Große Pläne für ihren Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) hat Braunschweig, Niedersachsens zweitgrößte Stadt. So soll nicht nur die hier als Stadtbahn bezeichnete Straßenbahn ausgebaut werden, auch der Bus soll komplett auf elektrischen Betrieb umgestellt werden.
Oberbürgermeister Ulrich Markurth sagt: „Unser Ziel ist es, immer mehr Menschen zum Umsteigen in Stadtbahnen und Busse zu bewegen. Wir wollen, dass Braunschweig Verkehrsreferenzregion wird. Stadtbahnausbau und elektrisch angetriebene Busflotte sind entscheidende Bausteine dafür.“
Der Betriebszweig Bus
Schon im März 2014 ging im Rahmen des Projekts „Emil“ („Elektromobilität mittels induktiver Ladung“) ein erster Elektrobus bei der (damals noch) BSVAG in Betrieb. Es handelte sich um einen Solowagen vom Typ Solaris Urbino 12 electric (Wagen 1401), der fortan seinen Dienst auf der Ringlinie 419 aufnahm. (Vielleicht nicht ganz so glücklich, denn auf Linie 419 laufen eigentlich Gelenkwagen.)
Die Besonderheit beim bisherigen Braunschweiger Elektrobus war – und ist, dass hier auf der Linie nachgeladen wird. Und zwar nicht über Pantograph (weder direkt noch invertiert), sondern nach dem Bombardier–System „Primove“ induktiv: der Bus fährt über eine in der Fahrbahn eingelassene Ladeplatte, ein „Ladepad“ senkt sich vom Bus zur Ladeplatte ab, und ohne direkten Kontakt nimmt der Bus Strom für seine Batterien auf. Braunschweig war damit einer von drei Verkehrsbetrieben, die sich für das Nachladen nach dem System Bombardier Primove entschieden haben: Berlin, Mannheim und eben Braunschweig.
Der Verfasser war im November 2013 von der BSVAG zur Abnahme von Wagen 1401 ins Werk im polnischen Bolechowo eingeladen. Wir fuhren mit dem Wagen durch die Umgebung Bolechowos, und das Auto funktionierte prächtig. Im März 2014 nahm es dann seinen Liniendienst in Braunschweig auf.
Im September 2014 folgten dann noch vier Gelenkwagen vom Typ Solaris Urbino 18 electric (Wagen 1412 bis 1415), die fortan die Hauptlast auf den (gegenläufigen) Ringlinien 419 und 429 übernahmen.
Auf der Elektrobuskonferenz des VDV Anfang Februar 2020 in Berlin traf der Verfasser den Projektleiter Elektrobus bei der (inzwischen) Braunschweiger Verkehrs GmbH (BSVG). Und weil unterdessen sowohl Berlin als auch Mannheim ihre Elektrobus-Einsätze mit Bombardier Primove beendet hatten, fragte er ihn, wie es denn in Braunschweig mit Bombardier Primove stehe. „Kein Problem,“ war die Antwort, „das funktioniert ganz wunderbar.“ Doch jetzt kündigt die BSVG für ihren Busbereich einen „technologischen“ Umbruch an. Nämlich „die Umstellung Schritt für Schritt“ auf Elektrobusse.
Die Elektrobus-Strategie
Für die Umstellung auf Elektrobusse ließen sich Stadt Braunschweig und BSVG vom „Institut für Hochspannungstechnik und Elektrische Energieanlagen“ der Technischen Universität Braunschweig beraten. Hier wurde untersucht, welche Linienbündel sinnvoll gemeinsam auf Elektrobus-Einsatz umgestellt werden können. Und die VCBD GmbH in Dresden empfahl, Elektrobusse zu beschaffen, die sowohl über Nacht auf dem Betriebshof nachgeladen werden als auch tagsüber während des Einsatzes auf der Linie. Welches System der Nachladung auf der Linie man in Braunschweig wählen wird, ist noch nicht entschieden.
Das Institut der TU Braunschweig ermittelte den ökologischen Nutzen für die Stadt Braunschweig und die Mehrkosten für Anschaffung und Betrieb der Elektrobusse. Die Mehrkosten betragen danach 700.000 bis 1.000.000 Euro pro Jahr. Für die Umstellung der gesamten Busflotte werden 57 Solobusse und 86 Gelenkwagen benötigt (insgesamt 143 Busse).
