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Die Straßenbahn soll nach Kiel zurückkehren!

Gaarden Zentrum mit Tram | © Stadt Kiel / Ramboll Studio Dreiseitl

Schon seit Jahren gibt es Bemühungen, in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel die Straßenbahn wieder einzuführen. 1985 fuhr die letzte Kieler Straßenbahn auf ihrer Spur von 1100 mm. Erste Forderungen nach einer modernen Stadtbahn kamen bereits 1994 auf. 2003 setzte man an, das in anderen Städten so erfolgreiche TramTrain-Modell zu kopieren. Die StadtRegionalBahn Kiel scheirte leider 2015 endgültig an der fehlenden Unterstützung der Nachbarkreise. Doch nun ist es aller Voraussicht nach endlich soweit:

Anfang Oktober 2022 hatten Gutachter*innen in einer Trassenstudie die Tram empfohlen, am 26.10.2022 ist diesem Rat gefolgt – fast einstimmig. Die Tram kommt!

Suchsdorf Endstelle | © Stadt Kiel / Rambøll Studio Dreiseitl

Im Kieler Rathaus kamen vier Fachausschüsse zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen: Bau-, Wirtschafts-, Finanzausschuss sowie Innen- und Umweltausschuss. Es sollte entschieden werden, ob die Stadt Kiel in die Vorplanungen für ein neues ÖPNV-System einsteigen soll. Die Gutachter*innen stellten sich noch einmal den Fragen der Politiker*innen, am Ende wurde abgestimmt. Der Auftrag für eine Tram wurde erteilt, von einer breiten Koalition aus SPD, Grünen, SSW, CDU, FDP, KVM und Linkspartei! Gegenstimmen kamen in allen Ausschüssen von der AfD, in einem Ausschuss auch von der FDP.

Matthias Edeler, stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Tram für Kiel e.V.“, ist begeistert: “Die überwältigende Mehrheit für die Tram, die alle Fraktionen einschließt, ist ein starkes Signal dafür, dass die Tram die deutlich besseren Argumente auf ihrer Seite hatte.”

Die Entscheidung wird am 17.11.2022 von der Ratsversammlung abgesegnet. Vor dem Hintergrund dieser Mehrheit sollte dies aber nur noch reine Formsache sein. Ebenso fanden der Vorschlag für das Kernnetz und die Zielvereinbarung mit dem Verein „Die Holtenauer e.V.“ deutliche Mehrheiten.

Zum Kontext

Die Trassenstudie begann 2020 und sollte zwei Fragen klären: wie soll das Netz aussehen und welches im Vergleich zum bisherigen, reinen Omnibusbetrieb höherwertiges Nahverkehrssystem soll Anwendung finden? Eine moderne Niederflur-Straßenbahn oder ein Bus weitgehend auf eigener oder bevorrechtigter Trasse – international auch unter dem Begriff Bus Rapid Transit (BRT) etabliert.

Das Ergebnis wurde Anfang Oktober vorgestellt und enthielt eine klare Empfehlung für die Tram. Denn die Studie hat deutlich gemacht, dass die Tram in allen entscheidenden Kriterien deutlich besser abschneidet als ein BRT System. Besonders die niedrigen Betriebskosten werden hervorgehoben, die bei der Tram um 6 Mio. Euro pro Jahr niedriger liegen als beim BRT. Darüber hinaus spricht nach Aussagen der Gutachter für die Tram deren höhere Fahrgastfreundlichkeit, die bessere Barrierefreiheit, die höhere Betriebsstabilität und Verlässlichkeit, der geringere Flächenverbrauch und die geringere Flächenversiegelung – neben verschiedenen anderen Aspekten.

Am wichtigsten aber: Ein BRT wäre bereits bei der Eröffnung an der Kapazitätsgrenze, teilweise sogar schon überlastet. Ein späterer Ausbau – den sich alle Parteien wünschen – wäre nicht mehr möglich. Die Überlastung des BRT würde sich auch auf den restlichen Verkehr auswirken und die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes verringern. Für die Tram muss jetzt einiges in Bewegung gebracht werden: Es braucht jetzt das Personal für die Planungen und eine Gesellschaft, die die Schritte auf dem Weg zur Tram koordiniert. Auch hierfür wurden die Weichen gestellt.


Vergleich Tram – BRT im Bild:
(zum Vergrößern bitte Anklicken)


Das künftige Netz

Vorgeschlagen wird der schrittweise Aufbau einer normalspurigen, 36 km langen Tram-Netz mit 4 Linien. Konkret umfasst dies die folgenden Linienführungen:

Linie 1: FH Kiel (Neumühlen-Dietrichsdorf) – Wellingdorf – Gaarden – Hbf. – Holtenauer Straße – CAU – Steenbeker Weg – Suchsdorf, Länge: 15,7 km

Linie 2: Elmschenhagen – Preetzer Straße – Gaarden – Hbf. – Holtenauer Straße – Wik, Länge: 13,2 km

Linie 3: Neumühlen-Dietrichsdorf – Wellingdorf – Gaarden-Ost – Hbf. – Kronshagener Weg – Mettenhof, Länge: 15,6 km

Linie 4: Verstärkerlinie Berufsbildungszentrum Gaarden – Projensdorf, Länge: 9,5 km

Entwurf Linienplan | © Stadt Kiel

Für den Betrieb im Endausbau werden 46 Zweirichtungs-Niederflurzüge als 45 m und 52 m lange Wagen nach aktuellem Planungsstand benötigt.

Die erste Linie soll 2034 eröffnet werden. Das Kernnetz soll in drei Etappen bis 2039 gebaut werden. Erweiterungen, insbesondere in den Norden und Süden der Stadt, sind bereits geplant. Um EMV-Probleme im Bereich der Universität zu umgehen wird derzeit mit teilweise oberleitungsfreiem Betrieb geplant.

Werden alle Kieler Pläne nun in die Tat umgesetzt werden, kommt es nach mehr als drei Jahrzehnten endlich zur Wiedereinführung des Systems Straßenbahn in einer deutschen Großstadt. Für die Kieler wird dann nach fast 50 Jahren die straßenbahnlose Zeit zu Ende sein – die Wiedereinführung einer modernen Tram wird dann sicherlich mit hohem Interesse auch von anderen deutschen Städten vergleichbarer Größenordnung verfolgt werden. Als nächste Stadt könnte Lübeck folgen. Hier beginnt gerade die Machbarkeitsstudie zur Einführung der Tram, wie in Kiel betreut von der Firma Rambøll und begleitet von unserem Schwesterverein Tram für Lübeck.

Eine ausführliche Zusammenfassung der Stadt Kiel findet sich hier:
https://www.kiel.de/de/umwelt_verkehr/_dokumente_kiel_bewegt_sich/kiel_oepnv_system_trassenstudie_broschuere.pdf



Eindrücke von der alten Kieler Straßenbahn:

Kiel Hauptbahnhof kurz vor der Stilllegung, im April 1985  | © Dirk Budach
Endstelle Wellingdorf der letzten Linie 4 im Sommer 1984 | © Dirk Budach
02.11.2022
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