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Rampini in Marburg: Italienisch-elektrisch hinauf zum Schloss

Der Rampini mit breiter Mitteltür | © Christian Marquordt

Zu Deutschlands schönsten Altstädten gehört die Marburger Oberstadt. Sie liegt zwischen dem Zentrum im engen Lahntal und dem (Landgrafen-)-Schloss; Marburg gilt auch als die Ursprungszelle des heutigen Landes Hessen.

Für den ÖPNV waren Marburger Oberstadt und Schloss seit je kaum erreichbar. Zu schmal und steil sind die Straßen, vor allem zu eng sind die Abzweigungen, wo ein Bus von der einen in die nächste Straße in spitzem Winkel abbiegen muss. 1954 setzten die Stadtwerke Marburg (SWM) sich erstmals über diese „naturgegebenen“ Widrigkeiten hinweg: in Betrieb ging Linie 16 zwischen dem Rudolphsplatz und dem Schloss durch die malerische Oberstadt. Einen Bus „von der Stange“, der diese Strecke hätte befahren können, gab es nicht: also beschafften die Stadtwerke Marburg einen speziell für sie gebauten Linien-Bus vom Typ Opel Blitz, der, ebenfalls einmalig, einen Aufbau der Essener Karosseriefabrik Gebrüder Ludewig hatte … Ludewig? Kennt man die nicht als Hersteller und Lizenzgeber der berühmten Anderthalbdecker? Möglicherweise hatte dieser Blitz-Bus noch nicht einmal einen Dieselmotor, sondern war – wie seine gleichalten Brüder vom Typ Blitz – mit dem Benzin-Motor der Luxuslimousine „Opel Kapitän“ dieser Jahrgänge ausgerüstet.

Marburgs ältester Schlossbus – der Opel-Ludewig Blitz | © Foto: Horst Michelke, Sammlung Christian Marquordt

Eine Serien-Version eines Linienbusses für die Marburger Oberstadt hat es im Grunde bis vor kurzem nie gegeben. Auf den Opel Blitz folgte 1968 ein Mercedes-Benz L 608 D mit Aufbau von Vetter aus Fellbach bei Stuttgart – das „L“ in seiner Typenbezeichnung verriet mehr als unmissverständlich, dass es sich um einen Wagen auf einem für Linienverkehr angepassten Fahrgestell für „L“astwagen handelte.

Es folgten (angepasste) Linien-Midibusse der Hersteller Setra, Neoplan, Van Hool, des italienischen Busbauers Breda-Menarinibus. So gab es einen Wagen 91, einen Van Hool A 507 Z vom Jahrgang 1992. Dem Kundigen wird das ungewöhnliche „Z“ am Ende der Typenbezeichnung auffallen: das ist nicht „van-hool-like“. Es kennzeichnet eine absolut einmalige Sonderanfertigung für die Stadtwerke Marburg und führt sich zurück auf einen Herrn Zimmermann, der damals in verantwortlicher Stellung bei den Stadtwerken Marburg tätig war.

Fotogalerie (bitte an anklicken):
Die Rampini

Anfang diesen Jahres bekamen die Stadtwerke Marburg jetzt erstrnals zwei Midibusse für ihre Linien 10 (so die heutige Nummer der Linie zum Schloss) und 16, die einer Serienfertigung entstammen. Wir sprechen von zwei Wagen des Typs „E 80“ des italienischen Herstellers Rampini. Vor allem im Heimatland Italien kennt man den „E 80“ und seinen etwas kleineren Bruder „E 60“, aber auch in Deutschland sind sie nicht ganz unbekannt: zwei Rampini laufen in Hamburg bei den VHH als „Bergziege“ im Stadtteil Blankenese, und auch in Regensburg kann man mit Rampini fahren.

Die kleinen Rampini gehen zurück auf eine Entwicklung aus der Zeit noch vor der Jahrtausendwende. Damals präsentierte der italienische Hersteller einen Midibus für Linie, dem er den Namen „Alé“ gab. Ein solcher „Alé“ stand auch einmal auf einer der IAA-Nutzfahrzeuge Messen, und zwar auf dem Stand von MAN. Die Marke mit dem Löwen wollte in den Bereich der Midibusse vorstoßen, und so vereinbarte man eine Kooperation mit Rampini: die Italiener lieferten ihren selbsttragenden Midibus, der mit Komponenten von MAN komplettiert wurde. Der fertige Bus sollte als „MAN Alé“ auf dem Markt angeboten werden. Die heutigen Midibusse von Rampini verleugnen nicht ihre nahe Verwandtschaft mit dem „Alé“, und warum auch? Optisch – diese persönliche Anmerkung sei dem Verfasser gestattet – sind sie wie auch ihr ältester Bruder sehr ansprechend.

