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Wird verstärktes Home Working die urbane Mobilität dauerhaft verändern?

Home Office statt ÖPNV Nutzung ? | © Dirk Budach

Die Straßen der Großstädte sind wie leergefegt – erst langsam sieht man an vielen Orten den Wiedereinzug einer reduzierten „Normalität“. Welch ein Kontrast zu den üblichen Staus in der Hauptverkehrszeit vor COVID-19.

Dies sind die unmittelbaren Auswirkungen der aktuellen Krise auf den ÖPNV. Gleichzeitig trifft die Situation auf das größte globale Pilotprojekt für „Remote-Working“ – das Arbeiten von zu Hause. Die Zahl der Menschen, die so arbeiteten, hatte im Laufe der vergangenen Jahre recht langsam zugenommen – bis COVID-19 und die Quarantäne uns trafen. Plötzlich arbeitet ein großer Teil der Bevölkerung fern vom Arbeitsplatz, meist von zu Hause. Es gibt viele Online-Tools, die das von-zu-Hause-Arbeiten erleichtern. Die größten Zuwächse verzeichneten die Anbieter von  Audio- und Videokonferenzen. So stiegen die täglichen Skype-Nutzerzahlen im März auf 40 Millionen. Das sind 70 % mehr als im Februar. Die täglichen Nutzer der ZOOM-Anwendung stiegen sogar von 10 Millionen im Dezember auf 200 Millionen im März, und der Aktienkurs hat sich seit Februar mehr als verdoppelt. Und wir alle werden überschwemmt mit guten Ratschlägen für Fernarbeitstechniken, Anbieter für Videoanrufe und vielen, vielen Witzen.

Einsamer Bus auf leerer Straße in Madrid – die meisten Menschen arbeiten von zu Hause | © Dirk Budach

Es ist sehr wahrscheinlich, dass all dies auch nach der unmittelbaren Krise nachhaltige Auswirkungen haben wird. Mehr Menschen werden weiterhin von zu Hause aus arbeiten. Für den Stadtverkehr, seine Anbieter und seine Nutzer, bedeutet dies, dass weniger Menschen zur Arbeit pendeln und damit insbesondere der ÖPNV in der Hauptverkehrszeit weniger genutzt wird. Es mag eine größere Nachfrage nach anderen innovativen Transportdienstleistungen in die Vororte und in den Abendstunden geben, aber dazu später mehr.

Es gibt Vor- und Nachteile von Fernarbeit. Einer der größten Vorteile ist die Vermeidung des Pendelns zum Arbeitsplatz. Im Durchschnitt dauert die tägliche Fahrt zur Arbeit in der EU etwa 80 Minuten für beide Richtungen. Das ist eine Menge Zeit, die jeden Tag so verbraucht wird. Kann man von zu Hause aus zu arbeiten, lässt sich der Zeitverlust durch das Pendeln vermeiden. Wir glauben, dass viele Mitarbeiter daran interessiert sein werden, auch nach der COVID-19-Krise weiter von zu Hause aus zu arbeiten.

Kein Mensch auf dem Berliner Alexanderplatz im März 2020|© Bernhard Kußmagk

Wir glauben auch, dass viele Unternehmen sich offener für das „Home Office“ ihrer Mitarbeiter zeigen werden. Viele Firmen konnten jetzt beobachten, dass die Technologie und die Prozesse dazu vorhanden sind, dies alles einfach und effizient zu ermöglichen. Darüber hinaus hängen gute Arbeitsergebnisse immer mehr vom Engagement der Mitarbeiter ab und lassen sich durch Ergebnisvorgaben und -messungen leichter und besser nachverfolgen als durch reine Arbeitszeitkontrollen. Deshalb stellt sich die reine Anwesenheitskontrolle von Mitarbeitern als weniger relevant dar. Und nicht zuletzt werden viele Unternehmen durch die Krise zunehmend unter dem Druck stehen, ihre Kosten zu senken. Mehr Home Office Tätigkeiten bieten eine Möglichkeit, die Ausgaben für das Vorhalten von Bürogebäuden und Nutzflächen zu reduzieren.  All dies dürfte die Neigung der Arbeitgeber erhöhen, ihren Arbeitnehmern dauerhaft mehr Arbeit von Hause aus zuzugestehen. Eine Umfrage von Monster unter 455 US-Unternehmen bestätigte, dass die Mehrheit (57%) der Arbeitgeber erwägen, ihre Arbeitskonditionen auch auf längere Sicht zu ändern, wenn sich die neuen Umstände während der Coronavirus-Pandemie als produktiv erweisen.

