• de
  • en

Haagse PCC-Cars

Die drei überlebenden Straßenbahnbetriebe der Niederlande in den Großstädten der „Randstad“ (Amsterdam, Den Haag und Rotterdam) gingen bei der Modernisierung ihres Wagenparks ab den 1950er Jahren jeder seinen eigenen Weg: Amsterdam setzte zunächst auf Lenkdreiachser mit Untergestellen eines Schweizer Patentes, schwenkte nach Erscheinen des DÜWAG-Gelenkwagens 1956 auf im Land gebaute Sechs- und Achtachser um. Rotterdam blieb zunächst seinen Vierachsern mit Mitteleinstieg treu, wandte sich dann aber Vier- und Sechsachern aus der Schweiz zu, ehe ab den 1960er Jahren größere Stückzahlen DÜWAG Sechs- und Achtachser beschafft wurden, die zum Teil in Lizenz im Land selbst entstanden.

Den Haag begann die Modernisierung 1948 mit einer kleinen Serie Vierachser konventioneller Bauart aus heimischer Produktion, schwenkte aber dann um auf amerikanische PCC-Triebwagen, deren erster auf europäischem Boden 1947 in Einzelteilen aus USA bei der Waggonfabrik „La Brugeoise et Nivelles“ (BN) im belgischen Brügge angekommen war. BN hatte aus den USA die Lizenz derartiger Fahrzeuge sowohl für die Konstruktion, aber auch die technische Ausstattung für Westeuropa erworben. Die Entstehungsgeschichte des Originals dürfte bekannt sein, ein Problem des Einsatzes in Europa war allerdings die Wagenbreite von 2,54 Metern, welche mit den Einsatzmöglichkeiten auf den auf 2,20 bis 2,30 m breite Fahrzeuge ausgelegten Gleisnetzen kollidierte. BN schuf daher eine schmalere Variante mit 2,32 m Breite und legte damit den Grundstein für einen erfolgreichen Einsatz in Westeuropa. Die nationale belgische Kleinbahngesellschaft SNCV, bei der der Prototyp nach ersten Probefahrten in Brüssel auf Normalspur nun auf Meterspur zum Einsatz kam, bestellte 1949 eine Serie von 24 Triebwagen.
Den Haag zeigte ebenfalls Interesse, wollte aber die Einsatzmöglichkeiten zunächst eingehend erproben. Aus zwei weiteren „Bausätzen“, die per Schiff aus USA nach Belgien kamen, entstanden bei BN die ersten beiden Prototypen für Den Haag, deren Türanordnung abweichend vom Original (vorne und Mitte) auf vorne und hinten geändert wurde, da abweichend von den USA ein Einsatz mit Schaffner vorgehen war. Die Wagen verfügten an den Seiten über die sogenannten „Standee Windows“, die gerne als charakterisierendes Merkmal eines PCC-Wagens bezeichnet werden, es aber eigentlich nicht sind, da das Original sie zunächst nicht hatte. „Amerikanisch“ war die Steuerung mittels Pedale und das Accelerator-Schaltwerk, welche den Fahrzeugen eine rasante Beschleunigung verliehen.

Da der Einsatz befriedigte begann 1950 mit zunächst 22 Einheiten die Serienbeschaffung, welche nun die klassische Türanordnung vorne und Mitte besaßen, da sie, für Europa ein Novum, im Einmannbetrieb eingesetzt werden sollten. In den nächsten knapp 25 Jahren gelangten dann in weiteren vier Teilserien 210 PCC-Vierachser gebaut von BN, bzw. deren Um- und Neugründungen, in die königliche Residenzstand. Sie unterschieden sich in verschiedenen Details voneinander, besaßen aber einheitlich große und hohe Seitenfenster und auch am Heck zur Beschleunigung des Fahrgastwechsels eine schmale Türe. Die letzten 30 waren zwar motorisiert, besaßen aber keinen Führerstand, so dass sie nur als zweite Wagen einer Doppeltraktion einzusetzen waren und vorne nur eine Einzeltüre hatten. Alle ab 1957 gelieferten PCC im „europäischen Aussehen“ waren für den Einsatz im Zugverband ausgelegt. Zweiwagenzüge waren Standard, Dreiwagenzüge möglich, kamen aber nicht über Probe- und Sonderfahrten hinaus zum Einsatz. Vier Tw der 2. Serienlieferung erhielten übrigens an Stelle der klassischen PCC-Drehgestelle versuchsweise solche der DÜWAG mit Tandemantrieben.

Alleine diese Vorgeschichte macht deutlich, dass die PCC-Trams in Den Haag jede Menge Stoff für eine Darstellung bieten, den der Autor auf über 300 Seiten dann auch in kleinteiliger Form nutzt. Das Buch richtet sich daher in erster Linie an Fahrzeugspezialisten, die dann hier aber auch wirklich alles zu Planung, Entstehung, Einsatz und Verbleib erfahren. Das Inhaltsverzeichnis zeigt bereits, wie mit der Aufteilung in zehn Kapitel eine übersichtliche Darstellung erreicht wird. Dabei sind die Kapitel 5 bis 10, welche die einzelnen Serien beschreiben, nach einem einheitlichen Schema aufgebaut, welche sowohl die gezielte Suche nach Details als auch einen Vergleich der Serien untereinander gut ermöglichen. Der Lebenslauf eines jeden Fahrzeuges wird in „Kästchen“ festgehalten.

Vorangestellt werden im Kapitel 4 die für alle Serien geltenden Merkmale übersichtlich behandelt. Nicht jeder Interessent an Den Haager Fahrzeugen wird deren Vorgeschichte in Amerika und im übrigen Europa kennen, so dass hier die ersten beiden Kapitel das Basiswissen liefern. Recht ausführlich beschäftigt sich der Autor, der bereits zahlreiche Veröffentlichungen zur Den Haager Straßenbahn aber auch zu Fahrzeugen anderer Betriebe verfasst hat, auch mit den technischen Besonderheiten der PCC. Zahlreiche Fotos und Zeichnungen machen dieses Thema auch für den technischen Laien verständlich.
Auch ein kurzes Kapitel über das Netz der Den Haager Straßenbahn mit zwei Plänen fehlt nicht, so dass man auch etwas über die Einsatzbedingungen der Wagen erfährt. Der Anhang fast die technischen Daten zusammen, listet die erhaltenen Wagen auf und gibt eine Übersicht über die Straßenbahnlinien, welche mit PCC bedient worden sind. Ein Verzeichnis der Abkürzungen und der Quellen beschließt das in Druck und Verarbeitung ausgezeichnete Buch.

Alle Kapitel sind mit über 400 guten Fotos in ausreichender Größe und etwa zu zwei Dritteln in Farbe illustriert, welche neben den Fahrzeugen und ihrem „Innenleben“ auch deren Wege durch die Stadt zeigen. Von der Sprache sollte sich der Interessent in Deutschland nicht abschrecken lassen, sehr Vieles erschließt sich im Kontext mit den Abbildungen. Auch helfen heute ja Übersetzungsprogramme zuverlässig weiter.

Wer sich für das Thema interessiert, der sollte nicht zögern, sich diese Veröffentlichung zuzulegen, er wird es nicht bereuen.

Autor: Johan Block

Herausgeber: Uitgeverij de Alk, Alkmaar (NL) 2022

304 Seiten im Format 30,0 x 21,0 cm, gebunden

Preis: 45,00 €

ISBN: 978 905961258 7

04.04.2023
0 0 Stimmen
Artikelbewertung
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments