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Zwei neue Straßenbahnlinien: Netzausbau in Olsztyn

Durmazlar Tram an der Haltestelle Pstrowskiego | © Silviu-Costin Iancu

Den Übergang ins neue Jahr 2024 nahm die Stadt Olsztyn im Norden Polens zum Anlass, die erste entscheidende Erweiterung ihres Straßenbahnnetzes einzuweihen.

Die 170.000 Einwohner zählende Stadt ist ein interessantes Fallbeispiel: Sie ist die erste Stadt in einem postkommunistischen europäischen Land, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor rund 30 Jahren ein Straßenbahnnetz gänzlich neu aufbaut. Olsztyn (bis 1945 Allenstein) verfügte früher über elektrische öffentliche Verkehrsmittel in Form von Straßenbahnen und Oberleitungsbussen, gab aber beide 1965 bzw. 1971 auf.

Am 19. Dezember 2015, fünfzig Jahre nach der Einstellung des Straßenbahnbetriebs, schloss die Stadt vorerst den Bau eines ersten Teilnetzes eines neuen Straßenbahnnetzes ab, das den westeuropäischen Systemen der zweiten Generation ähnelt – mit größtenteils vom Straßenverkehr abgetrennten Strecken, Stumpfendstellen und Mittelbahnsteigen, die Zweirichtungsfahrzeuge erfordern. Das seinerzeit insgesamt 11 km lange Netz bestand aus einer Nord-Süd-Strecke mit zwei Ästen, und die Straßenbahnen fuhren auf 3 Linien. Unmittelbar nach der Einweihung zog das Rathaus eine zweite Phase des Straßenbahnbaus in Betracht, und nach 8 Jahren kontinuierlicher Bemühungen in dieser Richtung wurden die Pläne in Form einer 6,16 km langen Zweigstrecke verwirklicht, die von den Linien 4 und 5 befahren wird.


Die neuen Strecken binden wichtige und aufkommensstarke Punkte an das Netz an: den Bahnhof und das historische Zentrum im nördlichen und nordwestlichen Teil der Stadt mit der großen und dicht besiedelten Wohnsiedlung Jaroty im südlichen Teil der Stadt. Teile dieser Gebiete wurden bereits acht Jahre zuvor durch die Straßenbahnlinien 1 und 2 angebunden, doch diesmal verläuft die neue Neubaustrecke weiter östlich, parallel zum bisherigen Straßenbahnkorridor in einer Entfernung von etwa 1-1,5 km.

Die Linie 4 beginnt am Hauptbahnhof, während die Linie 5 ihre Endstation in der Nähe des Eingangstors zum historischen Zentrum von Olsztyn hat. Von diesem Tor stammt auch der Name der Haltestelle – Wysoka Brama, was auf deutsch mit Hohes Tor übersetzt werden kann. Die Endhaltestelle wird gemeinsam mit der Linie 1 genutzt, und um zwei Linien unterbringen zu können, musste sie mehrere Dutzend Meter von einem früheren Standort in der Straße Listopada 11 entfernt verlegt werden, wo sich zuvor nur ein Abstellgleis befand. Da nun zwei Linien an diesem Terminal verkehren, sind zwei Abstellgleise erforderlich. Die Stadtverwaltung plante bereits vor Beginn des ersten Bauabschnitts des Straßenbahnnetzes, die Endhaltestelle am jetzigen Standort zweigleisig zu errichten, doch archäologische Funde und die notwendigen Nachforschungen machten dies zu diesem Zeitpunkt unmöglich.