Unsere Hypothese ist deshalb, dass es nach der COVID-19-Krise einen spürbaren Anstieg der Mitarbeiter geben wird, die außerhalb ihres bisherigen, traditionellen Büroarbeitsplatzes arbeiten werden. Dies wird den Pendlerverkehr verringern und somit Auswirkungen auf den städtischen Verkehr insgesamt haben. Die Nachfrage der Fahrgäste im öffentlichen Verkehr könnte weniger stark ansteigen als in den letzten Jahren prognostiziert, in vielen Fällen sogar im Vergleich zum Vorkrisenniveau zurückgehen und/oder auf einem relativ niedrigeren Niveau bleiben. In diesem Fall werden die möglichen Folgen der Reduzierung der Fahrgastzahlen mit Sicherheit eine Neugestaltung des ÖPNV-Angebots durch die (meist öffentlichen) Betreiber und Aufgabenträger erfordern. Verkehrsnetze könnten an einigen Orten angepasst und die Taktfrequenzen verringert werden. Eine weitere Folge wäre eine Verlangsamung des Ausbaus der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, insbesondere des ÖPNV, und letztlich auch von Investitionen in das Rollmaterial, also in neue Fahrzeugbeschaffungen – mit negativen Auswirkungen auf die betroffenen Industriezweige. Der weltweite Trend der Veränderung des Modal Splits zugunsten des öffentlichen Verkehrs auf Kosten des Individualverkehrs könnte diesen Entwicklungen jedoch in gewissem Umfang entgegenwirken. Und andere, flexiblere On-Demand-Konzepte für den öffentlichen Verkehr könnten ebenfalls Marktanteile gewinnen. Die Zukunft wird es zeigen….

Weniger pendeln und mehr Homeoffice – dahingehend könnte sich die Welt nach Corona verändern |© UTM

Wir glauben auch, dass es mittelfristige Auswirkungen auf die Stadtplanung geben wird und auf die Wahl des Wohnortes. Heute ist der Standort unserer Arbeitgeber ein wichtiges Auswahlkriterium bei dieser Entscheidung. Wenn man das Arbeiten von zu Hause deutlich ausweitet, wird es weniger relevant, wie weit man vom Arbeitsplatz oder Büro entfernt wohnt.  

Die Autoren haben den größten Teil ihres Geschäftslebens aus der Ferne, d.h. nicht an einem festen Büroarbeitsplatz gearbeitet. Unsere Kunden, Teams und Kollegen sind seit jeher auf der ganzen Welt ansässig und wir haben uns schon früh an die Arbeit in und mit virtuellen Teams gewöhnt. Und selbst als wir nah am Wohnort ein Büro in der Geschäftsstelle unseres Arbeitgebers hatten, waren wir die meiste Zeit unterwegs und arbeiteten so aus der Ferne von Hotels, Flughafen-Lounges und anderen Orten. Oft fanden wir uns selbst an einem anderen Standort oder in einem anderen Land unserer Wahl wieder. Für den Arbeitsgeber zählte das Arbeitsergebnis. Und die meiste Zeit genossen wir es, von verschiedenen Orten aus zu arbeiten.

Europaweit verbringen Pender täglich im Schnitt 80 Minuten im Verkehr | © UTM

Ohne festen Büroarbeitsplatz zu arbeiten bedeutet die Freiheit zu wählen, wo man arbeitet und wo man lebt. Einige stellen möglicherweise fest, dass Immobilien und Mieten außerhalb der Innenstädte niedriger sind. Andere mögen entdecken, dass kleinere Städte grünere, sicherere und kinderfreundlichere Lebensbedingungen bieten. Wieder andere haben u.U. einen Partner, der nicht die Möglichkeit hat, standortungebunden zu arbeiten. Einige können die neue Freiheit der Fernarbeit nutzen, um ihren Wohnort drastisch immer wieder und in kürzeren Abständen zu ändern, sich in den Bergen oder am Strand und auch immer wieder in einem anderen Land niederzulassen, ohne dort dauerhaft sesshaft zu werden. Wir alle haben Fotos von Freelancer gesehen, die die Welt bereisen und aus der Ferne von erstaunlichen Orten arbeiten. Dies könnte durchaus häufiger werden.

