
Die 17 km lange Schönbuchbahn führt von der Großen Kreisstadt Böblingen, die rund 30 km von Stuttgart entfernt ist, in südöstlicher Richtung nach Dettenhausen. Sie zweigt von der Hauptstrecke Stuttgart – Horb – Singen – Zürich ab und ist mit den Linien S1/S11 und S60 der Stuttgarter S-Bahn verbunden. Sie wird von der Württembergischen Eisenbahngesellschaft (WEG) betrieben, Eisenbahninfrastrukturunternehmen ist der Zweckverband Schönbuchbahn (ZVS). Die Strecke ist Teil des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS).

Die Linie steigt von Böblingen aus bis Weil im Schönbuch ziemlich kontinuierlich an. Die letzten rund 4 km bis Dettenhausen weisen ein durchschnittliches Gefälle von 17 ‰ auf. Die zahlreichen engen Kurven mit Radien um die 300 m, die bisher keine Geschwindigkeit über 80 km/h zuließen, machen rund 17 % der Streckenlänge aus. Trotzdem erreicht die Bahn mit 12 Haltestellen und durchschnittlichem Haltestellenabstand von 1,4 km mit 22 Minuten Fahrzeit eine Reisegeschwindigkeit von 44,3 km/h.
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In den ersten Jahren der Schönbuchbahn ab 1911 zogen 80 km/h schnelle 1’C1′-Tenderlokomotiven der württembergischen Baureihe T5 (später BR 750) die Züge, die aus dem Schönbuch über Böblingen hinaus Arbeiter nach dem 3 km weiter entfernt liegende Sindelfingen brachten.
Mit ca. 890 PSi hatte die 60 t schwere T5 rund die halbe Leistung des modernen 72 t leichten „Nexio“-Regionalzugs. Sie musste dazu noch eine Reihe Wagen ziehen. Für die steilen 4 km Dettenhausen – Weil i. S. brauchte sie 12 – 18 Min. (20 – 13 km/h), während „Nexio“ es heute in 4 Min. oder 60 km/h schafft. | © Reinhard Christeller / Peter Riedwyl
Die Strecke wurde 1911 in Betrieb genommen. Mitte der 1960er Jahre wurde der Personenverkehr aufgegeben und 1988 wollte die Deutsche Bundesbahn die Strecke auch für den Güterverkehr stilllegen. Nach Bürgerprotesten gegen die Streckenstillegung erstellte die Württembergische Eisenbahngesellschaft (WEG) 1989 im Auftrag des Landkreises Böblingen ein Konzept für die Reaktivierung der Bahn. 1993 gründeten die Behörden den ZVS, der die Bahnanlagen übernahm und beauftragten 1994 die WEG, die heute ein Tochterunternehmen der französischen Transdev Group S.A. ist, mit dem Betrieb der Linie, der im Dezember 1996 aufgenommen wurde.

In der Folge wurde die Strecke über mehrere Jahre ausgebaut. Die Höchstgeschwindigkeit wurde von 50 wieder auf 80 km/h erhöht, neue Haltepunkte und Bahnhöfe errichtet und angepasst, Schienen ersetzt und eine Kreuzungsmöglichkeit geschaffen, Bahnübergänge gesichert, aufgehoben oder durch eine Unterführung ersetzt, Brücken saniert oder neu gebaut, der Betriebsleitfunk und Fahrkartenautomaten eingeführt, eine neue Einstellhalle gebaut und später erweitert. Vier Dieseltriebwagen wurden beschafft. Nach 2007 wurde die Signalisierung verbessert und damit der technisch gesicherte Zugleitbetrieb möglich.

