Am Dienstag, den 29. Oktober fuhr in den frühen Morgenstunden die erste Straßenbahn mit Fahrgästen in die neue Endhaltestelle in Miasteczko Wilanów ein. Es handelt sich dabei um die längste Neubaustrecke des Warschauer Straßenbahnnetzes seit den 1950er Jahren. Die Strecke, die Wilanów im Südosten Warschaus mit dem Stadtzentrum, Żoliborz sowie Bielany und Ochota verbindet, wurde mit Hilfe der Finanzierung durch die Europäische Union gebaut.
Der neu eröffnete Abschnitt, der auf einer Strecke von 6,5 km entlang der Ulica Belwederska, Sobieski und Aleja Rzeczypospolitej, von der Kreuzung mit der Ulica Spacerowa bis zum Miasteczko Wilanów verläuft, ist durchgängig zweigleisig und auf eigenem Bahnkörper angelegt. Es wurden 12 neue Haltestellen eingerichtet. Die Reisezeit zwischen Wilanów und dem Stadtzentrum im Vergleich zum Bus halbiert. Die Tramwaje Warszawskie (TW) gaben bekannt, dass die Zielfahrzeiten auf der Neubaustrecke noch nicht erreicht werden können, da noch nicht alle Ampelanlagen mit der vorgesehenen Vorrangschaltung für die Straßenbahnen ausgestattet sind.
Erste längere Neubaustrecke seit 1950er Jahren
Der Fokus des ÖPNV Ausbaus lag in vergangenen 10 – 15 Jahren auf den Ausbau der U-Bahn. Die 1995 eröffnete U-Bahnlinie M1 wurde mehrmals verlängert und hat heute eine Länge von 22,6 km. Die U-Bahnlinie M2 wurde 2015 eröffnet und seitdem vier Mal verlängert.
In den letzten 10 Jahren gab es bei der Straßenbahn lediglich fünf kleinere Verlängerungen von jeweils 1 bis 2 Kilometer Streckenlänge, so dass es sich bei der neuen Strecke um die längste Neubaustrecke seit mehreren Jahrzehnten handelt. Und es sollen in den kommenden Jahren weitere Strecken folgen (siehe unten).
Die neue Strecke wurde in mehreren Stufen eröffnet: Bereits am 14. Mai 2024 ging der erste 2,1 km lange Abschnitt von Goworka zum Abzweig nach Sielce in Betrieb, der von der Linie 11 bedient wird.
Am 29. Oktober folgte die 6,5 km lange Hauptstrecke von Spacerowa nach Miasteczko Wilanów, die von den Linien 14 und 16 angefahren wird. Am selben Tag wurde auch der Betriebshof R-5 Annopol in Betrieb genommen. Es handelt sich dabei um den fünften Betriebshof im Warschauer Straßenbahnnetz.
Mitte nächsten Jahres wird ein Abzweig nach Stegny eröffnet (siehe Karte).
Anlässlich der Einweihung gab es eine kleine Eröffnungsfeier mit Vertretern aus Politik und von den Verkehrsbetrieben. Bürgermeister Rafał Trzaskowski dankte dabei allen, die zum Bau der Strecke beigetragen haben. Er erwähnte auch die finanzielle Unterstützung aus dem Haushalt der Europäischen Union.
Die Gesamtkosten der Strecke belaufen sich auf 1,201 Mrd. Złoty (etwa 280 Mio. Euro) inklusive Fahrzeuge. Die EU beteiligt sich mit 554,6 Mio. Złoty (etwa 128,41 Mio. Euro).
Betrieb und Fahrzeuge
Wilanów wird jetzt durch zwei Straßenbahnlinien angebunden: Die Linie 14, die zum Polytechnikum und nach Ochota führt, und die Linie 16, die die Fahrgäste nach Marszałkowska und weiter zum Radosław-Kreisel und zur Piaski-Schleife bringt (die Hälfte der Kurse fährt nur bis nach Muranowska). Die Straßenbahnen der Linie 14 verkehren in der Hauptverkehrszeit alle 8 Minuten, die der Linie 16 alle 4 Minuten. Somit sind 22-23 Abfahrten pro Stunde vorgesehen.
Da sowohl die Endstelle in Sielce als auch in Wilanów als Stumpfendstellen ausgeführt sind, kommen auf der neuen Strecke ausschließlich die Hyundai Rotem Warsolino Niederflurstraßenbahnen der Type 140N zum Einsatz, von denen die TW (Tramwaje Warszawskie) 85 verfügen.
Derzeit (Stand Ende 2023) verfügen die TW insgesamt über 772 Straßenbahnen, von denen knapp 56 % niederflurig oder zumindest teilweise niederflurig sind. Mit der Inbetriebnahme der Neubaustrecke kommen werktags bis zu 465 Straßenbahnzüge zum Einsatz. Die Differenz zur Gesamtanzahl 772 ergibt daraus, dass sich noch 342 Hochflurtriebwagen der Typen 105N und entsprechende Nachbauten aus den 1990er Jahren im Einsatz befinden, die jeweils als Doppeltraktionen eingesetzt werden.
Was kommt als Nächstes?
Und es geht weiter. Bereits am 5. März 2024 wurde die neue Straßenbahnstrecke entlang der Ulica Kasprzaka auf dem Abschnitt zwischen der Ulica Skierniewicka und Wolska in Betrieb genommen.
Diese Strecke dient als Zulaufstrecke für die Anbindung des vollständig neu gebauten Westbahnhofs (Dworzec Zachodnie). Hierfür werden zwei Strecken als Spange angelegt, wobei der Westbahnhof mittels einer Tunnelstrecke unterfahren wird.
Zusammen mit der Strecke nach Wilanów ist das Straßenbahnnetz in Warschau dieses Jahr um 10 km gewachsen. Insgesamt hat das Straßenbahnnetz der polnischen Hauptstadt jetzt eine Länge von 133 km.
Ein geschichtlicher Rückblick
Vor 50 Jahren fuhren bereits einmal Straßenbahnen und eine Kleinbahn nach Wilanów. Die „Kolej Wilanowska“ war von 1891 bis 1971 in Betrieb und hatte zunächst eine Spurweite von 800 mm und wurde 1935 – 36 auf 1000 mm umgespurt. Sie verband den südwestlichen Teil Warschaus und endete in Piaseczno. Zum Zeitpunkt ihrer größten Ausdehnung hatte das Streckennetz eine Länge von 24 Kilometern. Eine Strecke führte auch nach Wilanów.
Auch eine Straßenbahnstrecke verlief ab 1921 parallel zur Kleinbahn nach Wilanów und wurde mehrfach verlängert. Nach den Kriegsschäden wurde die Strecke nach 1945 zunächst nicht wieder aufgebaut. Erst 1957 erfolgte ein kompletter Neubau. Die neue Strecke wurde 1973 nach nur 16 Jahren im weltweit umgreifenden „Einstellungseifer“ von Straßenbahnlinien, der auch vor Polen nicht halte machte, eingestellt.
07.11.2024