Trolleybusbetriebe finden sich heute in aller Regel im städtischen Umfeld: Vor allem hier lassen sich die nötigen Investionen in fixe Infrastruktur durch zu erwartende, höhere Fahrgastzahlen wirtschaftlich rechtfertigen. Nahezu alle der einst auch im Überlandverkehr zahlreichen Obuslinien wurden nicht zuletzt deshalb nach und nach aufgegeben.
Eine bemerkenswerte Ausnahme findet sich in Zentralasien, im Westen des Landes Usbekistan. Seit 27 Jahren verbindet hier eine rund 33 km lange Trolleybuslinie die größte Stadt der Region, Urgench, mit Chiva (Xiva) – der alten Oase entlang der Seidenstraße, die mit ihren spektakulären Bauten und Festungsanlagen zum UNESCO Weltkulturerbe gehört und viele Touristen aus aller Welt anzieht.
Zum Hintergrund
Der Tourismus war denn auch einer der Hauptgründe, die Linie überhaupt zu bauen: Die Besucher sollten Chiva bequem erreichen können, entsprechend bediente die Linie anfangs Bahnhof und Flughafen in Urgench und in Chiva sowohl das Nord- als auch das Westtor als Eingangportale zur historischen Altstadt. In Urgench gab es außerdem schon seit der Eröffnung des elektrischen Betriebs am 20. Oktober 1997 einige Jahre eine innerstädtische Linie auf der Achse Bahnhof-Flughafen.
Im Laufe der Zeit hat sich allerdings das Aufgabengebiet des Trolleybus‘ deutlich geändert. Touristen bevorzugen heute überwiegend andere Verkehrsmittel, für die lokale Bevölkerung ist die Linie aber nach wie vor von Relevanz. Endpunkt in Urgench ist heute der Zentralmarkt der Region, der den ganzen Tag über stark frequentiert ist. Bahnhof und Flughafen werden seit 15 Jahren nicht mehr angefahren. Am anderen Ende, in Chiva, befährt der Obus eine große Scheife über mehrere Straßenzüge, an deren Ende immer ein 5-8 minütiger Aufenthalt am dortigen Markt eingelegt wird. Der Obus versucht so, möglichst viele potentieller Fahrgäste auf sich aufmerksam zu machen und sie auf diese Weise den konkurrierenden Minibussen „wegzuschnappen“. Deren Fahrer machen durch lautes Rufen auf sich aufmerksam – ein überaus pintorskes Szenario.
Dass der Obus in Urgench bis heute überlebt hat und damit die weltweit zweitlängste Obusverbindung überhaupt darstellt, kann man wohl getrost ein kleines Wunder nennen. Denn obwohl zentralstaatliche Vorgaben noch in den 1990er Jahren den Aufbau von Trolleybussystemen im Land aufgrund energiepolitischer Überlegungen stark förderten und sich die Zahl der Betriebe auf insgesamt 10 (+ 2 weitere neue Überlandverbindungen) erhöhte, führte ein Umdenken in der landesweiten Verkehrspolitik schon weniger Jahre später zur Aufgabe fast aller Anlagen. Mehrere bereits begonnene Projekte wurden sogar wieder abgebrochen, obwohl zum Teil schon erhebliche Bauleistungen erbracht worden waren. Urgench ist seit 2010 einziger überlebender Betrieb in Usbekistan. Und nachdem die erste Fahrzeuggeneration vor knapp 10 Jahren zur Erneuerung anstand, entschied man sich vor Ort sogar zum vollständigen Ersatz durch zeitgemäße Niederflurwagen. Nicht zu Ende geführt wurde allerdings der bereits begonnene Aufbau einer ganz neuen, städtischen Linie in Urgench, die über die bisherige Depotzufahrtstrecke hinaus weiter nach Nordosten gebaut werden sollte. Ein kurzes Stück dieser begonnenen Verlängerung ist noch heute zu sehen. Dagegen entfernte man alle anderen, nicht genutzten Fahrleitungsabschnitte nach und nach in den letzten Jahren.
Der Betrieb heute
Aktuell stellt sich der Betriebsablauf recht einfach dar: An allen Tagen bedienen 7-8 Trolleybusse die Strecke im 20-Minuten-Takt, und dies von etwa 6.30 bis 18.30 Uhr. Die Obusse halten an fest markierten Haltestellen, aber auch jedereit auf Zuruf auf freier Strecke – wiederum eine Konzession an die konkurrierenden Minibusse.
Die Überlandstrecke verläuft meist schnurgerade im Zuge einer vergleichsweise gut ausgebauten, vierspurigen Straße; hier erreichen die Fahrzeuge planmäßig Geschwindigkeiten von 65-70 km/h. Die Fahrleitungsanlage hat keine Weichen mehr, im Depot müssen die Stangen von Hand umgehängt werden. Das Depot selbst wird über eine rund 3 km lange Zufahrtstrecke erreicht. Hier stehen seit Jahren auch noch fünf Wagen der Ursprungsausstattung von Skoda aus 1997/99 abgestellt, Wagen 002, 004, 006 vom Typ 14 Tr und Wagen 008 und 009 vom Typ 14 TrM. Sie waren für die Inbetriebnahme der neuen Stadtstrecke aufbewahrt worden, sind aber mittlerweile in ziemlich verwahrlostem Zustand.
Einsatzbereit sind die neun Wagen mit den Nummern 010 – 018, die Skoda Electric als Typ 24Tr mit Karosserie von IVECO 2013 nach Usbekistan ausgeliefert hatte. Sie haben keinen Hilfsantrieb, können also nur unter Oberleitung bewegt werden. Die Wagen haben sich sehr gut bewährt, allerdings erfordert die Ersatzteilversorgung so manches Improvisationstalent der Werkstatt.
Alle Wagen sind landestypisch mit Vorhängen gegen die starke Sonneneinstrahlung im Wüstenland Usbekistan ausgestattet und in vergleichsweise gutem Zustand. Unterschiedlich ist die Frontpartie, manche der Trolleybusse haben ein digitales Display, andere ein aufgeklebtes, großes Schild mit der Angabe des Linienverlaufs. Alle fahren schaffnerbesetzt, kassiert wird beim Aussteigen der landesweite Einheitstarif von aktuell 4.000 Som (0,30 EUR). Aufgrund der Corona-Pandemie gab es auch hier Einschränkungen, ausbleibende Stromlieferungen führten im Winter 2021/22 sogar zu einer dreimonatigen Unterbrechung des gesamten Betriebs, doch seit März 2022 fahren die Wagen wieder planmäßig auf der Strecke.
Wünschen wir dem umweltfreundlichen, leisen Trolleybusbetrieb eine lange Zukunft!
Tabelle: Die Obusbetriebe im Land:
Taschkent 1947 – 2010
Samarkand 1957 – 2005
Almalyk 1967 – 2009
Andijan 1970 – 2002
Ferghana 1971 – 2003
Namangan 1973 – 2008
Bukhara 1987 – 2005
Nukus 1991 – 2007
Jizzax 1997 – 2010
Urgench-Chiva seit 1997
Anmerkung: Die tatsächlichen Betriebseinstellung dürfte in mehreren Fällen vor diesen offiziellen Stilllegungsdaten liegen.
Aus der Vergangenheit der Trolleybusbetriebe in Usbekistan:
(Aktualisierter Beitrag vom Feb. 2023) – updated:
23.11.2024