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Solingen: Zwei neue Linien mit Batterie-Oberleitungs-Bussen und der offizielle Projektabschluss

Eröffnung der neuen BOB-Linien 691 und 694 am 7. Mai 2024 vor dem Hauptbahnhof: Wagen 216 vom Januar 2024 | © Christian Marquordt

Solingen stellte zwei weitere Linien auf der Betrieb mit Batterie-Oberleitungsbussen (BOB) um, die Prominenz feierte den offiziellen Abschluss des laufenden Förderprojekts zur Beschaffung der Fahrzeuge.

Trolleybus seit 1952

Im Jahr 1952 eröffnete Solingen seinen Obusbetrieb, der sehr schnell zu einem der größten deutschen Trolleybusbetriebe werden sollte – zeitweilig standen 80 Wagen im Einsatz – und heute hierzulande einer der drei letzten ist, die (noch) auf dieses Verkehrsmittel setzen (Solingen, Esslingen und Eberswalde).

Der Obus in Solingen wurde aus der Not heraus geboren. Während des Zweiten Weltkriegs war die Straßenbahn-Infrastruktur in der Stadt weitgehend zerstört worden, ein Wiederaufbau wäre nicht nur sehr teuer geworden, sondern auch schwierig. Dabei spielt die geographische Lage der Stadt am Rand des Bergischen Landes zum Rheintal eine erhebliche Rolle: Schienenbahnen tun sich bei bergauf / bergab wesentlich schwerer als Busse. Und für Solingen gilt allemal: so richtig schön eben ist hier noch nicht erfunden worden. Als Beispiel sei Linie 684 in Richtung „Widdert Schule“ genannt: hier gibt es einen Abschnitt mit 10 % Steigung bzw. Gefälle.

Der Uerdingen ÜH III s

Der Obus bewährte sich in Solingen sehr gut bis prächtig. Bis 1959 wurden 62 Wagen der ersten Generation in Dienst gestellt, alle vom legendären Typ „Uerdingen ÜH III s“ mit Komponenten von Henschel. Später kam als Wagen 63 noch ein Gebrauchtkauf von den Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen, nämlich deren Wagen 5 vom selben Typ dazu. Vier weitere ÜH III s kamen vom Elektrizitätswerk Minden – Ravensberg.

Solingens erste Obusgeneration wurde schließlich noch komplettiert mit je sechs Solo-Trolleybussen vom Typ „Henschel HS 160 OSL“ und Gelenkwagen vom Typ „Henschel HS 160 OSL-G“.

Am 30. Dezember 1975 zeigt sich Wagen 59, ein Uerdingen ÜH III s von 1959, auf dem Betriebshof Weidenstraße. Erstzulassung 18. Dezember 1959 – da hatte der Verfasser Geburtstag | © Christian Marquordt
Wagen 28, ein Krupp/Ludewig TS 2 von 1971, am 18. Oktober 1985 in der Schleife Krahenhöhe | © Christian Marquordt

Ein Solinger „Eigengewächs“

Ab 1968 ging die zweite Obusgeneration in Betrieb. Es kamen bis 1974 insgesamt 80 sehr ungewöhnliche Trolleybusse. Die 12 Meter langen, dreiachsigen Solowagen orientierten sich sehr stark an den italienischen „Filobussen“ (wörtlich übersetzt „Drahtbus“) der 50er und frühen 60er Jahre, konstruiert hatte sie nicht zuletzt der damalige Chef der Stadtwerke Solingen, Dipl-Ing. Helmut Meis. Die Aufbauten lieferte die bekannte Karosseriefabrik Ludewig in Essen-Altenessen, und das Fahrwerk entstand mit Komponenten von Krupp. Auch das ist spannend: Sieben hatte Mercedes die Nutzfahrzeugsparte von Krupp übernommen und den Bau von Lastwagen und Bussen von Krupp beendet – aber für Solingens neue Trolleybusse lieferte man noch Fahrgrstell-Komponenten unter dem Namen Krupp. Das erklärt, warum Solingens zweite Obusgeneration als „Krupp/Ludewig TS“ (TS  = Trolleybus Solingen) bezeichnet wird.

