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Innovative Stromversorgung für Traktionssysteme im ÖPNV

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem soeben veröffentlichten, umfangreichsten Kompendium zu allen Aspekten der Rollmaterialtechnologie, einem internationalen, englischsprachigen, dreibändigen Kompendium „Rolling Stock in the Railway System“. Veröffentlicht bei PMC Media und herausgegeben von den langjährigen Rollmaterial-Experten Eric Fontanel und Reinhard Christeller und unter der technischen Leitung des ehemaligen technischen Direktors von SNCF und Alstom, François Lacôte, haben mehr als 30 internationale Autoren dieses einzigartige Kompendium geschaffen. Drei Bände konzentrierten Wissens auf insgesamt rund 1520 Seiten und mit Unterstützung von UIC, UITP, UNIFE und ERA. Erhältlich als gedruckter 3-bändiger Satz oder als einzelne E-Books. Weitere Informationen und einen ersten Einblick in das Kompendium und den Inhalt der drei Bände finden Sie hier.

Das umfangreiche Kompendium „Rolling Stock in the Railway System“ ist ab sofort als gedruckter 3-bändiger Satz oder als einzelne E-Books bei PMC Media erhältlich I © PMC Media

1. Zielsetzungen

Während es früher einen großen technischen Unterschied oder sogar einen Gegensatz oder eine Rivalität zwischen Straßenbahnen und Stadtbussen gab, haben sich die beiden städtischen Verkehrsmittel in den letzten zwanzig Jahren einander angenähert und ergänzen sich nun eher. Diese Konvergenz wird in vielerlei Hinsicht sichtbar. Die Einführung von Niederflurlösungen macht beide viel leichter zugänglich. Während mehr als ein halbes Jahrhundert lang die meisten Busse mit fossilen Brennstoffen angetrieben wurden und der Einsatz von Elektrobussen vielerorts aufgegeben wurde, ist jetzt das Gegenteil der Fall, mit einer starken Wiederbelebung von Elektrobussen mit Batterie- oder Oberleitungsantrieb oder Hybridlösungen.

Abb. 1: Hybrid-Doppelgelenktrolleybus LighTram von Hess für Zürich. Zwei der vier Achsen sind angetrieben, Länge 24,7 m I © Aufbau Hess AG

Lange Zeit hatten Straßenbahnen den Vorteil einer viel höheren Kapazität als Busse, aber es gibt jetzt auch 25 oder 32 m lange Busse mit Doppel- oder sogar Dreifachgelenken auf dem Markt, deren Kapazität der von Straßenbahnen nahe kommt (Abbildung 1). Straßenbahnen auf Gummireifen wurden entwickelt, und einige Busse sind mit Fahrerassistenzsystemen ausgestattet, die dafür sorgen, dass sie an den Haltestellen genauso nah an den Bahnsteigen andocken wie Straßenbahnen.

Wir werden daher die Energieversorgungs- und Traktionssysteme dieser beiden städtischen Verkehrsträger als Ganzes betrachten und versuchen, von Fall zu Fall zu ermitteln, welche Technologie den Zielen der Verbesserung der individuellen Mobilität und der Qualität des städtischen Lebens unter den verschiedenen Gesichtspunkten am besten gerecht wird:

  • Luftqualität,
  • Lärm,
  • Ästhetik,
  • saubere Energien und Energieeinsparungen,
  • und praktische Aspekte wie,
  • die geographische Lage und der Grundriss der Stadt,
  • wirtschaftliche Überlegungen,
  • operative Fragen.

2. Technologien

Traktionssysteme für Straßenbahnen und Busse können auf verschiedene Arten gespiesen werden:

  • Oberleitung: Straßenbahnen verwenden diese Stromquelle in der Regel mit einer 750- oder 600-V-Gleichstromfahrleitung in 4 bis 6 m Höhe über dem Schienenniveau. Der durch die Schienen zurückfließende elektrische Strom und alle metallischen Teile der Fahrzeuge müssen geerdet werden, um die Sicherheit gegen unbeabsichtigte Stromschläge zu gewährleisten.
  • Zweipolige Oberleitung: Diese Stromversorgung wird für Trolleybusse verwendet, die auf Gummireifen rollen. Dies erfordert eine doppelte Isolierung der stromführenden Teile der Traktionsausrüstung, um die Sicherheit gegen unbeabsichtigte Stromschläge von Personen innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
  • Erzeugung von Traktionsenergie an Bord: Diese Lösung gilt sowohl für konventionelle Dieselbusse als auch für die kommende Technologie von Straßenbahnen oder Bussen mit Brennstoffzellenantrieb. Im Falle von Dieselbussen hat die Antriebskette normalerweise eine mechanische Übertragung und ein hoher Geräuschpegel ist im Bereich des Dieselmotors zu spüren, der sich normalerweise im hinteren Teil des Busses befindet.
  • Im Fahrzeug gespeicherte Energie

