Die politischen Gremien der beiden SPNV-Aufgabenträger Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) haben in ihren Sitzungen die Vergabeentscheidung für den Bau und die langfristige Instandhaltung von mehr als 60 batterie-elektrischen Fahrzeugen an die Firma CAF (Construcciones y Auxiliar de
Ferrocarriles, S.A.) beschlossen. Nach einer 10-tägigen Einspruchsfrist soll das spanische Unternehmen den Zuschlag für die Lieferung der Fahrzeuge und einen gut 30 Jahre laufenden Instandhaltungs- und Verfügbarkeitsvertrag erhalten. CAF gab im europaweiten Ausschreibungsverfahren das wirtschaftlichste Angebot in Bezug auf die Lieferung, die Instandhaltung und den Energieverbrauch über den Lebenszyklus ab.
Die Lieferung der Fahrzeuge von Typ „Civity BEMU“ erfolgt in zwei Größen mit einem Sitzplatzangebot von je 120 beziehungsweise 160 Sitzplätzen, was deutliche Kapazitätssteigerungen auf vielen Linien des Niederrhein-Münsterland-Netzes ermöglicht. Es handelt sich bei den Fahrzeugen um batterie-elektrische Fahrzeuge. Dies sind klassische elektrische Fahrzeuge, die zusätzlich mit Batterien ausgestattet sind, um die nicht elektrifizierten Streckenabschnitte zu überbrücken und unter der Oberleitung die Batterien wieder aufzuladen zu können. Für CAF handelt es sich dabei um den ersten Auftrag für Vollbahnfahrzeuge in Deutschland. CAF hat bereits Regionalstadtbahnen für die Schönbuchbahn sowie Niederflurstraßenbahnen für Freiburg/ Breisgau geliefert. Erst vergangene Woche bestellte die Ruhrbahn 51 Hochflurstadtbahnen bei CAF.
Bei der Beschaffung der Züge wurde seitens VRR und NWL erneut viel Wert auf qualitative Aspekte für einen erhöhten Reisekomfort gelegt. So sind die Fahrzeuge mit großzügigen Einstiegsbereichen ausgestattet, um einen zügigen Fahrgastwechsel zu gewährleisten. Die komfortablen Sitze, in Reihe und in Vis-à-vis-Sitzgruppen angeordnet, weisen gegenüber den heute auf den Linien eingesetzten Fahrzeugen einen deutlich höheren Sitzabstand auf. Selbstverständlich sind die Fahrzeuge mit großzügigen und räumlich getrennten Mehrzweckbereichen für Rollstuhlfahrer und Fahrräder, Kinderwagen etc. ausgestattet, die sich von 76 cm hohen Bahnsteigen ebenerdig erreichen lassen. Zum Arbeiten unterwegs stehen Klapptische, Steckdosen und kostenloses WLAN zur Verfügung.
Fahrzeughersteller zahlreiche Optimierungsvorschläge eingereicht und so zur erfolgreichen Durchführung des Verfahrens beigetragen. VRR-Vorstandssprecher Ronald R.F. Lünser freut sich über das Ergebnis: „Es ist uns mit dem NRW-RRX-Modell erneut gelungen, die Fahrzeughersteller zu motivieren, instandhaltungsfreundliche und energieeffiziente Fahrzeuge zu konstruieren bzw. weiterzuentwickeln.“ Das so genannte NRW-RRX-Modell ist
ein von allen Aufgabenträgern NRWs entwickeltes Fahrzeugfinanzierungsmodell. In einem europaweiten Verhandlungsverfahren wird dabei ein Vertragspartner gesucht, der die Fahrzeuge nicht nur liefert, sondern auch über 30 Jahre instand hält. Die künftigen Betreiber der Linien werden in gesonderten Vergabeverfahren gesucht und stehen zum heutigen Zeitpunkt noch nicht fest. Den Eisenbahnverkehrsunternehmen werden zur Erbringung der
Verkehrsleistungen die Fahrzeuge beigestellt. Dieses Modell wurde erstmalig für die Fahrzeuge des Rhein Ruhr Express (RRX) angewendet. Mit dem Einsatz der elektrischen Fahrzeuge sinkt der Anteil an Dieselkilometern im
Schienenpersonennahverkehr im VRR-Gebiet auf unter 10 Prozent. „Würden wir auf den Linien des Netzes erneut Dieselfahrzeuge einsetzen, dann würden diese rund 24.000 Tonnen CO2 pro Jahr emittieren. Die neuen elektrischen Fahrzeuge sind nicht nur geräuschärmer, sie emittieren auch keinen Feinstaub und keine Stickstoffoxide“, so Lünser
weiter. „Mit dieser zukunftsweisenden Fahrzeugtechnik leisten wir einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz und bieten einen umweltschonenden Anreiz zum Umstieg vom privaten Pkw auf die Schiene“, betont Joachim Künzel, Geschäftsführer des NWL. „Damit kommen wir unserem Ziel näher, in den kommenden Jahren sukzessive auf den Betrieb mit Dieselfahrzeugen im NWL-Raum zu verzichten.“
Hintergründe zum Projekt Niederrhein-Münsterland-Netz:
Das Niederrhein-Münsterland-Netz umfasst sieben Linien mit über sechs Millionen
Zugkilometern Verkehrsleistung pro Jahr:
• RE 10 Kleve – Geldern – Krefeld – Düsseldorf
• RE 14 Essen – Bottrop – Dorsten – Borken / Coesfeld
• RE 44 Kamp-Lintfort – Moers – Duisburg – Oberhausen – Bottrop
• RB 31 Xanten – Moers – Duisburg
• RB 36 Oberhausen – Duisburg-Ruhrort
• RB 41 Geldern – Krefeld – Neuss
• RB 43 Dortmund – Herne – Dorsten
Die Betriebsaufnahme auf den Linien RE 44, RB 31 und RB 36 erfolgt im Dezember 2025,
die übrigen Linien folgen sukzessive bis Dezember 2028.
Mit der Zuschlagerteilung zur Fahrzeugbeschaffung ist ein wichtiger Meilenstein im Gesamtprojekt „Niederrhein-Münsterland-Netz“ erreicht. Im Rahmen einer gesamtheitlichen Neuausrichtung auf den Strecken des Netzes verfolgen VRR und NWL gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen und den Projektpartnern mehrere Ziele: Neben der Umstellung der Antriebstechnologie auf lokal emissionsfreie Fahrzeuge steht die Erneuerung der Infrastruktur (u.a. Stellwerkstechnik, Verlängerung und Erhöhung der Bahnsteige, Erneuerung der Abstellanlagen) im Fokus. Mit dem Einsatz der neuen Fahrzeuge werden Kapazitätsausweitungen durch längere Züge mit mehr Sitzplätzen sowie durch eine zusätzliche Linie zwischen Geldern, Krefeld und Neuss möglich, die der auf einigen Strecken überdurchschnittlich stark gestiegenen Fahrgastnachfrage gerecht werden. Außerdem werden die Fahrzeuge über die zu reaktivierende Strecke der Niederrheinbahn nach Kamp-Lintfort verkehren und den Hochschulstandort an das SPNV-Netz anbinden.
25.06.2021