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Innovationskongress 2021: Vom Verkehr zur Mobilität: umdenken!

Digitalisierung, attraktiver und intermodaler ÖPNV und neue Geschäftsmodelle waren die Themen, die am 9. und 10. Juni 2021 in Freiburg i.Br. während des 10. ÖPNV-Innovationskongresses besprochen wurden I © UTM, DB AG/ Philipp Trocha/ Thomas Henne/ Uwe Miethe/ Wolfgang Klee

SCHWERPUNKTTHEMA: INNOVATION UND TECHNOLOGIE

Am 9. und 10. Juni 2021 fand in Freiburg i.Br. der 10. ÖPNV-Innovationskongress als digitale Veranstaltung statt.

Gänzlich ungewollt demonstrierte gerade diese Veranstaltung die Gefahren, auf die der ÖPNV trotz oder gerade wegen der Fortschritte in der Informatisierung und Automatisierung allergrößtes Gewicht legen muss. Er muss auch dann in der Lage sein, physisch Menschen von Ort zu Ort zu bewegen wenn Betriebssoftware, Datenübermittlung, Informationssysteme oder der Fahrscheinverkauf durch technische oder menschliche Fehler oder Attacken lahmliegen. Und er muss die Sicherheit der Fahrgäste in jedem Fall gewährleisten ohne dass zum Beispiel Fahrzeugtüren sich während der Fahrt ungewollt öffnen oder U-Bahnen unkontrolliert fahren. Einen Vorgeschmack auf solche Vorfälle erhielten die Teilnehmer dieser Tagung, indem insbesondere am ersten Kongresstag die Vorträge wegen Problemen der Datenleitung nur in Bruchstücken zu den Zuschauern gelangen konnten und nachgeliefert werden mussten. Dies muss als Warnung an alle Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und Betrieb angesehen werden, hier die notwendigen Vorkehrungen zu treffen und Rückfallebenen sicherzustellen um insbesondere die Sicherheit, aber auch die Beförderung der Menschen zu garantieren.

 Umrahmt von den Grußworten des Oberbürgermeisters der Stadt Freiburg, Martin Horn, und des Verkehrsministers des Landes Baden-Württemberg Winfried Hermann sowie deren Erläuterungen zur Verkehrspolitik im Südwesten Deutschlands und insbesondere in der Stadt Freiburg und im umliegenden Breisgau, zeigte der Kongress auf, welchen Herausforderungen sich der ÖPNV-Sektor heute gegenüber sieht.

Martin Horn, Oberbürgermeister der Stadt Freiburg im Breisgau und Winfried Hermann, Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg am digital durchgeführten 10. ÖPNV Innovationskongress in Freiburg.

Bereits in diesen einleitenden Ausführungen wurde klar, dass der ÖPNV sich aufgrund widersprüchlicher Entwicklungen nämlich einerseits der gestiegenen Umweltanforderungen und andererseits des technologischen Wandels, der gesellschaftlichen Entwicklung, beschleunigt durch die Corona-Pandemie mit ganz neuen Fragen beschäftigen muss. Glaubte man bisher, dass nur der ÖPNV den CO2-Ausstoß des Verkehrs nachhaltig verändern könnte, so stellt man heute fest, dass Radfahren und zu Fuß gehen in den Städten wieder vermehrt Anklang finden und dass viele Angestellte, die früher täglich zur Arbeit pendelten, heute ihre Arbeit zu großen Teilen im Home Office erledigen. Dazu kommt, dass die Autoindustrie heute Fahrzeuge mit Hybrid- oder Batterietechnologie als umweltfreundlich anpreist. Gleichzeitig haftet den Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs der Nimbus mangelnder Sauberkeit an. Ob nach Abflauen der Corona-Pandemie bei den Menschen langfristig nicht eine geringere Neigung sich fortzubewegen und ein höheres Bedürfnis nach Hygiene und Distanz zu Mitreisenden verbleibt, bleibt abzuwarten. Insgesamt muss man sagen, dass die derzeitigen Voraussetzungen für den öffentlichen Verkehr in der Summe eher negativ sind.

Vor diesem Hintergrund sind die einzelnen Plenumsvorträge verschiedener Exponenten aus Politik, Verkehrsunternehmen und Wissenschaft zu verstehen. Zusätzlich zu der Plenumsveranstaltung an den beiden Vormittagen, fanden am Nachmittag des ersten Kongresstages parallele Vortragsveranstaltungen zu den Themen Kundenorientierung, Betrieb und Verkehrsplanung, Technologie, sowie Marketing und Tarife, statt. Wir werden nächstens über ausgewählte Vorträge berichten.

