Nach 48 Einsatzjahren ist nun das Ende erreicht: Heute, am 5. Mai 2024, fahren auf der einzigen Meterspurlinie der S-Bahn Madrid („Cercanías“), der Linie C9 von Cercedilla nach Cotos, zum letzten Mal die 1976 und 1982 gebauten Elektrozüge schweizerischer Bauart. Die Strecke wird für ein Jahr im Schienenersatzverkehr durch Busse bedient und in dieser Zeit umfassend modernisiert.
Modernisierung unumgänglich
Das ist auch dringend nötig: Denn nicht nur die Züge sind erneuerungsbedürftig, auch die Streckenausrüstung und beinahe die gesamte Infrastruktur lassen nach langen Jahren der Vernachlässigung erhebliche Modernisierungsrückstände erkennen. Das Desinteresse der Staatsbahn RENFE am Betrieb der 18 km langen Bahnstrecke war lange unübersehbar, insbesondere im Vergleich zu anderen Ausflugslinien etwa in Katalonien oder im Baskenland. Über Jahre war die Infrastruktur immer weiter zurückgebaut worden, nur noch auf der Mittelstation in Puerto de Navacerrada besteht überhaupt eine Ausweichmöglichkeit, und hier findet sich auch die einzige Unterwegsstation, nachdem alle anderen Haltepunkte aufgegeben worden waren.
Obwohl die Bahn vom Ausflugsverkehr lebt und die gerade an Wochenenden stark überlasteten, wenigen Straßenverbindungen nach Alternativen gerade zu „schreien“, kommt nur ein einziger Zug zum Einsatz, der zwischen 9.35 Uhr und 19.25 Uhr ganze fünf Abfahrten im Zwei-Stunden-Rythmus anbietet. Die Fahrpreise verdoppelte RENFE vor einigen Jahren, und benutzt werden können die Züge ohnehin nur mit Vorausbuchung auf digitalem Wege, obwohl sie keineswegs immer voll belegt sind. Auch so kann man potentielle Fahrgäste sicherlich problemlos abschrecken. Dazu passt zweifellos auch, dass RENFE den Bahnbetrieb im Zuge der Corona-Pandemie seit März 2020 gleich für mehr als 2 ½ Jahre komplett einstellte und erst auf öffentlichen Druck hin wieder aufnahm.
Vier der zwischen 1976 und 1982 beschafften insgesamt je sechs Trieb- und Steuerwagen waren bis jetzt noch einsatzbereit, ihr weiteres Schicksal etwa als Museumsstück ist derzeit noch offen. Sie entstanden bei MTM in Spanien unter Verwendung schweizerischer Bauteile, nach dem Vorbild ganz ähnlicher Züge im Raum Bern, Lausanne und dem Oberaargau. Zusammengekuppelt kamen sie als Zwei- oder (bis 2019) Vier-Wagen-Züge zum Einsatz, stets mit dem Steuerwagen am talseitigen Ende.
Neues Rollmaterial
Sechs neue, zweiteilige Züge mit niederflurigem Einstieg bestellte RENFE beim baskischen Hersteller CAF, zusammen mit 30 weiteren Einheiten für andere Schmalspurbahnen im Land. Die Wagen für Cercedilla-Cotos haben eine abweichende Ausgestattung, müssen sie doch für die steilen und kurvenreichen Streckenabschnitte der Linie C9 im Bergland nördlich von Madrid besonders ausgerüstet sein. Die ersten der Wagen sind bereits im vergangenen Spätsommer ausgeliefert worden und werden aktuell auf einem Testgleis in der Region Navarra erprobt. Offiziell vorgestellt wurden sie dem Publikum bislang nicht.
Vor ihrem Einsatz in Cercedilla muss ohnehin die Strecke komplett durchgearbeitet werden und es werden die Schwellen auf größeren Teilen ersetzt, die Kreuzungspunkte mit dem Straßenverkehr entschärft, die Signaltechnik erneuert und die Stromversorgung stabilisiert. Auch die Zugangsbereiche sollen umgestaltet werden.
Es besteht also Hoffnung, dass im nächsten Jahr ein rundum modernisiertes elektrisches Verkehrsmittel den Besuchern der Region zur Verfügung steht. Wenn dann noch der Fahrplan verdichtet wird und man die Züge vielleicht sogar ganz ohne lästige Vorausbuchung leicht und spontan benutzen kann, wie es bei anderen Lokallinien ja auch der Fall ist, besteht die Chance, dass die Linie C9 als ganz neues, attraktives Angebot und als umweltfreundliche Alternative für Ausflügler und Einheimische wahrgenommen wird.
Die Strecke und ihre Geschichte
Die Schmalspurbahn hat ihren Ausgangspunkt in Cercedilla, das auf einer Höhe von 1.170 Metern liegt. Hier besteht Anschluss am gleichen Bahnsteig an die breitspurige Bahnstrecke von Madrid nach Segovia, und hier enden auch die S-Bahn-Züge der Linie C8 aus der Hauptstadt. Cercedilla war schon früh ein beliebter Ort für „Sommerfrischler“, wie man seinerzeit die Ausflügler aus der Großstadt nannte, die am Wochenende im kühleren Bergklima Entspannung suchten.
Direkt nach dem Umsteigebahnhof steigt die Schmalspurbahn mit einer maximalen Steigung von knapp 7‰ an und durchquert die höhergelegenen Teile der Gemeinde Cercedilla. Die Strecke verläuft dann einige Kilometer entlang einer wenig befahrenen schmalen Landstraße, bevor sie durch einsames Gelände am Berghang zur Passhöhe des Puerto de Navacerrada führt. Bei Kilometer 12,1, auf einer Höhe von 1.760 Metern, befindet sich heute die einzige Unterwegs- und Kreuzungsstation – Puerto de Navacerrada. Nach einem kurzen Tunnel auf die andere, nördliche Seite des Höhenzugs und weiteren etwa 7 km kurvenreicher Fahrt endet die Strecke in Cotos, auf einer Höhe von 1.830 Metern.
Der erste Abschnitt von Cercedilla nach Puerto de Navacerrada wurde am 12.7.1923 eröffnet. Die Züge wurden von Anfang an elektrisch betrieben, nachdem das Projekt einer Zahnradbahn verworfen wurde und man die damals noch zeitgemäße Dampftraktion für eine Reibungsbahn mit solch starken Steigungen und engen Kurvenradien als nicht leistungsfähig genug erachtete. Schon zur Eröffnung kamen vierachsige Trieb- und Beiwagen aus der Schweiz zum Einsatz, gebaut SMS und BBC. Der spanische Bürgerkrieg brachte die private Betreibergesellschaft Ferrocarril de Guadarrama in wirtschaftliche Schwierigkeiten, und so übernahm die Staatsbahn RENFE 1941 die Strecke.
Von Anfang an war der Ausbau der Bahnstrecke auf der Hochebene geplant, aber erst Anfang der sechziger Jahre wurden die Pläne konkretisiert – zu einer Zeit, als die meisten Schmalspurbahnen anderswo und auch in Spanien dem Straßenverkehr zum Opfer fielen! Seit 29.10.1964 kan man weiter bis nach Cotos fahren, doch alle weiteren Ausbauvorhaben blieben danach in den Schubladen.
18,2 km ist die Bahnlinie insgesamt lang, die Fahrzeit beträgt gut 40 Minuten pro Richtung.