Zum 20. Mal eine aktuelle Übersicht: Beeindruckende Zahlen weist die neueste Übersicht der Bestellungen, Optionen oder laufenden Ausschreibungen für Betriebe in Deutschland aus: Allein bei den Fahrzeugen für Straßen- und Stadtbahnen sind von 30 Unternehmen über 1300 Einheiten verzeichnet, hinzu kommen noch über 360 Wagen für die Betreiber einer „klassischen“ U-Bahn in Berlin, Hamburg, München und Nürnberg. Für weitere 134 Straßen- und Stadtbahnwagen bei vier Betrieben ist eine Ausschreibung in Planung.
Es ist daher sicher nicht übertrieben, von einem neuen Boom zu sprechen, den es zuletzt in der ersten Hälfte der 1990er Jahre gab. Vor über 25 Jahren bestand sowohl im Westen wie im Osten des wiedervereinigten Deutschlands ein großer Nachholbedarf bei der Erneuerung von Fahrzeugflotten. In den alten Bundesländern waren es vor allem die in den 1950er- und 1960er Jahren gelieferten Großraum- und Gelenkwagen, bei denen das Ende der Lebensdauer zumindest absehbar war. In den neuen Bundesländern, deren Fahrzeugentwicklung durch staatliche Vorgaben einen ganz anderen Verlauf nahm, waren es überkommene Techniken (z.B. Zweiachser) aber auch schlechte Lieferqualität welche einen baldigen Ersatz durch Neubauten notwendig machte. Unabhängig davon beflügelte die neue Niederflurtechnik auch den Wunsch der Politiker, die Fahrgäste möglichst bald an der dadurch zu erreichenden Komfortsteigerung teilhaben zu lassen.
Grenzen der Lebensdauer bei Bestandsfahrzeugen in Sicht
Nunmehr kommen aber auch die bis in die 1980er Jahre von Stadtbahnbetrieben vor allem von den Betrieben an Rhein- und Ruhr beschafften Hochflurfahrzeuge an ihre einmal für 30 bis 35 Einsatzjahre geplante Lebensgrenze. Teilweise ist die Substanz aber so gut, dass eine Überarbeitung und Ausstattung mit neuer Technik eine durchaus sinnvolle und vor allem aber preisgünstigere Alternative darstellt und mehrere Betriebe diesen Weg zumindest teilweise gingen.
Die ab Beginn der 1990er Jahre gebauten Niederflurwagen waren aus Kostengründen von Beginn an auf eine maximale Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren ausgelegt, der sich die zahlreichen bis 1995 gebauten Einheiten nun nähern. Auch bei dieser Fahrzeuggattung hat es aber bereits in der Vergangenheit Betriebe gegeben, welcher in einer gründlichen Überarbeitung und Anpassung technischer Komponenten einen Weg sahen, die Einsatzzeit vergleichsweise günstig um etwa ein bis anderthalb Jahrzehnte zu verlängern.
Die Komfortansprüche sind gestiegen
Viele Betriebe betrachten diesen Weg aber nicht als sinnvoll und beschaffen neue Fahrzeuge. Auch dafür gibt es gute Gründe. Sie liegen zum einen in der Technik der Fahrzeugbauart selbst, die sich kontinuierlich weiterentwickelt hat und zum anderen in steigenden Komfortansprüchen. Vor 25 und mehr Jahren entwickelte Fahrwerksarten haben im täglichen Einsatz die Erwartungen nicht immer erfüllt und erfordern eine kostspielige Instandhaltung. Für Elektronik von damals gibt es kaum noch Bauteile, gerade in diesem Bereich hat geradezu eine komplette Umwälzung stattgefunden.
Genügte es vor zweieinhalb Jahrzehnten, die Fahrzeuge so auszustatten, dass nur ein Teilbereich stufenlos erreichbar war um die Ansprüche zufrieden zu stellen, so geht der Trend in vielen Städten heute zu 100% stufenlos. Treibende Kraft ist dabei in erster Linie die Politik. Was bei Stadtbahnsystemen durch den Bau entsprechend hoher Bahnsteige vergleichsweise einfach zu erreichen ist, zwingt aber bei Niederflurwagen immer noch zu Lösungen, welche nicht nur die Stückkosten der Fahrzeuge in die Höhe treiben, sondern auch zu teilweise unschönen Kompromissen bei der Innenraumgestaltung führt und das Gleisnetz Belastungen aussetzt, welche dessen Unterhalt verteuern.
Ein Blick zurück zur ersten Liste 1993
Weitere Entwicklungstendenzen aufzuführen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Es lohnt aber ein Blick zurück in das Jahr 1993 zu werfen, als vor nunmehr 27 Jahren erstmalig in der Zeitschrift Blickpunkt Straßenbahn (www.blickpunktstrab.de) von einem der Autoren der Zusammenstellung ein kleiner Bericht unter dem nahezu mit der jetzigen Überschrift identischen Überschrift „Neuer Boom im deutschen Straßenbahn-Fahrzeugbau“ erschien. In dessen Anhang befand sich eine sehr einfach gehaltene Zusammenstellung aller Bestellungen. Sie ist quasi der Urvater der heutigen Übersicht, welche 2020 zum 20. Male veröffentlicht wird.
