Nördlich der Pyrenäen und nahe der atlantischen Küste erhebt sich ein 905 Meter hoher, weithin sichtbarer Berg aus der Ebene. Larrun, in Baskisch oder offiziell in Französisch La Rhune, oft wolkenumhüllt, erlaubt einen einmaligen Blick auf die berühmten Küstenorte Biarritz, Saint-Jean-de-Luz und weiter, aber auch in Richtung der von hier aus aufsteigenden Pyrenäen. Die sportliche letzte französische Kaiserin Eugène de Montijo, Gattin von Napoleon III, gab den Anstoß. Sie bestieg im Sommer 1859 den nahen Berg von der Sommerresidenz des Kaiserpaars in Biarritz aus und im folgenden Jahr wurde ein Obelisk zur Erinnerung an ihren Besuch errichtet. Mit der Ankunft der Eisenbahn im Jahr 1865 war Biarritz an das europäische Eisenbahnnetz angebunden und zahlreiche reiche Russen reisten an und verbrachten ihre Sommermonate zur Kur in Biarritz. Viele von ihnen ließen sich auf den Berg mit seiner herrlichen Aussicht bringen.
1908 entstand die Idee, auf französischem Boden eine Eisenbahn bis kurz vor dem Gipfel, der auf spanischem Gebiet liegt, zu bauen. Die Arbeiten begannen 4 Jahre später und wurden durch den ersten Weltkrieg von 1914-18 unterbrochen. Die bereits zwischen 1912 und 1914 gelieferten und gleichzeitig mit der Bergbahn Luchon – Superbagnères bestellten Lokomotiven der Schweizer Hersteller BBC und SLM wurden abgestellt. Erst nach 12 Jahren konnte die Linie am 30. Juni 1924 bis zum Gipfel eingeweiht werden.
Während des Zweiten Weltkriegs von 1939 bis 45 wurde der reguläre Betrieb eingestellt, es gab einzig Versorgungsfahrten zur Radarstation der deutschen Besatzungsmacht auf dem strategisch wichtigen Gipfel. Nach Kriegsende stieg der Verkehr wieder an, so dass in den Jahren 1972 und 1979 diverses Rollmaterial von der 1966 eingestellten Bergbahn Luchon – Superbagnères gekauft wurde. Der gesamte Fuhrpark, Triebwagen und Wagen, wurde im Jahr 1996, teilweise nach Originalplänen, vollständig restauriert, überprüft und auf den neuesten Stand gebracht. In den letzten 40 Jahren wurde La Rhune zur beliebtesten Touristenattraktion im französischen Baskenland und erhielt die Auszeichnung „Natura 2000“, während gleichzeitig die Anzahl der Züge erhöht wurde um der steigenden Zahl von Reisenden gerecht zu werden. In Zusammenarbeit mit der LPO (Liga für Vogelschutz) wurde das Massiv auch ökologisch anerkannt.
Im Herbst des vergangenen Jahres begannen großangelegte Erneuerungsmaßnahmen, vor allem der Strecke und auch der Verschönerung des im baskischen Stil gebauten Bahnhofs, und obwohl kurz vor Abschluss der Arbeiten ein Erdrutsch nach einem heftigen Regenfall ein Stück der Gleise mitgerissen hatte, konnte die Linie am 3. Juni 2023 nach der Rekordzeit von neun Monaten für die Sommersaison eröffnet werden, zu der rund 320 000, in Spitzentagen bis 3000 Gäste erwartet werden. 27 Millionen Euro wurden für die Renovierung aufgewendet. Die neuen Zahnstangen System Strub wurden von der Schweizer Firma Tensol Rail geliefert. Dabei wurde auch eine zweiachsige Diesel-Zahnradlokomotive von Stadler Rail für die Bauarbeiten und später für Notfälle, ein Rettungswagen in Aluminiumbauweise für eventuelle Evakuierungen, ein Wagen zur Inspektion und Reparatur der Oberleitung sowie weitere Hilfsmittel angeschafft, obwohl während der letzten 99 Jahre nur ein einziger Notfall, bei dem solche Hilfsmittel hilfreich gewesen wären, aufgetreten war.