Mehrere Ziele und Grundprinzipien zu ihrer Erreichung sind möglich:

  • Speicherung, um ein bestimmtes Fahrprogramm zu erreichen: Um ein normales Tagesprogramm über eine Strecke von 200 bis 220 km für einen 12 m langen Standardbus zu gewährleisten, ist eine Energiespeicherkapazität des Fahrzeugs von fast 400 kWh und eine Ladezeit – in der Regel über Nacht – von 6 h erforderlich. Für das Energiespeichersystem mit ultraleichten So-Ni-Batterien in Kombination mit Superkondensatoren ist eine Masse von 2 bis 3 t anzusetzen. Zwischenladungen können helfen, die erforderliche Speicherkapazität zu reduzieren.
  • Batteriewechsel-Betrieb: Um die Ausfallzeit für das Wiederaufladen der Batterien zu eliminieren, ist ihr schneller Austausch eine Alternative. Ein System des Batteriewechsels durch Roboter wurde in China entwickelt.
  • Betrieb auf einer Strecke mit Oberleitung, von der jedoch ein oder mehrere Abschnitte oberleitungsfrei sind:
    • Die Speichereinrichtung kann während des Einsatzes auf der restlichen Strecke nachgeladen werden, oder
    • Häufige Ladevorgänge werden an Bahnhöfen oder am Ende der Linie durchgeführt. Dies kann an einigen Stationen durch einen physischen oder induktiven Kontakt mit der Stromversorgung erfolgen. Eine 30 m lange Straßenbahn kann zwei Lithium-Ionen-Batterien von etwa 50 kWh mit einer Masse von jeweils etwa 800 kg benötigen.
  • Rückspeisung
    Bei allen oben genannten Lösungen wird die Bremsenergie in der Regel rekuperiert und an Bord gespeichert.
Die einfache Oberleitung der Straßenbahn von Bilbao ist kaum sichtbar I
© Reinhard Christeller

3 Kontinuierliche Stromversorgung von unten ohne Oberleitung

Mehrere Gründe können zu der Entscheidung führen, keine Fahrleitung vorzusehen:

  • Die Ästhetik der Stadtlandschaft mit einem Minimum an Sichtbehinderungen vor emblematischen Gebäuden.
  • Städtische Bedingungen, die die Installation von Oberleitungsmasten in engen Straßen der Stadtzentren oder die schwierige Verankerung von Oberleitungen in zu niedrigen oder nicht ausreichend festen Fassaden entlang von Straßenbahn- oder O-Bus-Linien nicht ohne weiteres zulassen.
  • Niedrige Unterführungen, die den Einsatz eines Pantographen nicht zulassen.
  • Die Notwendigkeit, Platz freizumachen, um die Durchfahrt von sehr hohen Fahrzeugen zu ermöglichen (z.B. Karnevalswagen, wie in Nizza, Abbildung 2).
  • Die Notwendigkeit eines schnellen Zugangs für die Feuerwehr, um zu verhindern, die Oberleitung vor einem Einsatz abzuschalten.
  • Die schnelle Wiederaufnahme des Betriebs nach Taifunen.
Abb. 2: Die Straßenbahn von Nizza auf dem Garibaldi-Platz in Nizza. Um diesen historischen Platz zu überqueren und die Karnevalswagen passieren zu lassen, wird die Strassenbahn über diesen Streckenabschnitt batteriegespiesen I © Myrabella / Wikimedia Commons

3.1 Kontaktschienen-Stromversorgung auf Strassenniveau

Eine Speisung durch eine zentrale Stromschiene zwischen den Fahrschienen für Straßenbahnen im städtischen Raum ist die erste Antwort auf die oben genannten Anforderungen. Im Gegensatz zur Oberleitung, die ständig mit 750 oder 600 V Gleichstrom gespeist wird, muss sichergestellt werden, dass diese dritte Schiene so angeordnet ist, dass keine Gefahr einer Berührung und damit eines Stromschlags für Fußgänger besteht. Aus diesem Grund wurden die verschiedenen Versionen von Stromschienen der alten Systeme des späten 19. Jahrhunderts in Budapest, Paris, New York und anderswo tief im Boden versenkt, so dass fast keine Gefahr bestand. Moderne Systeme wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelt. Sie haben eine Zuführschiene, die in Segmente unterteilt ist, die kürzer als die Fahrzeuge sind. Um sicherzustellen, dass kein Fußgänger mit Hochspannung in Berührung kommt, wird jedes dieser Segmente erst dann unter Spannung gesetzt, wenn eine Straßenbahn darüber fährt und es vollständig abdeckt. Ein oder mehrere Kontaktschuhe dienen der Stromabnahme. Auf Abschnitten, auf denen Straßenbahnen im Mischverkehr fahren, sind die Stromschiene und die Kontaktschuhe Verschmutzungen und Belastungen durch Straßenfahrzeuge ausgesetzt. In den meisten Fällen werden diese teuren Systeme nur auf empfindlichen Streckenabschnitten eingesetzt, während auf den übrigen Streckenabschnitten die Stromabnahme durch Stromabnehmer erfolgt.

