Es geht also doch! Über längere Zeit schien mit der zunehmenden Verbreitung von Elektrobussen das Ende des Einsatzes von Omnibusanhängern festzustehen, galt die Entwicklung der entsprechender Anpassungen der vorhandenen e-Bus-Modelle aufgrund der geringen Stückzahlen doch als wenig lukrativ. Auch die Unterbringung der notwendigen Batterien für die erforderliche hohe Leistung eines Zugwagens als zu komplex. Doch nun überraschte Solaris die Fachwelt: Ein erster Urbino 12 electric fährt mit Perosnenanhänger im Schweizer Kanton Zug. Hier betreiben die „Zugerland Verkehrsbetriebe AG (ZVB)“ einen ganz wesentlichen Teil des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs. Das Unternehmen gehört zu 68 % dem Kanton Zug, zu 29 % den Gemeinden des Kantons, und 3 % der Aktien stehen in Privateigentum.
Busverkehr in Zug
ÖPNV im Kanton gibt es schon seit August 1904, also – abgesehen von den Postkursen – seit 120 Jahren. Damals eröffnete die „Aktiengesellschaft für Automobilverkehr im Kanton Zug“ eine Buslinie von Zug nach Menzingen. Schon im Oktober wurde auch die Gemeinde Oberägeri angeschlossen. Und am 01. November 1905 übernahm die Gesellschaft auch die Postkurse auf diesen Relationen.
Bedient wurden die Strecken mit fünf Bussen der Schweizer Marke Orion, die neun Sitzplätze boten. Sie hatten – damals noch völlig normal – Vollgummi-Reifen, die „Straßen“ waren noch Schotterwege, kurz: die Reise mit diesen Bussen war noch eher unkomfortabel.
So kam es, dass am 9. September 1913 die „Elektrischen Strassenbahnen im Kanton Zug (ESZ)“ drei Linien eröffneten:
- Zug – Oberägeri
- Zug – Baar – Talacher
- Nidfurren – Menzingen
Damit wurden die Orion-Busse abgelöst, die Straßenbahn bot damals noch deutlich mehr Komfort. Und die „Elektrischen Strassenbahnen“ (Schweizer Schreibweise mit doppeltem „s“) sind rechtlich der Vorläufer der heutigen Zugerland Verkehrsbetriebe.
Seit dem 01. November 1951 firmiert das Unternehmen nun offiziell unter dem Namen „Zugerland Verkehrsbetriebe“. Inzwischen hatte der Bus so sehr an Bedeutung im Verkehrsangebot des Unternehmens gewonnen, dass das auch in seinem Namen deutlich werden sollte. Zumal der Straßenbahnbetrieb am 21. Mai 1955 eingestellt wurde und die ZVB seither ein reiner Busbetrieb sind.
Seit der Stilllegung der Straßenbahn wurden bei den ZVB auf den Linien nach Oberägeri und Menzingen auch Busse mit Personenanhängern eingesetzt. Anhänger-Buszüge waren damals in Europa durchaus nicht ungewöhnlich. Und auch wenn der Busanhänger so nach und nach ausstarb – als Beispiel sei das Verbot des Busanhängers in der Bundesrepublik Deutschland ab dem 1. Juli 1960 genannt, das bis heute gilt, Ausnahmegenehmigungen können heute allerdings wieder erteilt werden – in der Schweiz hat es nie Einschränkungen für Busanhänger gegeben. So blieben (und bleiben) auch die ZVB dem Busanhänger treu. Verschwiegen sei allerdings nicht, dass auch in der Schweiz der Busanhänger heute weitgehend ausgestorben ist. So ein Gespann ist eben schwerfällig, schwerfälliger als ein Gelenkbus.
Die Zugerland Verkehrsbetriebe allerdings setzten sogar auf „Maxi-Anhängerzüge“. Ein zweiachsiger Bus zog als ersten einen zweiachsigen Personenanhänger, und hinter dem lief auch noch ein zweiachsiger Gepäckanhänger (Postfourgon). Der ganze Zug durfte mit Ausnahmegenehmigung 2,50 Meter breit sein – damals galt in der Schweiz eigentlich eine maximale Breite von 2.30 Metern – und in der Länge gar 29 Meter (!) messen. Und das auf den kurvenreichen Straßen des schweizerischen Berglands!
Eine Besonderheit schweizerischer Busanhänger sei übrigens noch erwähnt: Während Hänger eigentlich überall deutlich kürzer sind als ihre Zugwagen, bieten sie in der Schweiz gerne schon mal eine Länge von 11 Metern. Sie sind also fast so lang wie die Busse, die sie ziehen. Die Lenkung auf allen vier Rädern macht’s möglich.