Die bis 250 ‰ steile, meterspurige reine Zahnradbahn führt über 4,2 km von der 170 m über Meer gelegenen Station Col de Saint-Ignace auf den 905 m hohen Aussichtsberg La Rhune. Sie ist mit einer Zahnstange nach System Strub ausgerüstet und wird mit Drehstrom von 3000 V 50 Hz gespiesen, was eine doppelte Fahrleitung bedingt. In der Mitte besitzt die eingleisige Strecke eine Kreuzungsstelle, was bei einer reinen Fahrzeit von 30 Minuten einen durchgehenden 35-Minuten Takt in beiden Richtungen erlaubt. Jeder Zug besteht talseitig aus einer zweiachsigen Lokomotive und bergseitig zwei Personenwagen mit je 60 Sitzplätzen, die ungekuppelt geschoben werden. Es verkehren immer gleichzeitig in kurzem Abstand zwei Züge pro Richtung auf Sicht ohne technische Zugbeeinflussungseinrichtungen. Die Geschwindigkeit beträgt durchwegs 9 km/h. Zwischen 20 und 30 % der in den generatorisch wirkenden Fahrmotoren erzeugten Energie der talwärts fahrenden Züge werden für die Traktion der bergwärts fahrenden zurückgewonnen. Zur Geräusch- und Verschlesssminderung werden die Schienen mit biologisch abbaubarem Fett geschmiert, die Adhäsionsverhältnisse spielen dabei keine Rolle, da sowohl Antrieb als auch Bremsen ausschließlich über die Zahnräder geschehen und die Laufräder lose mitdrehen.
Die Bahn besitzt heute sechs zweiachsige, zwischen 1912 und 1914 von BBC und SLM gebaute und seither kaum veränderte Lokomotiven von 17 t Masse. Zwei von ihnen stammen von der ehemaligen Bahn Luchon – Superbagnères. Sie werden von zwei Mechanikern bedient, während ein Zugführer bei Bergfahrt von einer Kabine am oberen Ende die Fahrt überwacht und den Mechanikern akustische und visuelle Signalbefehle erteilt. Die Loks besitzen zwei 120 kW starke Drehstrom-Asynchronmotoren, die mit 750 U/min drehen und über ein zweistufiges Getriebe auf die Zahnräder wirken, während die tragenden und spurführenden Räder lose mitdrehen. Als Betriebsbremse wirken die Fahrmotoren. Für Betriebsbremsungen bis zum Stillstand gibt es zwei Handbremsen, die von den beiden Mechanikern durch Kurbeln betätigt werden. Sie wirken über beidseitig geriffelte Trommeln auf jedes Zahnrad. Als Sicherheitsbremse gibt es auf den Lokomotiven eine Überwachung der Geschwindigkeit durch einen Fliehkraftregler, der mechanische Bandbremsen auf den Motorwellen auslöst, wenn die Geschwindigkeit 9 km/h übersteigt.
Zusammen mit den acht 5 t schweren, offenen Wagen können vier Züge gebildet werden. Sie wurden von der Firma Soulé im am Fuß der Pyrenäen gelegenen Bagnères-de-Bigorre mit Seitenwänden aus lackiertem Kastanienholz, dem Dach aus Pyrenäen-Tannenholz, dem Fußboden aus Kastanienholz aus der Ariège und der Zugführer-Plattform aus wetterfestem afrikanischem Iroko gebaut. Ein bergseitiges Drehgestell und eine talseitige Einzelachse bilden das ursprünglich ungebremste Laufwerk. Am 28. Februar 1954 ereignete sich auf der mit dem gleichen Rollmaterial ausgerüsteten Bergbahn in Luchon ein schwerer Unfall, bei dem wegen einer falsch gestellten Weiche zunächst die Lokomotive entgleiste und der ganze Zug mit 80 statt 8 km/h zu Tale raste. Die Lok mit den beiden Mechanikern stürzte in einer Kurve 500 m in die Tiefe, die Wagen kamen glücklicherweise vorher auf dem Schotter zum Stillstand. Insgesamt waren neun Tote zu beklagen. Ursprünglich waren die Wagen ungebremst, nach dem Unglück wurden sie mit einem Zahnrad auf der talseitigen Achse und einer zugehörigen manuellen Betätigung durch den Zugführer oder die Reisenden nachgerüstet. Auf der La Rhune-Bahn kam es allerdings nie zu einem solchen Unglück.
16.07.2023