UTM: Herr Galland, was ist Ihre Position innerhalb von Axis Communications und für welchen Bereich sind sie tätig?
Maximilian Galland: Ich bin Manager Sales DACH bei Axis Communications, Technologieführer im Bereich Netzwerk-Video, und damit für den Vertrieb in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich.
UTM: Wie ist Axis Communications im deutschsprachigen und weltweiten Markt aufgestellt? Wie viele Mitarbeiter arbeiten in Ihrem Unternehmen und an welchen Standorten bzw. welchen Ländern produzieren Sie?
Maximilian Galland: Axis Communications wurde 1984 in Lund, Schweden, gegründet. Unternehmensziel war von Beginn an, für eine smartere und sicherere Welt durch die Entwicklung von Lösungen zur Verbesserung von Sicherheit und Geschäftsperformance zu sorgen. Damals war die Vorstellung, Geräte mithilfe von Netzwerktechnologie zu verbinden und mit Intelligenz zu versehen, noch neu. Tatsächlich brachte Axis 1996 die weltweit erste IP-Videokamera auf den Markt – und legte damit auch den Grundstein für die Umstellung der Branche von analogen zu IP-basierten Videosicherheitssystemen. Heute hat Axis über 150 Netzwerk-Kameramodelle für unterschiedliche Anwendungsfälle und Branchen, wie Verkehr oder Smart City, im Sortiment, außerdem Lösungen für die Videoanalyse und Zutrittskontrolle sowie Sprechanlagen, Audiosysteme und Wearables. Axis beschäftigt etwa 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und hat Kunden und Partner in über 50 Ländern weltweit.
UTM: Welche sind die aktuellen Produkt-Highlights von Axis Communications und was sind für Sie die wichtigsten Märkte?
Maximilian Galland: Auf der InnoTrans 2022 in Berlin haben wir die erste Onboard-Kamera von Axis mit 360-Grad-Panoramablick präsentiert. Die Fisheye-Kamera AXIS M3057-PLR MKII hat eine Auflösung von 6 Megapixel und kann damit große Innenbereiche in Bussen, Straßenbahnen und Zügen effizient erfassen und abdecken. Mit ihrer Hilfe kann nicht nur die Sicherheit von Fahrgästen verbessert, sondern auch die Fahrzeugauslastung und die Platzbelegung in den einzelnen Zugabteilen effektiv gemessen werden.
Vor Kurzem haben wir zudem unsere erste Radar-Video Fusion Kamera vorgestellt. Mit der AXIS Q1656-DLE verbinden wir erstmalig Radar- und Videofunktionalität in einem Gerät. Darüber hinaus bietet die Kamera die auf Deep Learning basierende Analysefunktion AXIS Object Analytics, mit deren Hilfe Objekte, zum Beispiel rennende Menschen, lokalisiert und klassifiziert werden können.
Was die Märkte betrifft, fokussiert sich Axis Communications insbesondere auf die drei Weltregionen: AMERICAS (Nord-, Mittel- und Südamerika), EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) und APAC (Asien-Pazifik). Die Region Nord-, Mittel- und Südamerika machen dabei den größten Markt aus. Was die Branchen angeht, sind für uns Retail, Transportation, Smart Cities sowie Kritische Infrastrukturen global die wichtigsten Industriesegmente.
UTM: Im Oktober hat Axis Communications das Projekt „Noise Camera“ gestartet. Was ist das Besondere daran und was sind die Projektziele?
Maximilian Galland: Die „Noise Camera“ ist im Rahmen eines Pilotprojekts im niederländischen Eindhoven, in Kooperation mit Sorama, Marktführer im Bereich Lärmkameras, entstanden. In Eindhoven sind sowohl die Lärmbelastung als auch die Luftverschmutzung teilweise sehr hoch, vor allem an der sechsspurigen Kennedylaan, einer der verkehrsreichsten Straßen der Stadt. Die Stadtverwaltung setzte sich daher das Ziel, die Lärmbelastung zu reduzieren. Tatsächlich ist Lärm ein wichtiger Teilaspekt von Smart City-Projekten, denn er begünstigt zahlreiche Zivilisationskrankheiten wie Schlafstörungen oder Bluthochdruck. Weniger Lärm tragt damit auch automatisch zu einer höheren Lebensqualität in Städten bei. Das Projekt wurde erstmals im März 2021 auf der Intertraffic Amsterdam vorgestellt.
UTM: Wie funktioniert die Lärmkamera?
