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Nahverkehr in Grönland

Stadtverkehr Nuuk | © Mogens Nathansen

Grönland, auf grönländisch Kalaallit Nunaat bedeutet dies ”Die größte Insel der Welt” hat eine Ausdehnung rund 10.000 km von Süden nach Norden und 2.000 km von Osten nach Westen, mit der Hauptstadt Nuuk (”Halbinsel”, dänisch: Godthåb, ”Guter Hafen”), ist ein autonomer Teil von Dänemark. Sagen und Legenden berichten über erste Anzeichen von Besiedelungen aus Nordamerika ab 2.500 v. Chr. sowie aus Island ab 900 n. Chr. Das archaische, entbehrungsreiche Jäger- und Sammler-Leben wurde geprägt von harten Überlebenskämpfen zu Land und zur See, sowie erbitterten Kriegen an allen möglichen Fronten. Im Mittelalter erwärmte sich allmählich das Klima, sodass spärliche Landwirtschaft möglich wurde. Ein neues Zeitalter begann, als der dänische Missionar Hans Egede ab 1721 das Christentum nach Grönland brachte. Allmählich führte dies dahin, dass Grönland zu einer dänischen Kolonie mutierte, was einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich brachte. Allerdings harmonierte die europäische Art und Lebensweise der Dänen durchaus nicht nahtlos mit der völlig andersgearteten der Inuits (der Ureinwohner), was bis zu einem gewissen Grad auch heute noch zu beobachten ist. Beispielsweise wurde in Nuuk in den 50er Jahren ein ambitioniertes Wohnungsbauprogramm in Angriff genommen, als gut gemeinter Versuch, den ”edlen Wilden” Inuits mit modernen Wohnblocks Zivilisation und moderne ”vernünftige” Lebensart nahezubringen, was allerdings ziemlich daneben ging. Ein Symbol dafür war der berüchtigte riesige Wohnblock ”Blok P” aus dem Jahr 1965, der 2010 abgerissen wurde. Heute sind dagegen farbenfrohe, recht nette Häuser im Bauklotzdesign weit verbreitet.

Heute leben in Grönland knapp 60.000 Menschen. Das Land ist gegliedert in die fünf Grosskommunen (von Süd nach Nord) Kujalleq, Sermersooq (einschliesslich Nuuk), Qeqqata, Qeqertalik und Avannaata; die letzten beiden bildeten bis 2018 die Grosskommune Qaasuitsup. Der riesige so gut wie unbewohnte Nationalpark im Nordosten hat einen eigenen Status. Besiedelt ist hauptsächlich die Westküste, das Inland liegt fast völlig unter Schnee und Eis, auch die Ostküste ist über weite Strecken unbewohnt. Das Land war, im Gegensatz zum Mutterland, 1982 aus ökonomischen Motiven (u.a. Differenzen bei der Fischfang-Quote) und Identitätsgründen mit knapper Bevölkerungsmehrheit aus der EU ausgetreten. Lassen wir den Blick schweifen und sehen wir, was sich dort beim öffentlichen Verkehr mittlerweile getan hat.

Die Hauptstadt

Der Stadtverkehr in Nuuk wird von der Gesellschaft Nuup Bussii A/S (Bus AG Nuuk, das ”p” erklärt sich aus der Grammatik) betrieben. Die Gesellschaft wurde 1980 gegründet, um den damals unkoordinierten Wildwuchs aus zahllosen Kleinunternehmern in geordnete Bahnen zu lenken, was auch gelungen ist. Mit rund 20 Bussen (Volvo 8900, Volvo/Säffle, MAN Lion’s City, einige DAB Silkeborg sind gelegentlich auch noch mit dabei) und 6 Minibussen befördert Nuup Bussii täglich auf vier Linien (1-4) über 7.000 Fahrgäste. Am 29. Februar 2020 gingen, umrahmt von einer kleinen Feier, drei brandneue MAN Lion’s City Busse auf die ”Jungfernfahrt”. Die Hauptlinien 1 und 2 vom Stadtzentrum in die modernen Trabantenstädte Qinngorput und Nuussuaq (mit der Universität) verkehren tagsüber im 20-Minuten-Takt. Die Linien 1, 2 und 3 werden von den HVZ-Expresslinien (X1, X2 und X3) überlagert, Linie 4 dagegen nicht. Der Pkw-Bestand beträgt ca. 5.000, bei 120 km Asphaltstraßen, dazu kommen einige Geländepisten.