BSVG-Geschäftsführer Jörg Reincke sagt: „Wir werden jetzt mit den Vorbereitungen beginnen. Die Umstellung unseres gesamten Bussystems schaffen wir nur mit Fördermitteln. Wir stellen uns jetzt so auf, dass wir sofort die notwendigen Anträge stellen können.“ Wenn Fördermittel fließen, können erste konkrete Planungen ab dem Jahr 2021 stattfinden, erste neue Elektrobusse können dann ab 2023 in Dienst gestellt werden.
Die „Clean-Vehicle-Richtlinie“ der EU schreibt vor, dass ab 2021 und bis 2025 45 % aller neubeschafften Busse einen alternativen Antrieb haben müssen. Von 2026 bis 2030 müssen es sogar schon 65 % sein. Stadtbaurat Leuer: „Dadurch wird nicht nur etwas zur Verbesserung der Luft in der Stadt getan, sondern die Bürger werden auch von deutlich geringeren Geräuschemissionen profitieren.“
Das alles bedeutet natürlich, dass „Primove“ auch in Braunschweig keine große Zukunft mehr hat. Aber anders als andernorts schon spekuliert wurde, werden die fünf Braunschweiger „Emil“ nicht etwa auf den Schrott geworfen. „Sie funktionieren ja einwandfrei. Sie bleiben wenigstens so lange in Betrieb, bis sie das endgültige Ende ihrer Wirtschaftlichkeit erreicht haben oder wenigstens wirtschaftlich vollkommen abgeschrieben sind.“
Verbesserungen bei einzelnen Buslinien
Konkrete Verbesserungen sind im Nordwesten der Stadt für die Orte und Stadtteile Groß Schwülper, Harxbüttel und Thune vorgesehen. So soll Linie 480 nach Groß Schwülper in Zukunft von Montag bis Freitag zwischen 5 und 20 Uhr im Stundentakt verkehren, samstags und sonntags im Zweistundentakt. Dazu kommt Linie 111 der VLG Gifhorn, die über Hansestraße und Gifhorner Straße zum Stadion fährt und hier einen Anschluss an die Straßenbahn zur Stadtmitte herstellt. Schließlich bietet Linie 434 über Lagesbüttel, Harxbüttel und Thune einen Anschluss an die Stadtbahnlinie 1 im Stadtteil Wenden. Damit wird zwischen Groß Schwülper und der Braunschweiger City de facto ein Halbstundentakt bestehen.
Zur Stadtbahn
Womit wir uns den Plänen der BSVG zum Ausbau der Straßenbahn (Stadtbahn) zuwenden wollen. Und dabei ist vorab festzustellen, dass der Rahmenantrag für den Stadtbahnausbau, Grundlage für Fördermittel, in Kürze beim Land Niedersachsen eingereicht werden wird.
Rahmenantrag Stadtbahnausbau
Im Februar 2017 hat der Stadtrat den Grundsatzbeschluss zum Ausbau der Stadtbahn gefasst. Als dessen Folge wurde dann ein „Rahmenantrag“ erarbeitet, dessen Inhalt das Bahn-Liniennetz ist, das ab dem Jahr 2030 gelten soll. Außerdem enthält er eine Übersicht der erwarteten Kosten und der prognostizierten Fördermittel. Solch ein Rahmenantrag ist vergleichbar mit einem Bewerbungsschreiben. Die Stadt Braunschweig und ihr Verkehrsbetrieb, die BSVG, zeigen, wie sie den ÖPNV in der Stadt noch attraktiver machen wollen.
Eventuelle Planungen für eine Bahn Richtung Lehndorf, Kanzlerfeld und eventuell auch Lamme sind bewusst noch offengehalten. Und die BSVG weist darauf hin, dass so ein Rahmenantrag den Projektpartner nicht verpflichtet, das Gesamtprojekt im dargestellten Umfang auch tatsächlich zu realisieren.