MAN aus Wien-Liesing

Die Wagen der dritten Generation kamen von MAN. Es waren 21 Gelenkwagen vom Typ „SG 200 HO“ (genau genommen sogar 22, denn der ausgebrannte Wagen 7 wurde durch einen zwei Jahre jüngeren Nachbau unter derselben Wagennummer ersetzt) und 46 dreiachsige Solowagen vom Typ SL 172 HO. Auch sie waren etwas ungewöhnlich: nicht nur, dass auch die Solowagen Dreiachser waren. Denn zur Verbesserung der Traktion schwor Solingen auf den Antrieb auf zwei Achsen. Aber ungewöhnlich war vor allem auch ihr Geburtsort. Obwohl das Kraftfahrt-Bundesamt sie als MAN führte und sie auch Fahrzeug-Ident-Nummern (Fahrgestellnummern) von MAN hatten, wurden sie in Wien-Liesing bei MAN-Tochter Gräf & Stift („MAN Special Bus“) gebaut.

MAN SL 172 HO Wagen 36 am 17. August 2009 auf der berühmten Obus-Drehscheibe in Burg | © Christian Marquordt
Da war er noch ganz neu: Berkhof Wagen 176 von 2001 am 12. Juni 2001 auf dem Betriebshof| © Christian Marquordt

Die vierte Genration: niederländisch / belgisch / schweizerisch

Recht bunt setzt sich Solingens vierte Obus-Generation zusammen. Sie besteht aus 50 Gelenkwagen, beschafft zwischen 2000 und 2009, von drei verschiedenen Herstellern. Die Wagen 171 bis 185 kamen vom niederländischen Hersteller Berkhof (heute aufgegangen in VDL) und waren vom Typ „Premier AT 18“. Die Berkhof sind heute ausnahmslos alle ausgemustert, wiewohl man dem Verfasser 2022 beim Jubiläum „70 Jahre Trolleybus in Solingen“ noch sagte: „Die Berkhof sind von unseren Ältesten die besten.“

Van Hool aus dem belgischen Lier lieferte 20 Wagen seines Typs „AG 300 T“, von denen heute noch 14 täglich im Einsatz stehen (Serie 251 bis 270). Und 2009 lieferte Hess aus Bellach in der Schweiz noch einmal 15 Gelenktrolleybusse seines Typs „BGT-N 2 C“ (gerne auch als „Swisstrolley“ bezeichnet), Wagen 951 bis 965. Die Hess wurden für zwei Verlängerungen von Linie 683 im Stadtteil Burg und in Wuppertal-Vohwinkel beschafft. Beide Verlängerungen wurden nicht mit Fahrdraht überspannt – in Burg nicht, um das historische Ortsbild von Burg nicht zu stören, und in Vohwinkel nicht, weil hier eine Bahnunterführung, die die 683 unterfahren muss, nicht die erforderliche Höhe bietet. So bekamen die Hess-Gelenkwagen also Generator-Aggregate des Trierer Herstellers Kirsch, deren wesentliches Element ein Dieselmotor von FPT (Fiat Power Train) ist.

Auf dem Weg zum „BOB“

Schon seit geraumer Zeit machte man sich in Solingen Gedanken, wie man den elektrischen Verkehr in der Stadt ausweiten könne. Zwar war Linie 684 noch von der Stadtmitte zur Hasselstraße verlängert und waren zwei Dieselbuslinien als Obuslinien 685 und 686 elektrifiziert worden, aber der Aufwand, für jede neue elektrische Linie Fahrleitung verspannen zu müssen, war eben doch sehr groß.

Unterdessen betrat der batterie-elektrische Bus die Szene. Und ging, wenn auch mit einstweilen noch eher begrenzter Reichweite, in der einen oder anderen Stadt durchaus mit Erfolg in den Einsatz. Bonn zum Beispiel testete schon 2012 einen chinesischen BYD und 2013 einen niederländischen Ebusco. Beide taten brav, was sie sollten, mussten aber relativ oft „an die Steckdose“.

Da hatte jemand eine clevere Idee: Könnte man einen Batteriebus nicht mit Trolleystangen ausrüsten, ihn da, wo er unter Obusfahrleitung fährt, mit dem Strom aus der Fahrleitung nicht nur fahren, sondern auch seine Batterien nachladen lassen, und ihn auf Linienabschnitten ohne Fahrleitung mit dem Strom aus den Batterien fahren lassen? Das war die Geburtsstunde des „In-Motion-Chargers“ (IMC), in Solingen kurz und prägnant BOB (Batterie-Oberleitungs-Bus) genannt.