Endstelle Pieczewo beider neuer Linien | © Silviu-Costin Iancu

Von der Kreuzung der Straßen Tadeusza Kosciuszki und Jozefa Pilsudskiego verlaufen die Linien 4 und 5 gemeinsam über die Straßen Jozefa Pilsudskiego, Stefana Wyszynskiego, Synow Pulku, Ignacego Krasickiego und Tomasza Wilczynskiego. An der letztgenannten Straße endet die Strecke an einer 4-gleisigen Endstation, die nach der örtlichen Wohnsiedlung Pieczewo benannt ist. In den Straßen Pilsudskiego und Wilczynskiego werden die Straßenbahngleise in der Mitte der Straße verlegt, und es wurde eine gemischte Tram- und Busverkehrsfläche mit gemeinsamen Haltestellen und Fahrspuren geschaffen. Auf den anderen Abschnitten werden die Straßenbahngleise am Straßenrand verlegt und sind vom übrigen Verkehr getrennt. Das beeindruckendste Infrastrukturelement auf der neuen Strecke ist das 270 m lange Viadukt über die Kreuzung der Krasickiego-Straße mit der Synow Pulku. Der Viaduktabschnitt ermöglicht es den Straßenbahnen, eine Talsenke schneller zu überqueren und eine ampelgeregelte Kreuzung zu umgehen.

Die Kosten für das gesamte Projekt beliefen sich auf 607 Mio. Zloty (etwa 139 Mio. EUR), wovon 421 Mio. Zloty aus europäischen Fördermitteln im Rahmen des Operationellen Programms für Ostpolen finanziert wurden. Um die Voraussetzungen für den Betrieb der neuen Straßenbahnlinie zu schaffen, kaufte die Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren 12 Straßenbahnen des Modells Panorama vom türkischen Hersteller Durmazlar. Da die Kapazität des vor 8 Jahren für die erste Phase des Baus der Straßenbahnlinien eröffneten Straßenbahndepots nicht ausreichte, musste auch eine Erweiterung baulich umgesetzt werden. Die Neubauten umfasst eine Abstellhalle mit 5 Gleisen und eine Wartungshalle mit 3 Gleisen. Die Abstellkapazität ist für 16 Straßenbahnen von 32,5 m Länge ausgelegt. Die Bauarbeiten hierfür begannen im Juli 2022 und wurden rechtzeitig zur Einweihung der neuen Strecke abgeschlossen.

Der Betrieb der neuen Strecke erfolgt mit gemischtem Rollmaterial. Es werden sowohl neue Durmazlar Panorama als auch ältere Solaris Tramino eingesetzt. Der Fahrplan der beiden Linien 4 und 5 ist miteinander verflochten, wobei jede Linie an Werktagen einen 15-Minuten-Takt aufweist. In den Hauptverkehrszeiten werden zusätzliche Fahrten auf der Linie 4 durchgeführt. An Wochenenden variiert die Frequenz von 15 Minuten am Samstagmorgen über 20 Minuten am Nachmittag bis hin zu 30 Minuten am Sonntagmorgen.

Viadukt | © Silviu-Costin Iancu

Es ist bestimmt nicht das letzte Mal, dass wir von Straßenbahnstreckeneinweihungen in Olsztyn hören. Die Stadtverwaltung und die politischen Gremien haben schon weitere Ausbaupläne für die nächsten Jahre. Am nächsten an der Verwirklichung ist der Abschnitt in der Wilczynskiego-Straße, der die beiden südlichen Zweige des Straßenbahnnetzes verbinden und eine noch bessere Abdeckung des Stadtteils Jaroty bieten soll. An der Kreuzung der Krasinskiego- mit der Wilczynskiegostraße sind bereits die Abzweigungen gebaut, die es den Trambahnen ermöglichen werden, in westlicher Richtung zu fahren. Nach den dunklen Zeiten der kommunistischen Ära sieht die Zukunft für den elektrischen Stadtverkehr und die Straßenbahn in Olsztyn also vielversprechend aus.

Ein Übersichtsplan über das Streckennetz findet sich unter: https://www.urbanrail.net/eu/pl/olsztyn/olsztyn.htm

Wir hatten zuletzt über die Tram in Olsztyn hier berichtet:

Alle Fotos: © Silviu-Costin Iancu

15.01.2024
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