MAN Lion’s City in Nuuk auf Expresslinie X1 | © www.guidetogreenland.com

Drei ganz neue MAN Lion’s City in Nuuk | © Mogens Nathansen

In 2016 erprobte Nuup Bussii einen Volvo Hybridbus der ersten Generation, der sich aber nicht bewährt hatte. Laut CEO Mogens Nathansen fuhr er im Winter als Kühlschrank durch die Gegend, mit +1 Grad Celsius im Fahrgastraum. Das hat gereicht: Nuup Bussii möchte keine Vorreiterrolle für neue Bustechnologie mehr spielen, sondern nur noch bereits bewährte Lösungen übernehmen; Euro6 reicht völlig aus. Diverse Quellen deuten darauf hin, dass besagter Volvo Hybridbus ursprünglich von Aalborg (DK) übernommen und später nach Budapest sowie von dort in die Provinz verkauft wurde, also einiges von der Welt gesehen hat.

Straßenbild in Nuuk | © Mogens Nathansen

Ganz anders beim Ticketing: In 2016 hat Nuup Bussii in ein neues elektronisches System vom estnischen Hersteller Ridango investiert, mit dem man äusserst zufrieden ist. Zum Beispiel kann der Fahrgast unter anderem ganz einfach zuhause an seinem PC auf Nuup Bussii’s Homepage seine Chipkarte aufladen bzw. aktualisieren. Die Mehrheit der Kunden ist davon sehr angetan. Papierfahrscheine beim Fahrer gibt es indessen nach wie vor. Die Fahrpreise werden von der Großkommune Sermersooq festgelegt, die sich quer durch das gesamte südliche Grönland erstreckt, und, wie bereits erwähnt, auch die an der Westküste gelegene Stadt Nuuk mit einschliesst. Irgendeine finanzielle Beteiligung am Busverkehr findet nicht statt, andererseits besitzt Nuup Bussii das Alleinrecht für den gesamten recht rentablen Stadtbusverkehr in Nuuk.

Kleine Betriebe im Land

Einige kleinere Stadtverkehre sollen ebenfalls kurz skizziert werden: In Sisimiut (6.000 Ew.) verkehrt tagsüber alle 20 Minuten die Ringlinie 1 (zusätzlich 1X im morgendlichen Berufsverkehr). Sisimiut ist der Hauptort der nördlich angrenzenden prosperierenden Qeqqata Kommunia – auf deutsch ”Die Kommune des Zentrums” (von Grönland). Zu dieser Kommune gehören u.a. der internationale Flughafen Kangerlussuaq und der Ort Maniitsoq mit bedeutender Aluminiumindustrie. In Maniitsoq besorgt ”Mani Bussii” den Ortsverkehr tagsüber im 15-Minuten-Takt, mit Iveco Crossway und Isuzu Midibus im zeitgemäßen Fuhrpark. Zur Erweiterung des Wagenparks in Sisimiut beschaffte die Reederei Polar Entreprise, welche die Buslinie betreibt, 2016 zur Ergänzung des Scania-Wagenparks zwei blaue Scania Citywide, die ersten in Grönland. Erwähnt werden soll ferner die südwestliche aufstrebende Fischerei- und Handelskommune Kujalleq mit dem recht hübschen, gut 3.500 Einwohner zählenden Zentralort Qaqortoq, wo meist ein neuer weißr Iveco Minibus im Stadtverkehr seine Runden dreht. Der Stadtbus in Ilulissat (3.900 Ew.), dem Hauptort der nordwestlichen Großgemeinde Avannaata (”Die Nördliche”) wurde vor einigen Jahren durch Taxibusse ersetzt, wie sie auch in vielen anderen Ortschaften verkehren. Im hohen Norden von Avannaata, nahe dem heutigen Ort Qaanaaq, befindet sich die US-Airbase Thule, die u.a. ehemalige US-Schulbusse sowie laut Nuup Bussii zumindest früher einige Greyhound-ähnliche Busse im Bestand hat(te). Insgesamt fahren in Grönland rund 75 Omnibusse verschiedener Grösse und Beschaffenheit, unter anderem ehemalige US-Schulbusse, geländegängige LKW-Busse zum Teil auf MAN-Basis sowie ab und zu leicht abenteuerliche Fahrzeuge mit Aufbauten vom Dorfschmied. Außerhalb Nuuk ist der DAB Silkeborg, teils ex Dänemark, nach wie vor mit dabei. Gelenkbusse sind nicht vorhanden.

