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Der Obus in Greiz

Ein weiterer Mosaikstein wird den Beschreibungen von elektrischen Verkehrsmitteln in der ehemaligen DDR mit dieser Veröffentlichung hinzugefügt. Dieses Mal geht es um den Obusbetrieb, welcher von 1945 bis 1969 in der thüringischen Kleinstadt Greiz bestand. Es war das erste nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone eröffnete derartige System, mit maximal neun Obussen samt Anhängern und im Endzustand knapp 10 km Streckenlänge war er recht klein und bereits 1969 verschwand das System als erstes dieser Anlagen in der DDR wieder von der Bildfläche. In der Literatur war er zumindest nicht unerwähnt, so finden sich Informationen in den Gesamtübersichten von Stock und Kenning, aber auch im Atlas des gleichen Verlages, welche eigentlich ein recht vollständiges Bild ergeben.

Es ist daher erstaunlich und bewundernswert zugleich, dass es den Autoren bei auf den ersten Blick schlechter Quellenlage in jahrelanger zäher Kleinarbeit gelungen ist, aus verschiedenen Puzzleteilen ein so detailliertes Gesamtbild zusammenzusetzen. Das umfangreiche Quellenverzeichnis zeigt, dass es auch sinnvoll sein kann, überregionale Landesarchive zu besuchen, um das zu finden, was es vor Ort nicht (mehr) gibt. Auch durch die Einbindung von Zeitzeugen wie ehemaligen Mitarbeitern und Verkehrsfreunden, die das Verkehrsmittel vor Ort noch selbst gekannt haben ist ein lesenswertes Buch entstanden, welches sich nicht nur auf die letztlich bekannten technisch-sachlichen Fakten beschränkt, sondern ein lebendiges Bild von der Betriebsausführung, den dabei aufgetretenen Schwierigkeiten aber auch von den Lebensumständen in einer Kleinstadt der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR nach Kriegsende zeigt.

Die Stadt hatte das Glück in dem Bereich von Deutschland zu liegen, an denen die Zerstörungen des Krieges, weitgehend vorüber gegangen sind. Damit erbte der neue deutsche Staat aber auch eine weitgehend auf dem Stand der 1930er Jahre stehengebliebene Stadtentwicklung und Infrastruktur.

Die einzige Obusstrecke, welche die dem Lauf des Flusses Elster und ihrem Tal langgestreckt folgende Stadt mit dem östlich liegenden Ort Schönfeld und dem südlich und etwas erhöht liegenden Elsterberg verband, hatte auf der Strecke nach Elsterberg einen Vorgänger in Form einer Buslinie, deren Umstellung auf Obusbetrieb im Jahre 1941 beschlossen wurde. Zu Beginn der 1940er Jahre glaubten die braunen Machthaber mit der Umstellung auf elektrische Verkehrsmittel einen Weg zur Einsparung des zunehmend kriegswichtig werdenden Kraftstoffs gefunden zu haben. Es gab in zahlreichen auch kleinen Städten derartige Projekte, von den etliche nicht über die Planungsphase hinauskamen. Über den begonnenen Bau anderer Anlagen schritt der Krieg hinweg und sie wurden nicht mehr verwirklicht. Auch in Greiz „erbte“ die neue Stadtverwaltung im Mai 1945 nur eine auf Teilstrecken fertiggestellte, zum Teil beschädigte Fahrleitung, aber keine Fahrzeuge.

Ein zum Betriebsleiter berufener junger und motivierter Elektroingenieur trieb trotz größter Schwierigkeiten ab Sommer 1945 die Inbetriebnahme voran und es gelang ihm auch, die benötigten Fahrzeuge aus einer nicht mehr abgerufenen Bestellung eines anderen Obusprojektes zu organisieren, so dass der Betrieb im September 1945 eröffnet werden konnte. Dabei begann der Verkehr zunächst auf dem östlichen Abschnitt ab Schönfeld und erreichte über mehrere Etappen im November 1946 das eigentliche Ziel Elsterberg. Die Wendeschleifen der Zwischenpunkte blieben dabei erhalten, so dass der Betrieb bedarfsgerecht auf den stärker belasteten Abschnitten verdichtet werden konnte.

Die Politik stand hinter lange Jahre hinter ihrem elektrischen Verkehrsmittel, welches bei den teilweise steigungsreichen Strecken durchaus Vorteile gegenüber den Autobussen bot. Pläne für Erweiterungen gab es zwar, sie konnten aber aus materiellen Gründen oder wegen zu geringer Fahrgastzahlen nur in Form von Buslinien umgesetzt werden. Steigende Nachfrage auf der Obusstrecke führte immer wieder zur Anschaffung neuer Fahrzeuge. Nach Einstellung der Obusproduktion in der DDR 1957, gelangten in den Jahren 1960 und 1964 auch Fahrzeuge von Skoda aus der CSSR nach Greiz, welche innerhalb der aufgeteilten Märkte des Ostblocks für den Bau von Obussen zuständig waren.

Gegen den Widerstand von Bevölkerung und Mitarbeitern erfolgte 1968 der Beschluss der Stadt, den Obusbetrieb aufzugeben. Auch dies nicht freiwillig, Anlage und Fahrzeuge waren dringend erneuerungsbedürftig, Material knapp und neue elektrische Fahrzeuge nicht zu finanzieren. Die Alternative waren reichlich und günstig verfügbare Autobusse aus Ungarn, deren Gelenkversion auch den bei steigendem Verkehr zunehmend problematischen Anhängerbetrieb ersetzen konnten. So endete im Juli 1969 der elektrische Betrieb. Über die vier neueren Obusse freuten sich die verbliebenen Betriebe in der DDR.

Das gut strukturierte und gestaltete Buch bietet dem Freund des Obus eine Vielzahl schöner und stimmungsvoller Aufnahmen, deren Entstehung nicht unbedingt dem darauf gezeigten Verkehrsmittel zu verdanken sind. Ergänzt wird die Illustration durch Karten, die durch ihre Detaillierung auch eine gute Zuordnung der Bilder ermöglichen, aber auch Zeitungsausschnitte und sonstige Dokumente. Der Text zitiert auch etliche Dokumente im Original. Äußerst lesenswert und in dieser Form selten ist auch die aus Zeitzeugenberichten zusammengestellte Streckenbeschreibung in Form einer Fahrt von Endpunkt zu Endpunkt. Das Buch erweckt einen längst vergessenen, liebenswerten kleinen Obusbetrieb in einer nicht minder liebenswerten Stadt und Umgebung wieder zum Leben und dokumentiert so nicht nur ein Stück Verkehrs- sondern auch Heimatgeschichte. Der Rezensent, welcher Greiz im Jahre 2017 kennenlernte, konnte erfreut feststellen, dass sich viele Blickwinkel auch fast 50 Jahre später nahezu unverändert erhalten haben. Für Obusfreunde eine absolut empfehlenswerte Veröffentlichung.

Autoren: Jens Karkuschke, René Petzold, Rolf-Roland Scholze
224 Seiten im Format 17,0 x 24,5 cm, gebunden
Herausgeber: Verlag Dirk Endisch, Stendal 2021
Preis: 29,50 €
ISBN: 978 3947691210

Trolleybus 1 nach seiner Generalerneuerung im Zentrum, 8. Mai 1964 | © Peter Dönges

24.10.2021
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