Nach 90 Jahren wurde die etwa 17 km lange Überlandstraßenbahn, die die drittgrößte polnische Stadt mit den Orten Konstantynow und Lutomiersk verband, eingestellt. Das Straßenbahnnetz von Lodz war bislang mit einer Streckenlänge von gut 124 km das größte meterspurige Netz weltweit.
Lange Zeit war die im Jahr 1929 eingeweihte Straßenbahnlinie 43 eine von vielen Überlandlinien der Lodzer Straßenbahn. Neben den Stadtlinien gab es insgesamt sechs Überlandlinien, von denen ein Teil bereits zu kommunistischen Zeiten stillgelegt wurde. Die Linien 41 (Lodz – Pabianice), 43 (Lodz – Konstantynow), 45 (Lodz – Zgierz) und 46 (Lodz – Zgierz – Ozorków) überlebten hingegen die Wende. Um die Finanzierung der Linien durch die angebundenen Kommunen einfacher zu gestalten, wurden 1994 zwei eigene Betreibergesellschaften gegründet: MKT (Międzygminna Komunikacja Tramwajowa) sowie die TP (Tramwaje Podmiejskie).
Jahrzehntelang überlebten die Straßenbahnlinien, trotz knapper Kassen in den Gemeinden und bei den beiden Verkehrsbetrieben. Die TP hatte einige ehemals Bielefelder GT6 Triebwagen von den städtischen Verkehrsbetrieben MPK Lodz übernommen, welche zusammen mit den sechsachsigen Konstal 803N verkehrten. Die MKT setzte zunächst ausschließlich auf die Kostal 803N, von denen ein Teil zwischen 1999 und 2000 äußerlich modernisiert wurde. Ab dem Jahr 2007 erwarb auch die MKT gebrauchte Straßenbahnen aus Deutschland, darunter GT6 aus Innbruck (Lohner, ex Bielefelder) und Ludwigshafen sowie GT8 aus Mannheim/ RNV, Freiburg und Innsbruck (ex Bielefeld und ex Hagener mit Bielefelder Mittelteil von der Stubaitalbahn).
Am 1. April 2012 nahm die MPK den Betrieb der vier verbliebenen Überlandstraßenbahnen. Die MKT und TP wurden liquidiert. Während in den vergangenen Jahren die Infrastruktur in der Innenstadt, u.a. mit EU-Mitteln, großzügig erneuert werden konnte, wurden die Gleise der Überlandstrecken stark vernachlässigt. Dies führte zur Verringerung der Reisegeschwindigkeit. Lediglich in der Ortsdurchfahrt der Linie 43 in Konstantynow wurde die Gleise vor einigen Jahren modernisiert.
Am 3. Februar 2018 wurden schließlich die Linien 45 und 46 eingestellt – die 22 km Gleise liegen seitdem Brach und es besteht eine Art „Schienenersatzverkehr“. Der Grund für die Stilllegung war der schlechte Zustand der Infrastruktur. Seitdem verkehren die Ersatzbuslinien Z45 und Z46. Zgierz und Ozorków waren zwar weiterhin an einer Streckensanierung interessiert allerdings fehlte das Geld in den leeren Stadtkassen. Beide Nachbargemeinden sprachen zunächst nur von einer vorübergehenden Einstellung. Es gibt aber Pläne, den 3,1 km langen Abschnitt von Lodz Helenówek nach Zgierz zu modernisieren und wieder in Betrieb zu nehmen.
Ein Jahr später ging es leider der Linie 43 an den Kragen. Aus den gleichen Gründen, Gleiszustand und fehlende Mittel, wurde der Verkehr eingestellt. Zwar haben beiden Gemeinden, Konstantynow und Lutomiersk, ein großes Interesse an einem Weiterbetrieb. Jedoch können beide nicht die notwendige Finanzierung aufbringen. Trotz des schlechten Gleiszustandes und der im Vergleich zum Autoverkehr relativ langen Reisezeiten waren die Straßenbahnen der Linie 43 immer gut besetzt. Lutomiersk hat gut 8.000 Einwohner, in Konstantynow sind es etwa halb so viele. Die Ortschaft Konstantynow möchte den Straßenbahnbetrieb allerdings möglichst bald zumindest bis zum Stadtzentrum Konstantynow wieder aufnehmen, da sich hier die Gleisanlagen größtenteils in einem guten Zustand befinden. Ob die notwendigen Mittel mit der Stadt Lodz und ggf. EU-Fördermitteln für eine Streckenerneuerung auf den restlichen Abschnitten aufgebracht werden können, bleibt abzuwarten. Solange dies geschieht, binden neue Buslinien Konstantynow und Lutomiersk an das Straßenbahnnetz an. Ab dem stadtseitigen Straßenbahnendpunkt Zdrowie verkehrt seit dem 3. März der Bus über Kazimierz nach Konstantynow – in 17 Minuten statt vorher 30 Minuten mit der Straßenbahn. Bis nach Lutomiersk sind es 43 Minuten.
Das alte Straßenbahndepot in Brus, welches seit dem Jahr 2012 als Straßenbahn- und Busmuseum genutzt wurde, hat aufgrund der Einstellung den Gleisanschluss verloren. Ob und wann die historischen Hallen mit der Sammlung wieder an das Gleisnetz angebunden werden, bleibt zunächst offen. Bis zur Stadtgrenze in Zdrowie sind es nur 2,1 km und es ist davon auszugehen, dass hier mittelfristig eine Lösung gefunden werden kann.
Nach der Einstellung der Linie 43 bleibt somit die Straßenbahnlinie 41 nach Pabianice im Südwesten der Stadt die letzte, verbliebene Überlandstrecke in Lodz. Mit über 66.000 Einwohner ist das Fahrgastaufkommen auch deutlich größer. Noch in diesem Jahr soll die gesamte Strecke modernisiert werden, so dass ihr Erhalt langfristig definitiv gesichert ist.
Die Lodzer Straßenbahnfreunde (Klub Miłośników Starych Tramwajów) und der VDVA (Verband Deutscher Verkehrsamateure) organisierten im Rahmen einer Verabschiedungsveranstaltung mehrere Sonderfahrten auf der Linie 43 und auf anderen Lodzer Straßenbahnstrecken. Dabei kamen verschiedene historische Fahrzeugtypen zum Einsatz. Bei der letzten Fahrplanfahrt in der Nacht vom 2. auf den 3. März musste aufgrund des hohen Andrangs ausnahmsweise ein achtachsiger GT8N eingesetzt werden. Das Fahrzeug war gut gefüllt und es herrschte eine durchaus melancholische Abschiedsstimmung. Fahrgäste, Straßenbahnliebhaber und Anwohner nutzten die Möglichkeit, ein letztes Mal mit ihrer geschätzten „Tramwaj“ zu fahren.