So fasste Prof. Dr. Kay Axhausen von der ETH Zürich in seinem Impulsvortrag die obengenannten Punkte zusammen, zeigte auf, wie in der Schweiz die Anzahl Menschen, die täglich ihr Haus verlassen, gesunken ist, und gab erste Hinweise auf mögliche Maßnahmen zugunsten des ÖPNV.

 Mit der Frage ob denn der Nahverkehr ein neues Geschäftsmodell brauche zeigte Susanne Henckel vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg mit zehn teilweise kühnen Vorschlägen ein Zukunftsmodell für den ÖPNV auf.

Susanne Henckel, Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg spricht engagiert über Attraktivitätssteigerungen des ÖPNV.

Prof. Dr. Claas Christian Germelmann von der Universität Bayreuth sprach darüber, wie Bürger während des Lockdowns gelernt haben, mehr digitale Dienstleistungen zu nutzen, und wie diese einfache Nutzung nun auch vom ÖPNV erwartet wird. Er schlägt vor, bisherige und neu zu gewinnende Kunden in ihren Motivationen verstehen zu lernen und beim Erreichen ihrer persönlichen Ziele zu unterstützen.

In seinem verkehrspolitischen Statement betonte Verkehrsminister Winfried Hermann, dass der Klimawandel trotz Corona rasant voranschreitet, betonte wie außerordentlich wichtig der ÖPNV für den Klimaschutz ist und erklärte, dass Baden-Württemberg weiterhin die notwendigen Mittel im Verein mit dem Bund und den Kommunen zur Verfügung stellen wird.

Dr. Christian Hillbrand vom Verkehrsverbund Vorarlberg zeigte auf , welches hochwertige Mobilitätsangebot unter dem Namen Smart mobil in diesem österreichischen Bundesland bereits seit Jahren in Kraft ist. In der Zukunft muss aber noch viel mehr getan werden. Dazu experimentiert Vorarlberg im Rahmen eines Vmobil Lab genannten Projekts mit Verbesserungen vor und während der Fahrt, aber auch im Bereich des Umsteigens, um mit neuen und flexibel anzupassenden Angeboten Fahrgäste zu gewinnen.

Das österreichische Bundesland Vorarlberg setzt seit Jahren auf einen Ausbau des ÖPNV. Bewährts wird unter „robuste Mobilität“ beibehalten, neue Angebote werden laufend überprüft und angepasst und experimentelle Lösungen entstehen fortlaufend. Fehler werden in Kauf genommen und korrigiert. © Verkehrsverbund Vorarlberg

 Wie man mit kommunaler Planung den ÖPNV vorantreiben könnte, und wie viele Maßnahmen zusammen wirken können, zeigte Jörg Thiemann-Linden vom büro thiemann-linden stadt & mobilität auf. Er plädierte für eine umfassende Integration der Stadt- und Verkehrsplanung, was insbesondere dazu führen sollte, dass alle Orte des städtischen Lebens in kurzer Zeit erreichbar sind. So spricht er von der „15-Minuten-Stadt“ im Gegensatz zur Zersiedelung und Motorisierung.

Die „15-Minuten-Stadt“ integriert die Funktionen des urbanen Raums derart, dass Einwohner alle wesentlichen Bereiche in einer Viertelstunde zu Fuß erreiche können. © Walk21

Einen wesentlichen Aspekt in dieser Richtung zeigte Prof. Dr. Peter Maas von der Schweizer Universität St. Gallen auf. Er zeigte auf, wie wichtiges aus Kundensicht ist, dass fußläufige Zugangswege zur Mobilität neu und attraktiv gestaltet sind, und insbesondere auch, dass alte, inzwischen aufgelassene Wege wieder aufleben.

In ihrer brillanten Abschlusspräsentation plädierten Heinz Vögeli und Daniel Soldenhoff von der Denkfabrik Mobilität, einem Netzwerk aus rund einem Dutzend initiativer und innovativer kreativer Köpfe mit beruflichem Hintergrund im öffentlichen Verkehr, in der Informatik, der Werbung und der Bahntechnologie für ein Umdenken für die mobile Zukunft und rüttelten damit die zu jenem Zeitpunkt vielleicht nicht mehr so vielen Teilnehmer des Kongresses auf. Sie fassten damit die verschiedenen konkreten Vorschläge des Innovationskongresses für ein radikales Umdenken zusammen – weg von der Betrachtungsweise des Verkehrs als Transporttechnologie, hin zur Mobilität als Erfüllung der Bedürfnisse, Wünsche und Träume der Menschen.

28.06.2021
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