3.1.1 APS

Das Alstom-Straßeneinspeisesystem (APS, Abbildung 3) erfolgt über eine zentrale Kontaktschiene (Abbildung 4), die aus 8 m langen zuschaltbaren leitenden Segmenten besteht, die durch 3 m lange isolierte Abschnitte getrennt sind (Abbildung 5). Die stromführenden Segmente werden über Schaltkästen zugeschaltet, die jeweils zwei Schütze enthalten, um zwei Segmente einzeln zu speisen. Sie sind alle 22 m zwischen den Schienen versenkt. Die stromführenden Segmente werden nur dann mit Strom versorgt, wenn eine Straßenbahn ein Segment vollständig abdeckt und ein kodiertes Funksignal an den Boden sendet. Die von der Stromschiene übertragene elektrische Energie wird von zwei Kontaktschuhen aufgenommen, wie sie ähnlich wie bei U-Bahnen verwendet werden. Sie befinden sich im mittleren Bereich der Straßenbahn (Abbildung 6).

Abb. 3: APS, „Ästhetische Stromversorgung“ I © Alstom

Diese Kontaktschuhe sind mehr als 3 m voneinander entfernt, um die kontinuierliche Stromabnahme während der Fahrt über den isolierten Bereich zu gewährleisten. Eine bordeigene Hilfsbatterie ermöglicht den Betrieb über kürzere Strecken bei Ausfall eines Segments und beim Überfahren von Weichen oder Kreuzungen. Um die Komplexität des Systems zu begrenzen, gibt es keine Möglichkeit zur Rückgewinnung von Bremsenergie zur Rückspeisung auf die Strecke.

Dieses System wurde erstmals in Bordeaux aus Gründen der städtischen Ästhetik installiert und ist seit 2003 in Betrieb. Inzwischen wird es auch in mehreren anderen französischen Städten und anderswo in der Welt eingesetzt, z.B. in Dubai und Istanbul.

Abb. 6: Eine Citadis-Straßenbahn in Bordeaux mit APS. Die dunkleren Teile der Mittelschiene sind Stromsegmente, die kürzeren weißen sind die isolierten Abschnitte I © UTM

3.1.2 TramWave

Das „TramWave“-System (früher „Stream“) von Hitachi Rail STS (früher Ansaldo Signalling and Transportation Systems oder Ansaldo STS) ist ebenfalls ein elektromechanisches Gerät. Ein erdverlegter Zuführungskanal enthält 50 cm lange, vertikal bewegliche Eisenelemente, die auf zwei Kontaktschienen ruhen, von denen eine geerdet und die andere mit der Oberfläche verbunden ist, an der ein Kontaktschuh unter der Straßenbahn vorbeigeführt wird. Solange keine Straßenbahn darüber fährt, gewährleistet dies eine Erdung und schützt so die Fußgänger. Der Kontaktschuh im Fahrwerk der Straßenbahn ist mit einem Permanentmagneten kombiniert (Abb. 9). Wenn das Fahrzeug nicht über diese Stromschiene angetrieben werden muss, d.h. in allen Situationen, in denen es sich im Leerlauf befindet, durch die Oberleitung oder durch ein fahrzeugseitiges Speicher- oder Stromerzeugungsgerät angetrieben wird, wird dieser Kontaktschuh mit seinem Magneten angehoben.

