Band begonnene Reise zu und auf den Straßen-, Klein- und Privatbahnen Norddeutschlands fortgesetzt. Das beginnt dem Buchtitel entsprechend in Friesland und Ostfriesland mit den Bahnen auf dem „Festland“ und einem größeren Abschnitt über die nordfriesischen Inselbahnen (einschließlich der Tidebahn der DB nach Harlesiel) und setzt sich dann gegen den Uhrzeiger von Westen nach Südosten fort um in Hannover bei der dortigen Straßenbahn mit ihrem einst umfangreichen Überlandnetz zu enden. Dabei sind die einzelnen Bahnen oft sehr gegensätzlich und damit abwechslungsreich.

Die Kapitel sind dabei in zwei Hälften aufgeteilt: Teil 1 führt von Butjadingen bis in die Grafschaft Bentheim, Teil 2 dann vom Emsland bis in die Landeshauptstadt Hannover. Neben den privaten Eisenbahnen in verschiedenen Spurweiten werden auch der Obus in Wilhelmshaven, sowie die Straßenbahnen in Emden, Osnabrück und Hannover besucht.  Auch „Exoten“ wie die Werksbahn der Heseper Torfwerke, bei der die Güterwagenkästen und auch die z.T. für den Wagenverschub eingesetzten Pferde (!) mit einer Seilbahn über die Ems transportiert wurden, haben Eingang in das Buch gefunden.

Die zahlreichen mit Blick fürs Motiv ausgewählten Aufnahmen in Schwarz-weiß und zum Teil auch in Farbe stammen von Reinhard Todt und zahlreichen anderen Fotografen und decken eine Spanne von den frühen 1950er bis Mitte der 1970er Jahre ab. Manche Bahnen haben die Fotografen magisch angezogen, andere wurden nur selten besucht und dennoch ist es gelungen, auch hier entsprechende Aufnahmen von Fotografen aus dem In- und Ausland aufzuspüren. Auf vielen Aufnahmen gibt es neben der Bahn zahlreiche andere Dinge zu entdecken, welche an die „gute alte Zeit“ erinnern.

Ergänzt werden sie mit sehr detaillierten und informativen Beschreibungen. Auch der zu jeder Bahn vorhandene Einführungstext gibt zahlreiche Informationen über den Betrieb. Wer sich schon einmal mit den notwendigen Nachforschungen für die Erstellung von Bildbeschreibungen befasst hat, der vermag abzuschätzen, wieviel Zeit der Autor in die Erstellung auch dieses Buchs gesteckt hat. Dass auch viel Herzblut mit darin steckt, dass „kommt ebenfalls rüber“.  

Das Buch führt zurück in eine auf den ersten Blick scheinbar heile Welt des Bahnwesens, die aber bei näherem Hinsehen so rosig gar nicht war. Besonders bei den kleinen Bahnen war es bei zurückgehenden Fahrgastzahlen und sinkenden Frachttonnagen häufig ein Kampf ums Überleben, der fast immer in die Stilllegung führte. Auch dies wird in den Texten des Buches thematisiert und der Betrachter kann nachvollziehen, dass vieles, was so nett und romantisch aussieht, alles andere als wirtschaftlich gewesen sein kann.

Nur sehr wenige der in diesem Band beschriebenen über 30 Gesellschaften haben bis in die heutige Zeit überlebt und dies z.T. auch nur als Museumsbahn. So wird in dem Buch auch den Anfängen des Museumsbetriebes auf der Kleinbahn Bruchhausen-Vilsen – Asendorf Raum eingeräumt, die in vielen Dingen hier Pionierarbeit leistete aber auch Vorbildfunktion hatte. Etwas über die Qualität von Kenning-Büchern zu schreiben gleicht dem „Transport von Eulen in die griechische Hauptstadt“. Es ist einfach alles vorhanden, was einen guten Bahn-Bild- und Leseband ausmacht, und dies auf einem sehr hohen technischem Niveau! Für Freunde guter Bildbände über Klein- und Privatbahnen auf jeden Fall wieder ein „Pflichtband“.

Autor: Ludger Kenning

240 Seiten im Format 22,0 x 29,5 cm, gebunden

Herausgeber: Verlag Kenning, Nordhorn 2020

Preis: 49,95 €

ISBN: 978-3944390208

26.03.2021
4.8 4 Stimmen
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