Maximilian Galland: Im Rahmen des Pilotprojekts „Noise Camera“ haben wir an der Kennedylaan in Eindhoven insgesamt acht IP-Kamerasysteme installiert, die kontinuierlich das Verkehrsaufkommen und den daraus resultierenden Lärmpegel beobachten. Jedes System besteht aus einem Sorama-Sensor mit insgesamt 64 Mikrofonen, die registrieren, woher ein Geräusch kommt und wie laut es ist, sowie einer IP-basierten Bullet-Kamera von Axis Communications – die Modelle AXIS P1455-LE oder AXIS Q1700-LE. Beide Kameras verfügen über die Analysefunktion AXIS License Plate Verifier und können damit Fahrzeugkennzeichen effektiv erkennen und lesen.
Letztendlich funktioniert das gesamte Setup so: Der Sorama-Sensor misst kontinuierlich den Geräuschpegel der Umgebung. Weicht dieser von zuvor festgelegten Grenzwerten ab, wird ein Impuls an die Axis-Kamera gegeben, die mithilfe des AXIS License Plate Verifier dann die Kennzeichen der in diesem Moment auf dem Bildausschnitt sichtbaren Fahrzeuge markiert.
Sowohl das auslösende Ton- als auch das Videofragment mit markiertem Kennzeichen und optional weiteren Fahrzeuginformationen, zum Beispiel zum Typ oder zur Farbe des Fahrzeugs, werden dann als Ganzes an ein Video Management System übermittelt. Das macht eine Echtzeitüberprüfung und Nachverfolgung des Vorfalls möglich. Alternativ können die Informationen auch in einem Archiv zur weiteren Nachverfolgung oder späteren Bearbeitung gespeichert werden.
UTM: Was sind die Vorteile der Lärmkamera und weshalb wird sie in Zukunft noch wichtiger?
Maximilian Galland: Bisher konnten in Städten nur die Gesamtschallpegel bestimmter Streckenabschnitte gemessen werden. Durch die Kombination von Geräuschsensoren, Netzwerk-Kameras und intelligenten Analysefunktionen zur Kennzeichenerkennung können einzelne Fahrzeuge nun auch klassifiziert werden. Das erst macht es möglich, konkrete Maßnahmen zur Reduzierung von Lärmbelastung zu ergreifen. Eine Stadt kann so beispielsweise Geschwindigkeitsübertretungen zu bestimmten Zeiten gezielter verfolgen oder auch das Straßenbild entsprechend anpassen. Letzteres führt dazu, dass eine Stadt von einer reaktiven Herangehensweise zu einer proaktiven Prävention der Lärmbelastung übergeht. Da es in Zukunft immer wichtiger werden wird, Städte als lebenswerte und auch intelligente Orte zu gestalten, ist dies ein entscheidender Vorteil.
UTM: Welche Reaktionen haben Sie von Städten und potenziellen Kunden in Bezug auf die Lärmkamera erhalten?
Maximilian Galland: Die Lärmkamera haben wir zum ersten Mal im März 2021 auf der Intertraffic Amsterdam präsentiert und seitdem auch auf weiteren Messen, zum Beispiel der Smart City Expo 2022 in Barcelona, vorgestellt. Die Kamera stößt dabei immer auf reges Interesse bei Kunden und Partnern. Grundsätzlich haben wir das Gefühl, dass sich Städte sehr offen dafür zeigen, dem Thema Lärmbelastung mehr Beachtung zu schenken. Sie sind bereit, Schritte in Richtung eines Stadtzentrums zu gehen, das ruhiger und sicherer für alle Bewohnerinnen und Bewohner ist.
UTM: Auf der InnoTrans haben Sie Ihre Innovationen auch im Ideenzug der DB Regio AG gezeigt. Was sind die technischen Lösungen und wie funktionieren diese?
Maximilian Galland: Die Bedeutung von IP-Technologien zur Analyse der Fahrzeugauslastung in Zügen sowie die Erfassung demografischer Daten nimmt kontinuierlich zu. Ziel ist es, die Sicherheit und den Komfort der Passagiere – insbesondere von Kindern, Radfahrern und Menschen mit Behinderungen – beim Ein- und Ausstieg zu erhöhen, sowie das Fahrgastmanagement zu optimieren, um den ÖPNV für Reisende insgesamt attraktiver zu gestalten. Genau darauf zielen auch die Netzwerktechnologien von Axis im Ideenzug ab, Hand in Hand mit Lösungen von weiteren Partnern der Deutschen Bahn.