Abb. 9: Längsschnitt zur Veranschaulichung des Funktionsprinzips des TramWave-Systems. Der Magnet und der Kontaktschuh unter dem Fahrzeug werden in Gleishöhe auf die Stromschiene abgesenkt. Der Magnet hebt die 50 cm langen Kontaktelemente im Kanal an I © Ansaldo STS

Solange er angehoben ist, übt er keine magnetische Anziehungskraft aus und hebt daher die Eisenelemente der unterirdischen Stromversorgung nicht an (Abbildung 10). Wenn der Permanentmagnet auf das Gleisniveau abgesenkt wird, zieht er die Eisensegmente an und hebt sie zur Oberseite des Versorgungskanals an, wodurch die Unterseiten von zwei elektrischen Schienen im Kanal miteinander verbunden werden (Abbildung 11). Eine dieser Schienen steht unter Spannung und die andere ist mit der Kontaktfläche verbunden, wodurch der Schienenabschnitt unter dem Fahrzeug unter Spannung gesetzt wird. Die Einspeisesegmente haben eine Länge zwischen 3 und 5 m. Das System ermöglicht die Rückgewinnung der Bremsenergie im Netz.

TramWave wurde in Italien sowohl in Straßenbahnen als auch in Stadtbussen getestet. Es rüstet Straßenbahnlinien in der chinesischen Stadt Zhuhai aus, die unter mehreren jährlichen Taifunen leidet.

4  Speisung durch häufiges Aufladen an Haltestellen

Um die Masse und das Volumen der Energiespeicher von Elektrofahrzeugen, die ausschließlich mit an Bord gespeicherter Energie betrieben werden, zu minimieren, werden bei Stillstand des Fahrzeugs häufige Aufladungen vorgenommen. Im Durchschnitt hält eine Straßenbahn oder ein Stadtbus alle 90 bis 120 s für etwa 20 s an, so dass diese Stillstandszeit ausgenutzt werden kann und ein physischer oder induktiver Kontakt zur externen Stromversorgung hergestellt werden kann.

4.1 Physischer Kontakt

Dieses System besteht aus einem Stromabnehmer oder einem anderen Kontaktelement – in der Regel auf dem Dach eines Busses oder einer Straßenbahn montiert -, das an den Haltestellen mit einem Speisepunkt verbunden wird. Solche Speisepunkte können oberhalb des Fahrzeugs oder auf Straßen- oder Schienenniveau angeordnet sein. Es sind mehrere elektrische Bus- und Straßenbahnanwendungen in Deutschland, China und der Republik Korea bekannt.

4.2 Magnetische Induktion

Das unterirdische Primove-Zufuhrsystem von Bombardier (Abbildung 12) nutzt die Induktionsübertragungstechnologie, die bereits aus den Bereichen Informationsübertragung, Aufladung von Geräten mit geringer Leistung und Kochherden bekannt ist. Um den Leistungsbedarf des öffentlichen Verkehrs zu decken, stehen Stromversorgungen zwischen 100 und 1000 kW zur Verfügung. Dank der Abwesenheit eines physischen Kontakts unterliegt dieses System keinem Verschleiß und ist daher wartungsarm. Es ist praktisch unsichtbar und wird kaum durch Witterungseinflüsse beeinflusst. Das Prinzip vermeidet das Risiko eines Stromschlags und erfordert daher keine Schutzmaßnahmen. Die Stromversorgung wird jedoch nur aktiviert, wenn ein Fahrzeug anwesend ist. Es ist prinzipiell möglich, eine Strecke mit einer kontinuierlichen induktiven Versorgung auszustatten, aber in den meisten Fällen wird es als angemessen erachtet, sie an festen Punkten in Verbindung mit Batterien zu verwenden. Eine leistungsstarke und schnelle Wiederaufladung der Li-Ionen-Traktionsbatterien während der Haltestellen ermöglicht es, die Batterien auf ein Minimum zu dimensionieren.


Abb. 12: Das Funktionsprinzip der induktiven Stromversorgung in einer Straßenbahn I © Bombardier / Les Echos

In Augsburg wurden Tests auf 600 m Straßenbahnlinie durchgeführt. Das System eignet sich auch für den Einsatz von Elektrobussen, die eine gemeinsame Infrastruktur mit Straßenbahnen, aber auch mit Lkw und Pkw nutzen können (Abbildung 13, 14). Die ersten kommerziellen Projekte fanden sich auf Buslinien in Braunschweig, Brügge, Berlin, Mannheim und Södertälje, alle zum Aufladen an Haltestellen. Diese Umsetzungen zeigen die fortschreitende Konvergenz der verschiedenen städtischen öffentlichen Verkehrsmittel.

Anmerkung der Redaktion: Der Primove Betrieb in Berlin und Mannheim wurde mittlerweile aufgegeben.


Abb. 13: Primove ist nicht nur auf Straßenbahnen, sondern auf jedes Elektrofahrzeug anwendbar, mit einer an die jeweilige Nutzung angepassten Ladeinfrastruktur I © Bombardier
In Augsburg wurde in den Jahren 2011 – 2012 auf einer Teststrecke die induktive Energieübetragung durch die Firma Bombardier getestet I © UTM
17.06.2020
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