Hatte der vor der Erneuerung der Bahn bestehende Busbetrieb täglich lediglich 2 000 Personen befördert, so stiegen die Fahrgastzahlen mit dem neuen Bahnangebot rasch: 1996 waren es doppelt so viele, nämlich 4 090 Fahrgäste, 2015 bereits 8 200, eine durchschnittliche jährliche Steigerung von gegen 4 %. An Werktagen wurden oft auch über 10 000 Fahrgäste gezählt. Deshalb wurde 2015 beschlossen, die Strecke mit 15 kV 16,7 Hz zu elektrifizieren. Der elektrische Betrieb ist bei entsprechender Energieerzeugung gegenüber dem Dieselbetrieb abgasfrei. Er führt, insbesondere auch dank der Energierückspeisung der Bremsenergie ins Netz zu einer Senkung des Energieverbrauchs und vermindert die Lärmbelastung für Fahrgäste und Anwohner. Zwischen Böblingen und Holzgerlingen wurde ein 15-Minuten-Takt eingeführt, was den zweigleisigen Ausbau der Abschnitte Böblingen – Böblingen Danziger Straße sowie Böblingen Zimmerschlag – Holzgerlingen Hülben bedingte.Auf dem Restabschnitt bis Dettenhausen bleibt es beim 30-Minuten-Takt.Die Strecke wurde abschnittsweise für 100 km/h ausgerüstet und die gesamten Signalanlagen erneuert. Haltestellen wurden aufgehoben und andere neu erstellt. Alle Bahnsteige wurden auf einheitliche 85 Meter Länge und 76 cm Höhe gebracht. In Böblingen wurde die Kreuzung mit einer vielbefahrenen Straße durch eine Straßenunterführung ersetzt und in Holzgerlingen eine andere durch eine Bahnunterführung.
Während die Linie bereits im Dezember 2019 elektrifiziert und die Bauarbeiten abgeschlossen waren, ist die Lieferung und Abnahme der 12 neuen Elektrotriebwagen, die bei der spanischen Herstellerfirma CAF bestellt wurden, derzeit noch im Gange.

Zwischenzeitlich verkehren vier von der Deutschen Bahn gemietete Elektrotriebwagen der Baureihe 426 im Mischbetrieb mit den vorhandenen Dieseltriebzügen. Für die neuen Fahrzeuge legt der ZVS Wert darauf, für die kurvenreiche Strecke leichte Fahrzeuge mit niedrigen Achslasten zu erhalten, um niedrige Energiekosten für die Traktion und niedrige Instandhaltungskosten auch für die Gleise zu erzielen. Eine erste Ausschreibung im Jahre 2013 erbrachte keine befriedigenden Ergebnisse. Der ZVS musste ernüchtert feststellen, dass in den letzten 15 Jahren Regionaltriebwagen vor allem wegen der immer einschränkenderen europäischen Reglementierung, der unflexiblen „Plattform“-Konzeptionen der Hersteller und der immer höheren Anforderungen der Fahrgäste an den Komfort immer schwerer geworden sind und gleichzeitig immer weniger Sitzplätze aufweisen. Entsprechend steigt der Energiebedarf und die Belastung der Infrastruktur. Die Auswertung indikativer Angebote ergaben gegenüber den Erwartungswerten erhebliche Abweichungen insbesondere in folgenden Punkten[1]:
- zu hohes Fahrzeuggewicht mit der Folge hoher Radsatzlasten,
- relativ geringe Transport-/Sitzplatzkapazität pro ET bei vorgegebener Fahrzeuglänge,
- sehr hohe erforderliche Antriebsleistung für Einhaltung des knappen Fahrplans infolge schwerer Triebzüge,
- hoher (spezifischer) Energieverbrauch,
- absehbar hoher Instandhaltungsaufwand für Fahrwerke und Fahrweg auf der bogenreichen Strecke im Eigentum des ZVS,
- zu geringe Wettbewerbsintensität.