Konkret haben wir auf der InnoTrans als Partner des Ideenzugs Use Cases für den öffentlichen Nahverkehr aus den Bereichen video- und audiobasierte Netzwerk- und Sicherheitstechnologien sowie cloudbasierte Videosicherheitssysteme präsentiert. Ein Beispiel: Unsere Kameras in den Zügen mit integrierter Analysefunktion messen die Fahrzeugauslastung samt Sitzbelegung, um den Passagieren bereits vor dem Einstieg die Information zu geben, wie hoch der jeweilige Wagen ausgelastet ist (z. B. ob Stellplätze für Kinderwagen, Fahrräder oder Rollstühle schon belegt sind). Die über die Analysesoftware erhobenen Daten können in Echtzeit ausgewertet und an ein Fahrgastinformationssystem weitergeleitet werden. Die Fahrzeugauslastung – ob niedrige, mittlere oder hohe Auslastung – wird schließlich auf den digitalen Overdoor-Displays über den Einstiegstüren angezeigt. So können Fahrgäste in Echtzeit, noch vor Betreten des Zugs, sehen und einschätzen, wie voll der jeweilige Zugabschnitt ist.
UTM: Was sind aus Ihrer Sicht die Trends in der ÖPNV-Branche? Spielt KI in Ihrem Produktportfolio eine Rolle?
Maximilian Galland: Während der Pandemie, in der die Fahrgastzahlen stark zurückgingen, vor allem aber auch nach dem vergangenen Sommer, in dem es aufgrund des 9-Euro-Tickets zu Überlastungen im ÖPNV gekommen ist, bleibt aus meiner Sicht eines essenziell: Passagiere müssen wieder mehr Vertrauen in den ÖPNV gewinnen, sprich Vertrauen in die Sicherheit und letztlich auch in die Zuverlässigkeit der Informationen zur jeweiligen Umgebung, in der sie sich bewegen. Für die verantwortlichen Bahngesellschaften bedeutet das, dass sie möglichst verlässliche Vorhersagen über Fahrgast- und Fahrzeugbewegungen treffen können sollten. Dafür müssen sie Echtzeit-Daten erheben.
Hier kommt Netzwerktechnologie eine entscheidende Bedeutung zu – in der Regel in Form von IP-Videolösungen in Kombination mit KI-basierten Analysefunktionen direkt auf den Kameras, die dank Machine- und Deep Learning-Algorithmen eine höhere Zuverlässigkeit bei der Messung der Fahrzeugauslastung bieten.
UTM: Wie gehen Sie mit dem Thema Cybersecurity um und wie schützen Sie Ihre Produkte gegen Cyberattacken?
Maximilian Galland: Cybersicherheit nimmt bei Axis einen hohen Stellenwert ein. Unser Netzwerkprodukte bieten stets eine Vielzahl integrierter Cybersicherheitsfunktionen, um Cyberangriffen entgegenzuwirken und unbefugten Zugriff auf Systeme zu verhindern. Hier ein paar Beispiele: Axis setzt bei seinen Produkten standardmäßig auf signierte Firmware mit RSA-Verschlüsselung. Die Software Secure Boot sorgt dafür, dass ein Gerät nur mit autorisierter Axis Firmware in Betrieb genommen werden kann. Seit fünf Jahren bietet Axis zudem ein langfristiges Support-Programm für die Axis-Firmware (AXIS OS) an. Der Long Term Support (LTS) liefert wichtige Fehlerbehebungen und Schwachstellen-Patches, ohne dabei die Kamerafunktion zu beeinträchtigen. Indem die Funktionalität der Kamera erhalten bleibt und Firmware-Updates nur zur Behebung von Fehlern und Schwachstellen entwickelt werden, bleiben die Produkte stabil und sicher, und Unternehmen müssen keine eigenen Tests durchführen, um die Systemintegrität zu überprüfen. Manipulationen wird auf diese Weise kontinuierlich vorgebeugt.
Doch was, wenn ein Angreifer nicht die Firmware manipuliert, sondern ein ganzes Gerät ausgetauscht hat und damit eine Verbindung zu einem gesicherten Netzwerk herstellt? Mit der Sicherheitskomponente Axis Edge Vault wird sichergestellt, dass neue Geräte im Installationsprozess sicher identifiziert werden. Bei Axis Edge Vault handelt es sich um ein sicheres Modul, in dem neben der Axis Geräte-ID auch eine Sammlung von Zertifikaten zur Überprüfung der Geräteidentifikation installiert ist. So erhalten nur „echte“, autorisierte Axis-Geräte Zugang zum Netzwerk.