Eindrücke vom Stadtverkehr Sisimiut 2018 | © Bernhard Kußmagk

Stadtverkehr Sisimiut 2018 | © Bernhard Kußmagk

DAB Silkeborg im Stadtverkehr Sisimiut in 2010 | © Leiff Josefsen

Rudimentäre Haltestellenausstattung beim Stadtverkehr Sisimiut 2018 | © Bernhard Kußmagk

Die neuen Öl-, Gas- und Mineralienfunde sowie die damit einhergehenden Industrien, nicht zu vergessen der neue Atlantik-Hafen in Nuuk, werden weitreichende ökonomische, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen zur Folge haben. Mehr Geld kommt ins Land, Neues wird möglich, bei kluger Politik kann sich vieles verbessern, einiges wird verschwinden. Viele Dinge sind offen, nicht zuletzt bei Fragen zum Klimaschutz. Das Land arbeitet daran, das soziale Zusammenleben zwischen Dänen und Inuits zu verbessern, die allgemeine Situation der Inuits ist vielfach leider alles andere als rosig. Voraussetzung für ein besseres Leben der Ureinwohner ist deren verbesserte Ausbildung, aber auch die Akzeptanz ihrer eigenen Kultur innerhalb der heutigen Zeit – alles leichter gesagt als getan. Sicher ist, dass viele junge, besser ausgebildete Menschen in den entwickelten Süden, vor allem nach Nuuk abwandern (nicht wenige auch ins Ausland, überwiegend nach Dänemark), zumal die Stadt sich allmählich zu einem wirklich modernen urbanen Zentrum entwickelt. Die Stadt hat zur Zeit rund 18.000 Einwohner, bis 2030 solll sie auf möglicherweise über 30.000 anwachsen. Das würde bedeuten, dass dann über die Hälfte aller Grönländer dort leben würde. Die Stadt wird sich weiterhin Richtung Osten ausdehnen, vor allem mit dem künftigen hoch attraktiven Stadtteil Siorarsiofik. Nuup Bussii A/S wird gewiss seinen Teil dazu beitragen, die Stadt und damit das Land voran zu bringen. Man hofft, dass die Strahlkraft von Nuuk mit der Zeit inspirierende Wechselwirkung auf die übrigen kleineren Zentren in Grönland ausüben wird; andererseits ist es sicherlich unvermeidbar, dass viele kleine Dörfer und Ansiedlungen aussterben werden.

Als interkommunale (teure) Verkehrsmittel sind lediglich Flugzeuge und Hubschrauber vorhanden, sowie im Sommer einige Schiffsrouten, da ein zwischenörtliches Straßennetz nicht existiert. Zumindest entlang der besiedelten Westküste ist eine zusammenhängende Küstenstrasse – partiell vergleichbar mit dem heutzutage bestehenden Ring um Island herum – für die allgemeine Entwicklung sehr wünschenswert, jedoch bislang nicht leistbar.

Ein bißchen Exotik muss sein: In Grönland gab es bis teilweise in die 70er Jahre hinein Feldbahnen (600 mm) auf acht Minen für Kohle und Mineralien, eine davon auf einer Kohlenmine auf der westlichen Außeninsel Disko. Zudem transportierte am Godthåbsfjord außerhalb von Nuuk der ”Qoornoq X-press” Fische vom Hafen zu den Dörrplätzen. Insgesamt waren, soweit bekannt, 24 Diesel-/Petrolloks vorhanden: 14 von Ruston & Hornsby, 6 von Clayton, 3 von Schöma (ex Krupp-Dolberg, Essen), 1 unbekannt. Außerdem gab es eine Dampflok und eine Akkulok, Hersteller unbekannt. 

Reste des „Qoornoq X-Press auf 600mm Spur © Karin Malmborg

Ein ausführlicher Bericht zum Thema erschien von unserem Autor im Heft 9/2011 der Zeitschrift „stadtverkehr“: http://www.stadtverkehr.de


14.04.2020
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