Innenansicht der dreiteiligen „Nexio“-Fahrzeuge der Schönbuchbahn. | © CAF
Der Vergleich der angebotenen Züge ergab für das Leergewicht des Zuges eine Steigerung von 40 bis 50 % je nach Angebot, während sich das spezifische Sitzplatzgewicht (Leergewicht/Sitz) in etwa verdoppelte.
Die Bestellung konnte nach einer zweiten Ausschreibung erst 2017 erteilt werden. Es kommen dreiteilige, nach der LNT-Richtlinie gebaute Gelenktriebzüge aus der „Nexio“-Plattform von CAF zum Einsatz, deren technische Daten der Tabelle zu entnehmen sind. Wenn diese Fahrzeuge trotzdem nicht sehr leicht sind, so sollte der Umstand, dass sie vier statt für eine solche Fahrzeuglänge sonst übliche drei Drehgestelle besitzen zu niedrigen Achslasten und im Verein mit dem relativ kurzen Drehgestellachsstand zu einer geringen Abnützung von Rad und Schiene und damit zu niedrigen Instandhaltungskosten verhelfen. Zu den Stoßzeiten wird wohl der eher knapp bemessene Türanteil zu langen Fahrgastwechselzeiten führen, insbesondere wenn Rollstühle über den breiten Zwischenraum zwischen Fahrzeug und Bahnsteig ins Fahrzeug eingebracht werden müssen. Bis April 2021 wurden 5 Fahrzeuge abgeliefert, wovon 3 Fahrzeuge für Versuchs- und Zulassungsfahrten genutzt werden. Weitere 4 Fahrzeuge sollen bis Ende 2021 geliefert werden, dann folgen die als Option bestellten weiteren 3 Fahrzeuge. CAF übernimmt auch die Wartung der Züge über 19 Jahre, die in der vom ZVS in Böblingen neu erstellten dreigleisigen Zugwerkstatt durchgeführt werden.

Technische Hauptdaten der elektrischen Triebwagen der Schönbuchbahn:
Gattungsbezeichnung | ET 455 | |
Hersteller | CAF (Construcciones y Auxiliar de Ferrocarriles), Spanien | |
Baujahre | 2020/21 | |
Anzahl Fahrzeuge | 12 | |
Technische Rechtsgrundlage | LNT-Richtlinie | |
Länge | [mm] | 39 140 |
Breite | [mm] | 2 900 |
Spurweite | [mm] | 1 435 |
Achsfolge | B0’ B0’ 2’ B0’ | |
Höchstgeschwindigkeit | [km/h] | 100 |
Tara | [t] | 72,5 |
Brutto | [t] | 90 |
Sitzplätze | 94 | |
Stehplätze | (4 PAX/m2) | 161 |
Rollstuhlplätze | 2 | |
Anzahl Türen pro Seite | 3 | |
Einstieghöhe bei Tara / Volllast | [mm] | 790 – 730 |
Bahnsteighöhe | [mm] | 760 |
Horizontaler Spalt Bahnsteig – Fahrzeug | [mm] | 154 – 242 |
Lichte Weite der Türen | [mm] | 1 300 |
Türanteil pro Fahrzeuglänge | [%] | 10 |
Motorleistung | [kW] | 6 x 180 = 1 080 |
Anfahrbeschleunigung | [m/s2] | 1,17 |
Notbremsverzögerung | [m/s2] | 2,73 |
Rekuperation im Regelbetrieb | [%] | ca. 22 |
Maximale Achslast | [t] | 12,9 |
Drehgestell-Achsstand | [mm] | 2 100 |
Wagenkasten-Bauweise | Hybrid (Untergestell Stahl, Aufbau Aluminiumprofile) |
Der seit vielen Jahren kontinuierlich vorangetriebene Ausbau und die Elektrifizierung, die Taktverbesserung und die Erwartung auf die neuen größeren Fahrzeuge, dürften mit dazu beigetragen haben, dass neue Baugebiete in den Anliegergemeinden Weil im Schönbuch und Holzgerlingen entstanden bzw. in Realisierung sind und das gemeinsame Gewerbegebiet Sol und das Gewerbegebiet Weil-West erweitert wurden.
Weitere Angebotsverbesserungen werden seit einiger Zeit diskutiert, sind aber bisher an der mangelnden Finanzierung gescheitert. Der Zweckverband ist deshalb in Verhandlungen mit dem Land Baden-Württemberg. Eine Verlängerung des 15-Minuten-Taktes in der Hauptverkehrszeit zwischen Holzgerlingen und Weil im Schönbuch ist angedacht und soll untersucht werden. Direkte Züge in die Metropole Stuttgart stehen nicht zur Diskussion.
Literatur:
[1] Bitterberg, Ulrich, Leichter Regional-Elektro-Triebzug (LRET) für die Schönbuchbahn, in: Eisenbahntechnische Rundschau ETR, Juni 2018, S. 17 – 21
17.05.2021