Vor der Corona Krise pendelten die meisten Menschen zu ihrem Arbeitsplatz – hier die Pariser Stadtbahnlinie T2 vor den Bürotürmen von La Défense | © UTM

Es ist durchaus üblich, dass Studenten jetzt während ihres Studiums eine Weile in einem anderen Land leben und diese Erfahrung zu schätzen wissen. Später im Leben möchten sie ihren Kindern vielleicht die Erfahrung vermitteln, in einem anderen Land zu leben, aber sie können weder für ein Unternehmen arbeiten, das internationale Umsiedlungen unterstützt, noch bereit sein, ihren derzeitigen Job aufzugeben. Sie können jedoch aus der Distanz für ihren derzeitigen Arbeitgeber arbeiten. So könnten sie den Job behalten und noch eine Weile oder ein Schuljahr im Ausland leben.   Unsere Freundin Kristen hat mit ihrer Familie gezwickt und erklärt: „Während meiner Highschool-Zeit habe ich ein Jahr im Ausland gelebt und ich habe sehr gute Erinnerungen an diese Erfahrung. Jetzt wollten wir unseren Töchtern die gleiche Erfahrung bieten. Wir lebten in Kalifornien und mein Mann arbeitete schon aus der Ferne. Er arbeitete weiterhin im selben Job, als wir für ein Jahr nach Dijon in Frankreich zogen. Es war eine wunderbare Erfahrung für unsere Familie. Es war jedoch ziemlich mühsam, eine Schule zu finden, eine Wohnung zu suchen, diese einzurichten, die Wasser- und Stromversorgung und auch alle Kommunikationsverbindungen schnell und unbürokratisch einzurichten – alles für einen begrenzten Zeitraum. Die Verwaltungsgänge um Steuerbehörden, Sozialversicherung usw. und natürliche die rasche soziale Integration aller Familie waren ebenso eine ziemliche Herausforderung.“ Es sollte einfacher sein. Die Autoren glauben, dass jeder frei entscheiden sollte, wo er arbeitet und lebt. Unsere Mission ist es, dies künftig einfacher zu machen.

Wenn mehr Fernarbeit auch bedeutet, dass sich mehr Menschen dafür entscheiden, weiter weg vom Arbeitsplatz (meist in den Innenstädten) zu wohnen, dann könnte dies die Nachfrage nach Shared-Ride-Diensten wie On-Demand-Shuttles wie dem BerlKönig in Berlin erhöhen. Das On-Demand-Passagierangebot dürfte auf jeden Fall eine bessere Zukunft haben. Die längerfristigen Auswirkungen auf die ÖPNV-Anbieter werden von uns mit Interesse beobachtet werden.

BerlKönig Berlin | © BVG

Teilen Sie uns Ihre Kommentare und Fragen rund um Remote Working & Living und die Auswirkungen auf den Nahverkehr mit.

Mohsin Majid:
Mohsin Majid

und Christoph Althoff:
Christoph Althoff

05.05.2020
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Gundo Sanders
3 Jahre zuvor

Für Familien war diese Pandemie schon eine Herausforderung mit Homeoffice, Homeschooling und manchmal auch sehr beengtem Platz. Aber wir sind gespannt, ob die Homeofficeerfahrungen zu mehr Wunsch nach „Heimarbeit“ führen, ist doch die IT-Sicherheit des Unternehmens hier nicht mehr gegeben, ist man vom „Flurfunk“ abgeschnitten und bleibt viel mehr und länger in den eigenen vier Wänden. Aber die Gedanken von Mohsin Majid und Christoph Althoff haben auch viele Aspekte aufgezeigt, die auch zu bedenken sind und wir werden erleben, ob die Prognosen so eintreffen und ob es vielleicht auch regionale oder kontinentale Unterschiede geben wird. Sind die Auswirkungen in Singapur, Shenzen, Osaka, Los Angeles, Mexiko Stadt, Sao Paulo, Mailand, Barcelona, Istanbul, Kairo, Kappstadt, Lusaka oder Frankfurt ähnlich oder deutlich unterschiedlich? Wir werden sehen und ich freue mich über diese Fokuserweiterung bei UTM und kommende Beiträge zu diesem und anderen Entwicklungen rund um Public Transport bzw. Öffis oder ÖPNV!