Mithilfe von Videosignaturen können Aufnahmen darüber hinaus bis zu der Kamera zurückverfolgt werden, mit der aufgezeichnet wurde. Verfälschungen des Videomaterials, nach der Aufzeichnung, können so ebenfalls ausgeschlossen werden.
UTM: An welchen Innovationsthemen arbeitet Ihr Unternehmen derzeit?
Maximilian Galland: In der Verkehrsbranche beschäftigen wir uns aktuell insbesondere mit dem Thema Smart Mobility. Sowohl im Individualverkehr als auch im öffentlichen Nahverkehr wird es in Zukunft essenziell sein, Mobilität möglichst smart zu gestalten. Es gilt, Informationen intelligent zu generieren, zu vernetzen und zu teilen. Netzwerk-Kameras dienen dabei als intelligente Sensoren und sind so bereits heute ein wichtiger, vielleicht sogar einer der wichtigsten Datenlieferanten.
Mithilfe von Kameras sowie integrierten Analysefunktionen kann beispielsweise der Verkehr betrachtet und ausgewertet werden. Die in unseren Kameras integrierte Analysesoftware liefert Daten über das Verkehrsaufkommen, sodass im Falle eines sich anbahnenden Staus sofort Maßnahmen ergriffen werden können, beispielsweise Mitteilungen an Staumeldedienste für Umleitungen. Netzwerk-Kameras sind außerdem ein wichtiger Bestandteil moderner Parkleitsysteme, die freie Parkplätze erkennen und Autofahrerinnen und -fahrer bei der Parkplatzsuche unterstützen.
Auch im ÖPNV spielt diese smarte Vernetzung eine zentrale Rolle. Mobilität wird in Zukunft nicht mehr bedeuten, dass sich die Menschen nach den Transportmitteln und Fahrplänen richten. Es wird umgekehrt sein. Stichwort: Mobility-as-a-Service. Um dieses Konzept zu ermöglichen, müssen Netzwerk-Kameras Antworten auf Fragen liefern wie: Wie viele Fahrgäste nutzen die Transportmittel? Wann ist das Fahrgastaufkommen besonders hoch? Wie viele ÖPNV-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sind im Einsatz? Vernetzte Kamera- und Analyselösungen erfassen diese Daten in Echtzeit. Fahrpläne können daraufhin geändert, Kapazitäten angepasst und der Service verbessert werden.
UTM: Wie wirkt sich die aktuelle geopolitische und wirtschaftliche Situation in Bezug auf Inflation, Preisentwicklungen und Marktvolumen auf Ihr Unternehmen und Ihre Produkte aus?
Maximilian Galland: Trotz der aktuell schwierigen, wirtschaftlichen Lage haben wir seit März 2022 in der EMEA-Region mehr Produkte ausgeliefert als je zuvor. Durch die eingeschränkte Verfügbarkeit von elektronischen Komponenten bei gleichzeitig großer Nachfrage nach Axis-Produkten ist die Situation weiterhin herausfordernd. Unser Betriebsteam arbeitet aber täglich daran, die benötigten Komponenten zu sichern und die Vorlaufzeiten damit auf ein normales Maß zu reduzieren. Darüber hinaus haben wir eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen ergriffen, um die Versorgung dauerhaft sicherzustellen: Wir setzen unter anderem auf mehrfache Beschaffung, stabile Partnerschaften, Neugestaltung bestimmter Produkte und erhöhte Produktionskapazitäten.
UTM: In der Branche ist oft die Rede vom Fachkräftemangel. Wie reagieren Sie darauf und wie attraktiv ist Axis Communications für Berufseinsteiger und erfahrene Spezialisten?
Maximilian Galland: Als Technologieführer im Bereich Netzwerk-Video ist Axis Communications in der Sicherheitsbranche tief verankert. Das hilft uns auch bei der Gewinnung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So konnten wir unsere Mitarbeiterzahl in den letzten Jahren von 3.000 auf 4.000 Mitarbeitende global steigern. Fachkräfte in der Sicherheitsbranche sind sehr gut vernetzt. Jeder kennt jeden. Bei der Suche nach neuem Personal für unser Unternehmen setzen wir daher insbesondere auf Empfehlungen von unseren Kolleginnen und Kollegen. Sie tragen unsere guten Arbeitsbedingungen sowie unsere innovative und nachhaltige Unternehmenskultur nach außen und agieren als Botschafter dafür, dass Axis ein attraktiver Arbeitgeber ist.
13.03.2023