Eine Straßenbahn kehrt von der Warthe zurück an den Rhein
Aus dem polnischen Posen kehrte einer der klassischen Düwag-Gelenkwagen in seine alte Heimat nach Düsseldorf zurück.
Zur Geschichte der Bahn
1964 beschafften die Stadtwerke Neuss ihre letzten Straßenbahnen. Unter ihnen war auch der 6-Achs-Einrichtungs-Gelenktriebwagen 43, der zugleich die letzte Bahn war, die je nach Neuss geliefert worden ist.
1971 stellte Neuss seinen Straßenbahnbetrieb ein. Gemeinsam mit dem unmittelbaren Nachbarbetrieb, der Düsseldorfer Rheinbahn, hatte Neuss seit je die Ringlinie 16 (Düsseldorf – Neuss – Düsseldorf) betrieben, und die Rheinbahn übernahm jetzt mehrere der Fahrzeuge der Neusser Straßenbahn. So auch den Triebwagen 43, der zunächst zwar auf die Düsseldorfer Farben umlackiert wurde, ansonsten aber unverändert blieb und bei der Rheinbahn die Betriebsnummer 2623 erhielt. Große Anpassungen waren nicht nötig, denn der Wagen war ja von Anfang an so ausgestattet, dass er problemlos im Rheinbahn-Netz eingesetzt werden konnte.
Schon 1974 hatte die Rheinbahn aber Großes mit dem ehemaligen Neusser Triebwagen vor. Man schaffte ihn in sein Herstellerwerk, also zur Düwag an der Königsberger Straße im Industriegebiet Lierenfeld. Hier „wuchs“ der Triebwagen, denn zwischen den beiden bisherigen Wagenteilen wurde ein acht Meter langer dritter Teil eingefügt, der aus dem bisherigen Sechsachser nun einen Achtachser machte. Und der bekam die neue Betriebsnummer 2768.
1983 musste der Triebwagen noch einmal einen Umbau über sich ergehen lassen, denn jetzt wurden Federspeicherbremsen nachgerüstet. Was ihm noch einmal eine neue Betriebsnummer eintrug: fürderhin „firmierte“ er unter 2968.
Ein „Neusser“ in Poznan
2010 trennte sich die Rheinbahn von diesem Triebwagen, der 46 Jahre (die beiden Endwagen) bzw. 36 Jahre lang (der Mittelwagen) brav seine Dienste in Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt geleistet hatte. Aber das war noch lange nicht das Ende seiner Laufbahn: wie 117 andere Triebwagen konnte die Rheinbahn auch ihn nach Polen verkaufen. Er gehört zu den 58 Bahnen, die die MPK (Miejskie Przedsiebiorstwo Komunikacyjne) in Polens fünftgrößter Stadt Poznan (rund 540.000 Einwohner) übernahm. Der lange Name des Betriebs erklärt sich wie folgt: „Miejskie“ heißt „städtisch“, das Wort in der Mitte steht für das deutsche Wort „Unternehmen“, und „Komunikacyjne“ dürfte in diesem Zusammenhang die Bedeutung von „Verkehr“ haben. Mithin schlicht: Städtisches Verkehrs-Unternehmen.
Bei den MPK Poznan erhielt unser Triebwagen die Betriebsnummer 697. Lackiert wurde er in den Farben der MPK Poznan in grün mit gelben Elementen. Der Verfasser gestattet sich, diese Lackierung schön zu finden. (Schöne Lackierung, das passt doch zu einer schönen Stadt.) Und Tw 697 bekam den Spitznamen „Helmut“. Der, so sagen die MPK, beziehe sich auf Altbundeskanzler Helmut Kohl.
Warum aber gingen überhaupt alte deutsche Straßenbahnen nach Polen? Nun, das ist eigentlich ganz einfach: als zum Glück die Grenzen zu den Staaten des ehemaligen Ostblocks fielen, waren dort die Wagenparks vielfach ziemlich heruntergewirtschaftet, und es fehlte zunächst ganz entschieden am nötigen Geld, um Neufahrzeuge beschaffen zu können. Da waren vorerst einmal die gebrauchten Bahnen aus dem „Westen“ ein beachtlicher Schritt nach vorn.
Die Rückkehr nach Düsseldorf
Bis zum November 2019 stand „Helmut“ zusammen mit den letzten anderen ex-Düsseldorfer Wagen im täglichen Linieneinsatz in Poznan. Dann war er in der Stadt an der Warthe (Warta) über und sollte ausgemustert werden. Zum Glück hatten drei Düsseldorfer davon gehört. Sie beschlossen, der Triebwagen gehöre nicht auf den Schrott, sondern in die Sammlung historischer Straßenbahnen der Rheinbahn in deren Betriebshof „Am Steinberg“. Die drei Düsseldorfer waren die beiden Rheinbahn-Fahrer Gerhard Martin Grittner und Dirk Pohl und Frau Pia Pilz. Sie fingen unverzüglich an, Spenden für den Rückkauf der Bahn und ihren Rücktransport nach Düsseldorf zu sammeln, und innerhalb von nur viereinhalb Monaten kam die stolze Summe von 13.500 Euro zusammen.
Den Heimweg trat Tw 697 / 2968 auf einem langen Tieflade-Lkw an, und das schon im Septmeber 2020. Jetzt wurde er im Betriebshof „Am Steinberg“ feierlich offiziell präsentiert und von den MPK an die Rheinbahn übergeben. Bei dem Termin waren die Vorstandsvorsitzenden beider Betriebe dabei: Krzysztof Dostatni von den MPK und Klaus Klar von der Rheinbahn.
Und nun steht er in der Halle „Am Steinberg“. Im Zielschildkasten liest man „Poznan grüßt Düsseldorf“. Und als Liniennummer zeigt er die „22“. Das hat allerdings seinen ganz besonderen Grund: Zur Ausmusterung der Düsseldorfer Bahnen veranstalteten die MPK einen Korso durch die Stadt mit allen noch betriebsfähigen Düsseldorfer Achtachsern. Die „22“ wurde am Abschiedstag in Poznan symbolisch bei allen neun Wagen des Korsos beschildert, weil die ex-Düsseldorfer 22 Jahre lang dort (von 1997 bis 2019) im Einsatz waren. Und so eben auch unser Triebwagen 697 / 2968.
Wir berichteten über die Rückholaktion hier:
Freundschaftliche Verbundenheit
Zum Zeichen der freundschaftlichen Verbundenheit beider Städte soll der Heimkehrer auch nach seiner Rückkehr in seinem letzten Zustand aus Poznan bleiben. Also grün mit gelb und mit der Wagennummer 697. Auch die Eigentumsbeschriftung der MPK wird nicht entfernt werden. Na gut, an Triebwagen in crème mit roten Zierleisten mangelt es nicht „Am Steinberg“.
Und welche Aufgabe wird der Heimkehrer in Zukunft haben? Nun, zunächst einmal wird er Teil der Sammlung historischer Fahrzeuge der Rheinbahn. Die kann an Terminen, die bekannt gegeben werden, im „historischen“ Betriebshof Am Steinberg besichtigt werden. Und außerdem? Außerdem soll er für historische Sonderfahrten genutzt werden. Der Verfasser hörte da was von einer eventuellen „historischen Stadtrundfahrt“. Das hätte doch was: mit einer Bahn aus Poznan durch das historische Düsseldorf …
01.07.2022