2018 gingen mit den Wagen 861 bis 864 die ersten vier Batterie-Oberleitungs-Busse in Solingen in Betrieb.  Sie sind vom Typ „Solaris Trollino 18,75“, in Solingen gerne mit dem Typzusatz „BOB“ bezeichnet, während Solaris wohl eher von „Solaris Trollino 18,75 IMC“ spricht.

Einer der ersten vier „BOB“ noch Im Trollino III Design von Solaris | © Juanjo Olaizola
Solaris Trollino 18 „BOB“ auf der Linie 695 | © Christian Marquordt

Diese neuen Wagen gingen auf der bisherigen Dieselbuslinie 695 (Meigen – Stadtmitte – Abteiweg) in Betrieb. Der Linienweg ist teilweise identisch mit dem von Obuslinie 683. Ist der Wagen hier unterwegs, „drahtet“ er „an“, fährt und lädt seine Batterien nach aus der Fahrleitung, den restlichen Linienweg bewältigt er aus seinen Batterien. Wobei nur 30 % des Linienwegs Fahrleitung haben müssen, die restlichen 70 % schafft der Bus aus seinen Batterien. SWS-Betriebsleiter Laise: „Dadurch, dass die Wagen immer wieder aus der Fahrleitung nachgeladen werden, ist ihre Reichweite anders als beim reinen Batteriebus praktisch unbegrenzt.“

Unterdessen ist der Wagenpark an BOB in Solingen auf insgesamt 36 Busse angewachsen, 20 Gelenkwagen (861 bis 880) stehen 16 Solowagen (201 bis 216) gegenüber. Alle 36 sind von den Solaris-Typen „Trollino 18.75 BOB“ und „Trollino 12 BOB“. Laise: „Die Solowagen ersetzen Dieselbusse, die Gelenkwagen ältere reine Trolleybusse“. Die letzten bestellten Wagen stehen vor der Ablieferung, mit einigen Monaten Verzögerung.

Seit dem 7. Mai 2024 sind nun auch die beiden Linien 691 und 694 auf Betrieb mit BOB umgestellt worden (zuvor hatte es schon Testeinsätze mit den BOB auf diesen Linien gegeben). Linie 691 fährt vom Hauptbahnhof (Bahnhof Ohligs) zum Lukaskrankenhaus, Linie 694 vom Hauptbahnhof in die Nachbarstadt Leichlingen. Beide Linien waren bislang reine Dieselbuslinien, Fahrleitung gab es da nicht. Und man hat da auch jetzt keine neue Fahrleitung verspannt. Wo also bekommen die BOB ihren Strom her? Ganz einfach: man hat die Linien 691 und 694 im Umlauf mit den Linien 685 und 686 verknüpft, und die waren ja auch bislang schon reine Trolleybuslinien, hier können die BOB also prächtig nachladen.

Das Band in den blau-gelben Stadtfarben ist durchschnitten, von links nach rechts: SWS-Betriebsleiter Matthias Laise, Bundesverkehrsminister Volker Wissing, Oberbürgermeister Kurzbach, SWS-Geschäftsführer Leif Reitis und NRW-Verkehrsminister Krischer | © Christian Marquordt

Einsparungen

Allein die Umstellung von Linie 695 auf BOB im Jahr 2018 führte zu einer Einsparung von 147.000 Litern Diesel und 334 Tonnen CO2 pro Jahr.

Zukunftspläne

Solingen will 2030 (das sind nur noch fünfeinhalb Jahre) keine Dieselbusse mehr haben. Dann soll es nur noch „BOB“ geben. Das bedeutet aber nicht nur, dass alle Dieselbusse bis dahin gegen BOB ausgetauscht sein müssen, das bedeutet auch, dass alle reinen Trolleybusse bis dahin durch „BOB“ ersetzt worden sein müssen. Also: Adieu, Berkhof (die sind ohnehin schon nicht mehr im Bestand, wiewohl sie als sehr solide galten), aber auch: adieu Van Hool und adieu Hess.

Es gab Zeiten, da kommunizierten die SWS, aufgrund der großen Reichweite der BOB ohne Fahrleitung könne man sogar darüber nachdenken, Obus-Fahrleitung in der Stadt abzubauen. Davon will der neue Betriebsleiter der SWS, Matthias Laise, nichts mehr wissen, die SWS prüfe, auf neu umzustellenden Linien von Diesel auf BOB Fahrleitungsinseln aufzubauen, damit die BOB dort nachgeladen werden können.

Solingen? Es bleibt spannend!

16.05.2024