Zur Technik der Buszüge
Die Zuger ZVB blieben also dem Anhänger treu. Anfangs stammten die Hänger von den Schweizer Herstellern Moser sowie Ramseier & Jenzer: Moser lieferte das Fahrwerk, auf das Ramseier & Jenzer den Aufbau setzte. Eine Bauweise, wie wir sie vom traditionellen Busbau kennen: ein Nutzfahrzeug-Hersteller liefert das Chassis, ein Karosseur den Wagenkasten. Anhänger hingegen kamen eigentlich immer „von der ersten Schraube bis zum kompletten Fahrzeug“ von einem einzigen Hersteller: Kässbohrer zum Beispiel lieferte seine kompletten Anhänger-Typen PA 3, PA 4 und PA 5, Bonn hatte Anhänger des Typs OA 5, die zu 100 % Produkte von Bauer in Köln waren, Ost-Berlin hatte Hänger des Typs „W 700“, die komplett von Lowa gebaut worden waren.
Die Busse, die als Zugwagen dienten, zeichneten sich durch Unterflurmotoren aus. Das erleichtert den Einbau der Zugvorrichtung für den Anhänger, denn da ist im Heck kein Motor im Weg. Die Hersteller ihrer Chassis waren zunächst Saurer und Berna.
Ende der neunziger Jahre kamen dann Buszüge, deren Aufbauten sowohl für den Vorderwagen als auch für den Anhänger vom Schweizer Busbauer Hess stammten. Die Zugwagen basierten auf Fahrgestellen von NAW (Typ „BU 5-25“), die Chassis für die Anhänger lieferte die Schweizer Firma Lanz & Marti Typ „APE 5.6-13“).
Diese Anhänger in Zug zeichneten sich immer dadurch aus, dass sie auf allen vier Rädern gelenkt waren. Das führt dazu, dass der Hänger in der Kurve genau in der Spur der Hinterachse des Zugwagens läuft – so wird vermieden, dass der Buszug mehr Platz in der Kurve braucht, weil der Hänger mehr zum Kurvenmittelpunkt hin einläuft.
Der Solaris Urbino 12 electric als Zugwagen für Anhänger
Bis 2035 wollen die Zugerland Verkehrsbetriebe ihren Omnibuspark komplett auf Elektroantrieb umstellen. Wenn man die Anhängerzüge nicht durch Gelenkbusse ersetzen will, bedeutet das also, dass man einen Elektrobus als Vorderwagen braucht, der auch Anhänger ziehen kann.
Solaris zeigte sich flexibel genug, den ZVB einen solchen Wagen zu bauen. Nach einer längeren Testphase, in der der Bus zeigte, dass er tut, was er soll, ging er jetzt als Wagen 178 mit Anhänger in Betrieb auf den Linien 1 (Zug – Oberägeri) und 2 (Zug – Menzingen).
Der Wagen ist 12.000 mm lang, 2.550 mm breit und 3.300 mm hoch. Als Vorderachse hat er die „RL 82 EC“ von ZF, als Antriebsachse ist die konventionelle Antriebsachse „AV 133“, ebenfalls von ZF. Zwei an den Hinterrädern montierte Elektromotoren leisten je 125 kW, der Bus kommt also auf eine Antriebsleistung von 250 kW. Das entspricht 340 PS und reicht auch auf bergiger Straße und mit Anhänger aus – auch Gelenkbusse sind mit vergleichbaren Motorstärken unterwegs. Zudem ist ein Elektromotor im Straßenfahrzeug generell bergfreudiger als ein Dieselmotor.
Die Batterien vom Typ „Solaris High Energy“ haben eine Kapazität von 440 kWh. Nachgeladen wird über Kabel und CCS-Combo-Stecker oder über Schunk SLS 102 Pantographen mit bis zu 400 kW Ladeleistung.
Das zulässige Gesamtgewicht beträgt 20.000 kg. Inklusive Anhänger gibt das ein Gesamtzuggewicht von 34.400 Kg. Das Fahrzeug wurde aufgelastet zu Gunsten der Fahrgastkapazität. Das Leergewicht beträgt ca. 15.000 kg, das ist ca. 2,5 Tonnen mehr als beim vergleichbaren Dieselbusmodell, ist aber natürlich abhängig von der gewählten Batteriegröße.
Auch andere Betreiber von Omnibusanhänger-Gespannen, von denen es europaweit etwa 220 gibt, dürften sich freuen: Die Umstellung auf Elektroantrieb ist möglich!
29.08.2024