In Görlitz fahren Straßenbahnen seit 1882 durch die Stadt, seit 1897 auch elektrisch, und das bis heute. Nicht immer stand es gut um die Zukunft der Tram, in den sechziger und siebziger Jahren stand ihre Stilllegung auf dem Programm, in der Diskussion war sie auch Jahrzehnte später immer mal wieder. In den achtziger Jahren setzte die DDR wie alle ehemaligen Ostblockstaaten wieder verstärkt auf elektrische Verkehrsmittel, um die Abhängigkeit von ausländischem Erdöl zu verringern. Nach Stilllegungen einzelner Abschnitte, zuletzt 1986 die Strecke nach Rauschwalde, kamen auch einzelne Neubauabschnitte in Betrieb, die Zeichen standen auf Ausbau. Die ersten Jahre nach der Grenzöffnung und dem „Fall der Mauer“ im November 1989 sorgten zunächst für eine gänzlichen Neuorientierung auch auf dem Gebiet des ÖPNV, die glücklicherweise nicht zur Stillegung des vergleichsweisen kleinen Betriebs in Görlitz führte. Diese erste „Nachwendezeit“ nutzten auch viele Straßenbahnfreunde aus den westlichen Ländern, das für sie neue „Terrain“ erstmals zu erkunden, war das Reisen in den Jahren zuvor doch nicht immer ganz einfach und vor allem nur mit einigem Vorlauf an Planung zu verwirklichen gewesen.
Szenario 1992
Wir zeigen hier einige Aufnahmen von einem Tagesbesuch vom 28. März 1992. Für die Görlitzer Tram war dies eine Zeit größerer Veränderungen:
Erst am 7.12.1991 war eine Neubaustrecke zum Ersatz der 9 Jahre vorher aufgegebenen Strecke nach Weinhübel eröffnet worden, das Liniennetz wurde umgestellt. Zum 1. März 1992 waren die Fahrpreise verdreifacht worden, auf DM 1,50 für eine einfache Fahrt. Und schließlich konnte seit Anfang des Monats der Planverkehr weitgehend mit Tatra KT4 Gelenkwagen abgewickelt werden, nachdem zunächst vier und im Laufe des Jahres noch ein fünfter Wagen gebraucht aus Erfurt die 11 zwischen 1981 und 1987 neu gekauften KT4 ergänzten. Zweiachser aus DDR-Produktion waren als Reservewagen noch vorhanden und auch außerhalb des Depots an verschiedenen Stellen des Netzes abgestellt, nämlich am Postplatz, in Königshufen und in der Schleife Virchowstraße.
Drei Linien fuhren im Tagesverkehr im 20-Minuten-Abstand:
1 Weinhübel – Königshufen
2 Landeskrone – Königshufen
3 Virchowstraße – Weinhübel
Die Außenabschnitte der Strecken zur Landeskrone und zur Virchowstraße, aber auch auf der Neubaustrecke nach Weinhübel waren eingleisig. Die Gleise der früheren Linie nach Rauschwalde waren teilweise noch vorhanden.
Die Görlitzer Tram fährt noch heute mit KT4 Triebwagen, allerdings sind sie technisch modernisiert und optisch verändert. Bis zur Beschaffung erster Niederflurwagen in einigen Jahren werden sie weiterhin das Stadtbild bestimmen. Interessantes Detail am Rand: die Einwohnerzahl von Görlitz hat sich von 74.700 zum Jahresende 1989 auf aktuell 57.100 reduziert.
Quellenhinweise:
- Arbeitsgemeinschaft Blickpunkt Straßenbahn: Straßenbahnatlas 1992
- Diverse Ausgaben der Zeitschrift Blickpunkt Straßenbahn
- Kochems, Michael: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland, Band 18: Sachsen (I)
Alle Fotos: © Dirk Budach