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Ikarus 120e – die (elektrische) Wiedergeburt einer sehr bekannten Marke

Vorführwagen in Meinigen | © Mirko Peter

Im Jahr 1895 wurde in Ungarn ein Unternehmen gegründet, das zu einem der größten Bushersteller der Welt werden sollte. Wir kennen es unter dem Namen „Ikarus“.

Außerhalb Ungarns richtig bekannt wurde Ikarus nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Blütezeit hatte das Unternehmen in jenen Jahren, als die Welt in Ost und West geteilt und für die Wirtschaftsbeziehungen der Staaten des Ostblocks der „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)“ zuständig war. Im RGW kam man überein, dass es nicht wirtschaftlich sei, wenn jeder der Ostblock-Staaten alle Produkte selber herstelle. Stattdessen sollten bestimmte Industriegüter zentral nur aus einem einzigen Unternehmen in einem einzigen Land kommen. Der Gedanke dahinter war, dass größere Stückzahlen die Produktionskosten pro einzelnem Erzeugnis deutlich senken würden – und die Produktion damit rentabler werden würde. Das hört sich ja gar nicht einmal unlogisch an – ein Betriebswirtschaftler könnte diese These vermutlich frohen Mutes unterschreiben. (Dass es dann doch nicht so wirklich gut funktioniert hat, steht auf einem anderen Blatt und ist im Zusammenhang mit diesem Bericht nicht erheblich.)

Bei der Aufteilung der einzelnen Produkte auf die einzelnen RGW-Mitgliedsstaaten wurde Ungarn – und damit Ikarus – die Zuständigkeit für den Bau von Bussen zugesprochen. Was nicht so ganz konsequent umgesetzt wurde, so entstanden in Polen Busse der Marken Jelcz (zum Beispiel der Typ „PR 100“ in Lizenz von Berliet beziehungsweise später von Renault) und Autosan, in der Tschechoslowakei (so hieß der Staat damals noch) der Marke Karosa, und in Rumänien der Marken IDAC und Roman.

Aber Ikarus war ganz ohne jeden Zweifel der Platzhirsch im Ostblock. Man baute seine Busse in Werken in Budapest und in Székesfehérvár. Mit einem jährlichen Output von rund 15.000 Bussen avancierte man zum drittgrößten Bushersteller der Welt, es heißt sogar, für kurze Zeit sei man der größte Busbauer auf unserem Planeten gewesen.

Ikarus 55 der Regiobus Mittweida bei einem Odtimerbus-Treffen in ehemaligen Neoplan-Werk Plauen | © Christian Marquordt

In den Werkshallen von Ikarus entstanden berühmt gewordene Busse. So die beiden Typen Ikarus 55 (der Reise- und Überlandwagen) und Ikarus 66 (der Linienwagen). Ihr charakteristisches Aussehen mit dem im Heck weit aus dem Wagen herausragenden Motorraum (in dem ein luftgekühlter Motor arbeitete) trug ihnen den Spitznamen „Zigarre“ ein. In den sechziger Jahren brachte Ikarus mit dem Typ 180 seinen ersten Gelenkbus – ihm wird nachgesagt, er sei inspiriert gewesen von den Henschel-Gelenkbussen der Baureihe HS 160.

Mitte der siebziger Jahre brachte Ikarus die Erfolgsbaureihe überhaupt auf den Markt, die Baureihe 200. Sie gab es in allen denkbaren Versionen vom Reisewagen über den (Stadt-)Linienwagen bis zum Gelenkbus, und sie ist eine der meistgebauten Busbaureihen überhaupt auf dieser Welt. Alleine in die DDR sind mehr als 30.000 Ikarus der 200er Baureihe geliefert worden. Sollte man gar nicht denken, so groß war die DDR doch gar nicht …

Aus Ostberlin übernommene viertürige Ikarus 280.02 baute Berlins BVG zu Dreitürern um, hier Wagen 5677 am U-Bahnhof Pankow | © Christian Marquordt
Prototyp eines Ikarus Doppelgelenkbusses | © Werkfoto Ikarus

Im wesentlichen blieb Ikarus im Absatz seiner Busse immer auf den Ostblock beschränkt. In den siebziger Jahren brachte man mit dem Ikarus 190 einen „bundesdeutschen“ Standardbus nach dem Lastenheft des damaligen VÖV (Verband der Öffentlichen Verkehrsbetriebe). Ein Prototyp wurde an die Hamburger Hochbahn geliefert, insgesamt 154 Wagen gingen zwischen 1973 und 1977 an die Verkehrsbetriebe Hamburg – Holstein (VHH), und etliche von denen kamen nach der Ausmusterung bei den VHH auch noch zu Privatunternehmern in der ganzen Bundesrepublik. Es gibt die Geschichte, dass außerdem 300 dieser Wagen nach Mexico-City geliefert worden seien, aber darauf will der Verfasser vorsichtshalber keine Eide ablegen – er war noch nie in Mexico-City.