Laut Gemeinde-Verkehrs-Finanzierungsgesetz (GVFG) werden Verkehrsprojekte nur dann gefördert, wenn sich die förderfähigen Kosten auf mindestens 30 Mio. Euro belaufen. So ein Rahmenantrag kann allerdings bei einzelnen Projekten trotzdem helfen, wenn diese 30 Mio. nicht erreicht werden sollten. Das betrifft zum Beispiel die angedachte Verlängerung der Straßenbahnlinie 3 durch den Stadtteil Volkmarode und die „westliche Innenstadtstrecke“, die zwischen Radeklint und Theodor-Heuss-Platz über die Güldenstraße einen geschlossenen Straßenbahnring um die City schaffen würde. Der Reiz dieses Ringschlusses läge darin, dass man für den am häufigsten befahrenen Streckenabschnitt im Braunschweiger Straßenbahnnetz zwischen Hagenmarkt und dem „Schloss“ genannten Einkaufszentrum eine Umleitungsstrecke hätte. Wenn der Bund den Braunschweiger Ideen zustimmt, kommt das Projekt in die GVFG-Kategorie „Vorhaben vorläufig aufgenommen“.
Zielnetz Stadtbahn 2030
Erreicht werden soll der größtmögliche Nutzen für die Fahrgäste. Oberbürgermeister Markurth sagt es so: „Je seltener ein Fahrgast umsteigen muss, desto größer ist der Nutzen.“
Konkret sind vorgesehen:
- Es bleibt bei einer direkten Verbindung vom Heidberg in die Innenstadt über die Wolfenbütteler Straße. Dazu wird Linie 10 alle 30 Minuten zur Endhaltestelle Anklamstraße im Stadtteil Heidberg geführt
- Eine neue Linie 2 wird über die Salzdahlumer Straße Richtung Heidberg geführt
- Die Nordstadt wird neu mit zwei Straßenbahnlinien angebunden, die sich zusammen zu einem 7,5 Minuten-Takt (7/8-Minuten-Takt) ergänzen
- Das Institutsviertel der Technischen Universität, das in den letzten Jahrzehnten im Umfeld des ehemaligen Nordbahnhofs (frühere Braunschweigische Landes Eisenbahn) entstanden ist, wird mit der „Campusbahn“ angebunden. Und die bekommt mit nur 450 Metern neuen Gleises eine Verbindung mit der bestehenden Strecke an der Siegfriedstraße.
- Für die „Westliche Innenstadtstrecke“ und eine Bahnlinie Richtung Kanzlerfeld“ gibt es eine Voruntersuchung. Der Stadtteil Lamme soll ab 2022 in diese Untersuchung mit einbezogen werden. Mögliche Streckenführungen im Bereich der westlichen Innenstadt und des Kanzlerfelds sind bislang noch bewusst sehr grob gehalten. Stadtbaurat Leuer: „Wo die Stadtbahn am Ende fahren wird, ist noch völlig offen und wird sich erst in den folgenden Untersuchungen zeigen.“
- Bleibt noch die Frage, wie man den Stadtteil Querum an das Straßenbahnnetz anbinden könnte. Lange gab es die Überlegung, eine Strecke nach Querum im Bereich der Haltestelle „Gliesmaroder Turm“ aus der Linie 3 nach Volkmarode auszufädeln und über die Querumer Straße zu ihrer Endstation zu führen. Aber heute heißt es klar, dass eine Anbindung über Gliesmarode nicht so realisiert werden könnte, dass die Maßnahme förderfähig wäre. Deshalb heißt es heute: Vorteilhaft wäre die Anbindung Querums über die „Campusbahn“. Die müsste dazu die Eisenbahn nach Gifhorn östlich des TU Campus queren.
Braunschweig hat sich eine Menge für seinen ÖPNV vorgenommen. Es bleibt spannend, zu beobachten, was davon wie bald realisiert werden kann. Die vor Jahren angedachte Umstellung des Stadtbahnnetztes auf Regelspur ist übrigens längst „vom Tisch“, es bleibt bei der Spurweite 1100 mm. Bei den Elektrobussen wenigstens wird wohl schnell etwas passieren: die „Clean-Vehicle-Richtlinie“ der EU lässt ja auch kaum eine andere Wahl.