Die beiden Neuen in Marburg sind Batterie-Elektrobusse, die während der Betriebspausen über Kabel und Combostecker auf dem Betriebshof nachgeladen werden. Ganz anders als bei einem Bus mit Nachladung auf der Linie mit Lademast und Pantograph sieht das recht unspektakulär aus: auf dem Betriebshof steht eine kleine Ladesäule, mit der der Bus über ein Kabel verbunden ist, das im Heck des Wagens per Stecker „ankommt“. Für den Vortrieb des Busses ist ein Elektromotor von Siemens zuständig. Die Batteriezellen des Busses haben ihren Platz ebenso auf dem Dach des Wagens gefunden wie die Klimaanlage.

Rempini: Laden auf dem Betriebshof | © Christian Marquordt
Rampini vor dem Schloss | © Christian Marquordt

Eine Fahrt hinauf zum Schloss, mit der der Verfasser sich einen eigenen Eindruck vom kleinen Rampini verschaffen wollte, zeigte einen Bus, der munter und zügig mit den steilen und engen Verhältnissen auf den Straßen der Oberstadt zurechtkam. Spitzwinkliges Abbiegen auf kleinstem Raum in eine andere Straße, für einen „ausgewachsenen“ 12-Meter-Wagen absolut unpassierbar: der Rampini bewältigte das ohne die geringsten Probleme. Als Beispiele seien die Ecken Sybelstraße / Lutherstraße und Lutherstraße / Gisonenweg genannt.

Bei einem kurzen Gespräch mit dem Fahrer an der Endhaltestelle Schloss zeigte sich denn auch, dass der sehr zufrieden mit seinem Bus war.

Die beiden Marburger Rampini haben zwei Türen: eine einfachbreite Tür vorne beim Fahrer, die sich beim Öffnen nach innen dreht, und eine doppeltbreite Tür in Wagenmitte. Die allerdings ist für unsere Gewohnheiten „erstaunlich“, denn sie ist eine einteilige, außen laufende Schwenk-Schiebetür mit einer Breite von 1.100 mm. Sie öffnet in Richtung Heck. Und an dieser Tür gibt es natürlich auch eine ausklappbare Rollstuhlrampe.

Auch ungewöhnlich ist die Anordnung des seitlichen Zielschildkastens. Wir sind es gewöhnt, dass sich die seitliche Zielangabe im Bereich der Vorderachse entweder im Dachrand, unmittelbar über dem ersten Seitenfenster oder unmittelbar hinter diesem Fenster findet. Nicht so beim Marburger kleinen Rampini: Er hat seinen seitlichen Zielschildkasten am unteren Rand des ersten Fensters hinter der Mitteltür.

Ein nettes Detail noch: Der Verfasser und seine Frau standen am Schloss und warteten auf den kleinen Rampini. Er war leicht verspätet. Meinte meine Frau: „Man müsste ihn doch jetzt langsam kommen hören.“ Nein, man hört ihn nicht: er ist ein Elektrobus! Und weil das so ist, kann er nicht nur mit einer Hupe, sondern auch mit einer Glocke auf sich aufmerksam machen.

Technische Daten des Rampini E 80

Länge:  7.790 mm

Breite:  2.200 mm

Höhe:   3.250 mm

Radstand: 3.675 mm

Wendekreis: 14.600 mm

elektronisch geregelte Luftfederung

Fahrgastkapazität: je nach Ausstattung 43 bis 46 Fahrgäste, davon: 12 Sitzplätze, 1 Rollstuhlplatz

Elektromotor:   Siemens 1 PV 5138, 122 kW

Batterien:         Lithium-Phosphat-Zellen, 300 Ah, 187 kWh

Reichweite:      bis zu 150 Kilometer (ausreichend für die beiden Marburger Linien 10 und 16)

Rekuperation beim Bremsen

elektrische Anlage: Multiplex Can Bus TEQ

Vorderachse mit Einzelradaufhängung: ZF

Hinterachse: Rampini

zul. Gesamtgewicht: 12.000 kg

Hersteller: Rampini Carlo SpA, I-06065 Passignano sul Trasimeno

Pressevorstellung im Frühjahr 2021 | © Stadtwerke Marburg / Becker
27.05.2021
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