Die Straßenbahn Herne – Baukau – Recklinghausen – Vom Kleinbetrieb zur letzten Strecke der „Vestischen“ 1898-1982
Die zwischen den Städten Bochum und Recklinghausen gelegene und im Vergleich zu diesen recht kleine Stadt Herne wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts von insgesamt vier Straßenbahngesellschaften bedient. Eine davon war die Straßenbahn Herne – Baukau – Recklinghausen, eröffnet 1898. Ende der 1920er Jahre entstand als typische Einrichtung des eng miteinander verwobenen Siedlungsraumes im sogenannten Ruhrkohlenbezirk auch zwischen Bochum und Recklinghausen ein Gemeinschaftsbetrieb zwischen den Bochum-Gelsenkirchener-Straßenbahnen (BGS) und der Straßenbahn Herne – Baukau – Recklinghausen, bei dem die Fahrzeuge beider Unternehmen jeweils die gesamte Strecke befuhren. Das blieb mit einer kriegsbedingen Unterbrechung im 2. Weltkrieg so bis zur Einstellung des Straßenbahnbetriebes zwischen Herne und Recklinghausen im Jahre 1982, also vor genau 40 Jahren. Betriebsführung und Verwaltung der Straßenbahn Herne – Recklinghausen lagen immer in den Händen der zunächst Vestischen Kleinbahnen und ab 1940 Vestischen Straßenbahnen genannten erheblich größeren Gesellschaft mit Sitz in Herten. 1939 übernahm die „Vestische“ den Betrieb in Eigenregie.
Das von der Straßenbahn Herne – Baukau – Recklinghausen eingesetzte Wagenmaterial war im Gegensatz zu den übrigen Betrieben im Ruhrgebiet überwiegend vierachsig und die später meist zweigleisig auf eigenem Bahnkörper verlegte Strecke brauchte in beiden Fällen einen Vergleich mit Überlandbahnen amerikanischer Prägung nicht zu scheuen. Ab den späten 1950er Jahren übernahmen moderne sechsachsige Gelenkwagen sowohl der BGS als auch der Vestischen den Verkehr.
Passend zum „runden“ Datum der Einstellung des Straßenbahnbetriebes im Verkehrsgebiet der Vestischen ist nun diese Veröffentlichung erschienen. Da es bislang über die Straßenbahn zwischen Herne und Recklinghausen und hier vor allem den Betrieb der eigenständigen Gesellschaft bis 1939 und deren Fahrzeugpark nur relativ wenige Informationen gab, füllt das Buch mit seiner umfassenden Darstellung aller Aspekte dieses Betriebes endlich eine Lücke. Übersichtlich in sieben Kapitel gegliedert werden alle Aspekte eines Straßenbahnbetriebes beginnend mit den Ideen, Projekten sowie Planung und Bau bis hin zu den Tarifen und Haltestellen dargestellt. Zahlreiche Fußnoten und Quellenangaben zeigen, dass es mit systematischer Forschung auch heute noch möglich ist, auch lange zurückliegende Sachverhalte zu erarbeiten, selbst wenn dabei Lücken bleiben, wie hier beim Fahrzeugpark. Dies dann auch so darzustellen, wie im Buch geschehen, ist eine weitere beachtenswerte Leistung des Autors.
Auch die Zeit von 1939 bis 1982 wird in ähnlicher Ausführlichkeit dokumentiert und hier zusätzlich mit einer Streckenreise in Farbbildern zwischen in den letzten fünf Jahren des Bestehens ergänzt. Auch die übrigen Kapitel sind mit zahlreichen Bildern und Dokumenten illustriert, zu einzelnen Teilaspekten gibt es erklärende Einschübe. Neben Originalkarten sind auch zahlreiche solche neu angefertigt worden, sodass auch für den nicht Ortskundigen eine gute Orientierung möglich ist. Auch die Phase des Busbetriebes wird mit einigen Vergleichsaufnahmen erwähnt. Die ursprünglich geplante Stadtbahnverbindung kam auf Recklinghäuser Gebiet ja leider nicht zustande.
Da heute nicht unbedingt üblich, sei auch das aufwendige Layout des Buches hervorgehoben. So zeigt sich der Buchumschlag mit erhabenen Goldbuchstaben und es werden hier wie auch im Inneren Schrifttypen verwendet, welche sehr gut zur Abhandlung eines historischen Themas passen. Auch die Bildqualität ist sehr gut, ebenso wie die gesamte Aufmachung einen ausgezeichneten und damit auch einladenden Eindruck macht, das Buch in die Hand zu nehmen und darin zu blättern und zu lesen. Man merkt, hier ist etwas mit Liebe zur Sache und zum Detail gemacht worden. Das Ganze gibt es dann auch noch zu einem vergleichsweise günstigen Preis, so dass das Verhältnis zum Gebotenen ebenfalls stimmt.
Der Autor hat einen eigenen Verlag gegründet und bietet dort bereits etliche Nachdrucke historischer Dokumente wie Stadt-, Fahr- und Linienpläne sowie den Nachdruck eines Buches von 1911 über die Straßenbahnen im Rheinisch-Westfälischen Kohlenbezirk an. Mit dem vorliegenden Buch ist ihm ein sehr guter Einstieg bei den Eigenveröffentlichungen gelungen. Man darf der Veröffentlichung einen entsprechenden Absatz wünschen und wer sich für die Straßenbahngeschichte im Revier interessiert, der sollte zugreifen. Gespannt darf man auf weitere Publikationen warten.
Autor: Sven Binder
160 Seiten im Format 21,0 x 30,0 cm, gebunden
214 Fotos, davon diverse in Farbe, 15 Karten und 8 Tabellen
Herausgeber: SBB-Verlag, Dortmund 2022
Preis: 36,00 €
ISBN: 978-3-910461-00-0
07.12.2022