„Bundesdeutscher“ Standardbus von Ikarus: Ikarus 190 der VHH Hamburg am S-Bahnhof Hamburg-Bergedorf in den 1980er Jahren | © Christian Marquordt
MAN CR 160, oder: ein waschechter Ikarus. MAN CR 160 als Vorführwagen auf der Bonner Schnellbuslinie zum Flughafen Köln/Bonn, zugelassen auf das damalige MAN-Buswerk in Salzgitter | © Christian Marquordt

Es gab auch mal eine Kooperation mit MAN. MAN wollte sein Busangebot nach unten um einen Midireisebus erweitern. Den wollte man nicht selber entwickeln, und so nahm man die Rohkarosse des kleinsten Ikarus, bestückte sie mit der Technik von MAN (Motor, Achsen, Elektrik etc.), modernisierte ihre Optik ein wenig … und brachte das fertige Fahrzeug als „MAN CR 160“ (CR wie Club-Reisebus, 160 = Motorstärke in PS) auf den Markt. Der CR 160 war kein Erfolg, es sind nur rund 10 Wagen dieses Typs je gebaut worden. Auch wenn einer dieser zehn mal als Vorführwagen auf der Bonner Schnellbuslinie zum Flughafen (Hauptbahnhof – Flughafen Köln/Bonn) über die Autobahn getestet worden ist.

Erwähnt werden soll, dass Ikarus auch Trolleybusse gebaut hat – und als Versuchswagen sogar einen Doppelgelenkbus der Baureihe 200. So neu ist der Gedanke des Doppelgelenkbusses also gar nicht.

Das Ende des Ostblocks brachte relativ bald auch das vorläufige Ende für Ikarus. Zwar versuchte man noch, mit modernen Produkten auch im „Westen“ Fuß zu fassen. So lieferte man mehrere Linien-Midi-Niederflurbusse vom Typ 405.02 an die Wuppertaler WSW – die einen von ihnen auch als Vorführwagen an die Essener EVAG ausliehen. 1995 gingen 17 Niederflurgelenkbusse des Typs 417.04 ebenfalls an die Wuppertaler WSW, und die WSW hatten auch einen Ikarus-Reisewagen, der allerdings auf einer Bodengruppe von Scania basierte (Wagen 9500).

Ikarus 417.04 der Wuppertaler Stadtwerke | © Christian Marquordt

Nach der „Wende“ war Ikarus nicht mehr sehr erfolgreich. Im ehemaligen Ostblock stürzte man sich auf Busse aus dem Westen, im Westen blieben die Betriebe bei den ihnen vertrauten Marken … Trotzdem glaubte auch Iveco an eine Zukunft für den renommierten Busbauer aus Ungarn: 1999 stieg Iveco bei Ikarus ein. Eine Trendwende für Ikarus brachte das nicht, 2006 machte Iveco bei Ikarus „die Lichter aus“.

Doch siehe, es kam der Tag, an dem man in China erkannte, dass man mit elektrisch betriebenen Bussen auch in Europa Geld verdienen könne. So baute zum Beispiel der Welt größter Elektrobus-Hersteller BYD ein Werk in Ungarn.

CRRC (China Railway Rolling stock Company) ging einen anderen Weg. Man kaufte in Ungarn ein Werk, nämlich eines der beiden Werke von Ikarus, und auch den Markennamen. Und nun produziert man also Ikarus-Elektrobusse. Übrigens nicht nur: es gibt auch neue Dieselbusse mit dem Namen der Traditionsmarke. Der neue Ikarus Elektrobus hört auf den Namen „Ikarus 120e CityPioneer“. Angetrieben wird er von einem Elektromotor von CRRC.