Warum die Überschrift heute eine etwas andere sein muss, zeigt sich schnell bei einem Blick auf die Hersteller der Fahrzeuge. Das war damals eine rein innerdeutsche Angelegenheit, bei der die wenigen noch verbliebenen Produzenten den Markt dominierten. Damals hätte es wohl niemand für möglich gehalten, dass einmal Fahrzeuge aus Polen, Spanien oder Tschechien auf Gleisen in Deutschland rollen. Neben den international agierenden Konzernen haben sich aber auch vergleichsweise kleine Nischenanbieter erfolgreich etabliert.
Weitere Übersichten dokumentieren 25 Jahre Fahrzeugentwicklung
Mit weiter stark zunehmender Zahl von Aufträgen erschien die Zusammenstellung ab 1994 recht regelmäßig, zumeist einmal im Jahr. Zunächst in der Zeitschrift Blickpunkt Straßenbahn, in den Jahren 2002 bis 2009 dann auch oder sogar ausschließlich im Jahrbuch des Bahnwesens bis zu dessen Ende nach 57 Folgen im Jahre 2009.
Ab 1995 kam Rolf Hafke bei der Erstellung der Übersicht mit ins Boot, welcher dann im Frühjahr 1997 eine Rubrik „Industrie“ in der regelmäßigen Berichterstattung von BS ins Leben rief. Auch dies war für eine reine „Amateurzeitschrift“ ein Novum, gleichzeitig aber auch ein Beweis dafür, dass ein solch rein ehrenamtlich erstelltes Periodika professionell sein konnte.
Ab 2011 waren die Übersichten dann wieder in Blickpunkt Straßenbahn zu finden, die zu dieser Zeit jedoch recht verhaltenen Aktivitäten in Sachen Fahrzeugbestellungen ließ aber Raum für größere Zeiträume. Die starke Zunahme der Aufträge hat es ab 2018 mit sich gebracht, dass die Liste nun wieder jährlich erscheint, zum Teil aber nur die Veränderungen gegenüber dem Vorjahr enthält. Ausgabe Nummer 20 in 2020 ist dagegen wieder eine Vollversion“.
Ein zuverlässiger Lotse durch die Informationsflut
Wie stets zahlreiche Reaktionen sowohl bei Lesern, wie auch bei Verkehrsbetrieben und Industrie durch ihre kooperative Mitarbeit zeigen, hat eine derartige Übersicht im Zeitalter des allwissenden Internets immer noch ihre Berechtigung. Vielleicht auch gerade deswegen, braucht es doch bei der dortigen geradezu erschlagenden Informationsvielfalt einen zuverlässigen Lotsen, der den Weg weist. Gerne soll auch in Zukunft auf den verschiedenen Kanälen das Informationsbedürfnis zu diesem interessanten Thema befriedigt werden.
Alle 20 Zusammenstellungen sind für Interessenten der lebhaften Entwicklung bei Fahrzeugindustrie und Fahrzeugtypen ab Anfang Februar auf der Internetseite des Verbandes Deutscher Verkehrsamateure (VDVA) www.vdva.de zu finden. Dort finden sich auch weitere Informationen zur Entstehung und Entwicklung dieser Übersichten. Sie zeigen auch eindrücklich, welchen Einfluss die Liberalisierung des Marktes innerhalb der EU und die Verpflichtung zur europaweiten Ausschreibung eines Auftrages auch auf diesen Sektor hatte. In der Liste von 1996 findet sich dann auch erstmalig die Ankündigung einer solchen.
17.02.2020
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Es wurden in der Liste die 47 neuen NF4 der DVG Duisburg vergessen deren Auslieferung dieses Jahr beginnt.
Die neuen Zahnradbahnwagen für Stuttgart sollen teilniederflurig werden. Könnte der Tabelleneintrag von „HF“ in „ca. 30% MF“ geändert werden? (Mittelflur, weil 40cm Fußbodenhöhe geplant sind.)
https://www.ssb-ag.de/unternehmen/informationen-fakten/fahrzeuge/zahnradbahn/
In der Liste müsste Duisburg fehlen. Neben der gemeinsamen Ausschreibung mit Düsseldorf hat die DVG 2017 bei Bombardier insgesamt 47 Niederflurfahrzeuge des Typs für Flexity Duisburg bestellt. Siehe:
http://www.dvg-duisburg.de/die-dvg/presse/pressemitteilungen/detailseite/neue-strassenbahnen-prototypen-sollen-ab-2019-auf-der-schiene-sein/
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