CRRC ist ebenfalls ein sehr altes Unternehmen, das Ende des 19. Jahrhunderts und damit lange vor der kommunistischen Revolution in China gegründet worden ist und sich – deshalb der Name – zunächst damit beschäftigte, Eisenbahnwaggons zu bauen und zu reparieren. Heute gehört man bei Eisenbahnfahrzeugen zu den ganz großen Playern dieser Welt, zum Produkt-Portfolio gehört zum Beispiel ein elektrischer Schnell-Triebzug nach Art unseres deutschen ICE. Und bei Ausschreibungen der DB hat auch CRRC schon angeboten.

Der Ikarus 120e CityPioneer kommt also aus einem Haus, in dem man von Fahrzeugbau nicht erst seit gestern eine Menge versteht. So kommt zum Beispiel Ernö Bartha ursprünglich von Ikarus, der dann als Konstrukteur und Manager lange bei Neoplan, MAN und später bei Viseon tätig war. 

Ikarus 120e Vorführwagen vor dem Hauptbahnhof in Bremen | © Trasco

Deutscher Partner für Vertrieb und Wartung der Busse ist Firma Trasco in Bremen, und die hat einen Vorführwagen, den sie jetzt eifrig ausleiht. So war der Wagen zum Beispiel schon bei den Meininger Bus-Betrieben in Thüringen, in Senftenberg, Hoyerswerda und Bad Belzig. Und Trasco sagt, dass Vorführeinsätze in Hannover und Bremen schon gebucht seien. Aber natürlich könne jeder Busbetrieb den Elektro-Ikarus testen.

Es gibt also reges Interesse an dem Stromer aus Ungarn. Mal sehen, welche Aufträge sich daraus ergeben.

Technische Daten Ikarus 120e CityPioneer

Länge:  12.000 mm

Breite:  2.540 mm

Höhe:   3.270 mm

Fahrgastkapazität:       

84 Personen, davon: 28 Sitzplätze, 56 Stehplätze, 2 Klappsitze auf der Plattform gegenüber der Mitteltür,hier auch Platz für Kinderwagen und Rollstühle

Asynchron-Elektromotor von CRRC

Leistung: 240 kW (entsprechen 326 PS)

Batterien:        

Lithium-Eisenphosphat

Leistung: 314,14 kWh

verteilt auf 10 Batteriepakete auf dem Dach und im Heck

Reichweite: 350 Kilometer ohne Heizung und Klima

rund 250 Kilometer mit Heizung und Klima

Garantie auf die Batterien: 8 Jahre oder 3.000 Ladezyklen

Leergewicht:                12.300 kg

zul. Gesamtgewicht:     18.600 kg

Vorführwagen in Meinigen | © Mirko Peter
Der Vorführwagen in Meinigen | © Mirko Peter
06.12.2021
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Kevin
Kevin
2 Jahre zuvor

Guten Tag
Das Bild des Ikarus in Berlin entstand am Bahnhof Lichtenberg im heute nicht mehr vorhandenen Bushafen. Das Gebäude hinter dem Wagen ist heute ein DRK Tagestreff und die dort endenden Linien stehen alle an der Straße

christian marquordt
christian marquordt
2 Jahre zuvor
Reply to  Kevin

Okay, das mag sein. Allerdings habe ich damals notiert, das Foto sei in Pankow entstanden.

Weit „unangenehmer“ ist mir, dass ich aus dem Ikarus 55 einen Ikarus 66 gemacht habe. Das hätte tatsächlich nicht passieren sollen.

Christian Marquordt

Christian M.
Christian M.
2 Jahre zuvor

Es gab sogar ein Ikarus Joint-Venture in den USA: https://en.wikipedia.org/wiki/Crown-Ikarus_286

Klaus S.
Klaus S.
2 Jahre zuvor

Zum Ikarus 190 (VöV-Standardbus): Insgesamt sollen 256 Expl. produziert worden sein. Davon wurden, wie gesagt, 154 nach Hamburg ausgeliefert (von denen 9 Expl. am Ende noch bei VGH Hoya gelandet sind). Außerdem gingen 100 Expl. in weiß-blauer Lackierung mit den Nummern 4000 bis 4099 als Linienbusse nach Kuwait (es existiert im Internet mindestens 1 Bild dazu). Demnach ist eine weitere Serie für Mexiko kaum zu vermuten.